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Karin Fellner
in belichteten wänden
Feierlich grüßende Zombies
  Kritik
Karin Fellner | in belichteten wänden   Karin Fellner
in belichteten wänden
Gedichte
yedermann 2007


Anno 2005, beim Leonce-und-Lena-Wettbewerb in Darmstadt: Eine Frau mit kupferblonden Locken kommt auf die Bühne und schert sich nicht um das Stehpult für die Vortragenden, sondern stellt sich an den Rand der Bühne. Auch ihr Manuskript ignoriert sie, hält es zusammengerollt in der Hand. Sie spricht alle 12 Gedichte ihres Zyklus frei ins Publikum und zieht die Zuhörer in ihren Bann.

Gemeint ist die Münchner Autorin Karin Fellner, die seinerzeit für diese Gedichte mit dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis belohnt wurde. Eben dieser ausgezeichnete Zyklus „futter“ eröffnet ihren neuen Gedichtband in belichteten wänden.

Man ist beim Lesen und Wiederlesen nicht verwundert, dass Fellner die Gedichte auswendig vortrug, denn die Bilder sind so geschliffen, melodiös und genau gearbeitet, dass man sie selbst immer wieder vor sich hersprechen möchte. In futter geht es um Migranten, „helden von / vagem mut“, die in Frankreich losziehen, um die Pyrenäen zu überqueren und schließlich als „lose / zellen in einer zelle“ zu landen.

Wir hören die Geräusche des Sägewerks aus dem Tal aufsteigen, beobachten den Flossenschlag der Forellen, spüren Hunger und das Knirschen unter den Füßen, folgen den Windungen der Serpentinen. Die Menschen treten hinter die Umgebungsnotate zurück. Umso intensiver und lebendiger wird das Leseerlebnis, wenn man selbst den Platz dieser vagen Helden einnimmt.

Fellners Gedichte konzentrieren eine unerschöpfliche Fülle von sinnlichen Details und landschaftlichen Interieurs. Sie nähert sich ihren Protagonisten über deren Umgebung an und über die Vorgänge, die sich darin abspielen. Sie lauscht den Orten und Gegenständen Geschichten ab und überlässt es uns, die Rückschlüsse zu ziehen. Immer passiert etwas, es „schießen fabeln ins kraut“. Überscharf bilden sich Umrisse ab, weil die Gedichte hartnäckig fokussieren und noch die winzigsten Bestandteile bis zur Schmerzgrenze heranzoomen. Sie rücken ein „ins geflecht der neuronen“, spüren den „puls der möbel“ und hören die „elementaren stimmen knistern“.

Überraschende Sinnbildungen treiben die Texte an wie kleine Spiralfedern. Aber es geht nicht nur um solche Überraschungsmomente. Immer wieder scheinen inmitten des Detailreichtums Handlungsbruchstücke auf und vernetzen sich zu plötzlichen Mikrodramen, die eine subtile Oberflächen­spannung verleihen, wie etwa im Gedicht „die meridiane im körper“.

Die Themen der sieben Zyklen sind weit gefächert. Wir begegnen einer Frau auf dem Dach, festgebunden am Schornstein inmitten einer Über­schwemmung. Wir folgen einem Mann in Nomexanzug durch eine Waldbrandkatastrophe. Es prasselt rundum. Metamorphosen spielen sich ab. Wir treffen auf „feierlich grüßende zombies“. Es gibt nichts, das es nicht gibt, alles kann uns hier begegnen, und es fügt sich erstaunlich leicht und schlüssig in die Textgebilde ein.

Wir tauchen „in die schönen / verseuchten ströme der nacht“, lassen uns verführen zu erotischen Hypothesen im Zyklus „umworben sein umwoben“ und werden zu „warmblüter[n] mit obszönen / fantasien von vögeln“. Die Gedichte strotzen vor Substanz und Verspieltheit und machen richtig Spaß.

Deshalb darf es sich die Autorin leisten, auch mal einen Zeilenumbruch wie „puste / blume“ zu verwenden oder eine Handvoll Gedichte einzustreuen, die nicht diese außergewöhnliche Bildkraft und Dramaturgie besitzen (Zyklus „fahrt“) oder nicht so zwingend sind (einige der 4x2-Zeiler aus „strategen im schlagloch“) wie das ansonsten herausragende Niveau dieses Bandes.

Der yedermann Verlag aus Riemerling bei München hat mit Karin Fellner eine neue hochkarätige Lyrikerin für sich gewonnen, die sich mit in belichteten wänden hinauf in die höheren Sphären der jungen artgenössischen Dichtung hangelt. Niemand, der mit frischer, aufregender Lyrik etwas am Hut hat, sollte sich dieses Buch entgehen lassen, die Löschflugzeuge, Gischtgitter und Bushaltestellen darin und „über / allem dieses lametta der straßenlampen“.

Karin Fellner im Poetenladen  externer Link

Tobias Falberg   23.06.2008   

 

 
Tobias Falberg
Lyrik
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Lyrik 2008