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Anne Maximiliane Jäger (Hg.)
Einmal Emigrant –
immer Emigrant?
Der Schriftsteller und Publizist Robert Neumann (1897 - 1975)
edition text + kritik, Dez. 2006
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Da hatten wir einen, der war fast alles: Prosaist, politischer Publizist, Polemiker, Porträtist, Pseudonymnutzer, PEN-Vize-
Präsident – und was ist von ihm geblieben? Der Parodist. Über Jahrzehnte hin fand man auf dem Buchmarkt nur seinen bereits 1927 erschienenen Band „Mit fremden Federn“. Schandbar wenig für diesen so wichtigen wie produktiven Autor. Jetzt wird der ganze Robert Neumann wieder wahrgenommen – just zum 110. Geburtstag. Die Würdigung am etwas krummen Datum hätte dem 1897 in Wien Geborenen gefallen – unzählige andere Schriftsteller feiert man zum Hundertsten, für Einzelgänger paßt das Ungewöhnliche. Seit 2004 beschäftigt sich Österreich ausführlich mit dem Landsmann Neumann, auf der langen Durststrecke zuvor hatte höchstens mal die Wienerin Hilde Spiel, verstorben 1990, in der
FAZ an den nahezu Vergessenen erinnert. Nun erschien bei uns 2006 in der edition
text+kritik ein informativer Sammelband über den einst vertriebenen Juden: „Einmal Emigrant – immer Emigrant?“ Dies ist ein RN-Zitat, er schrieb es ohne Fragezeichen, das hatte Ursachen. Mit einer bei diesem ichstarken Schriftsteller nicht üblichen Bitternis resümiert er in seinem 1968 publizierten „Tagebuch aus einem anderen Jahr“, Haupttitel: „Vielleicht das Heitere“: „Für einen Mann wie mich, von Gegnern umringt, von jungen Trotteln über die Schulter angeschaut, für einen umstrittenen Autor … ist er (der Verleger Desch; I.Z.) nicht immer die ideale Konnexion.“ Hier besiegte ein depressiver Schub die typische Neumannsche Souveränität, ihm war alles zum Kotzen, wozu er jedes Recht der Welt hatte. Meist verfügte der Autor über eine wohl angeborene unübertreffliche Selbstironie. Als Beispiel hier das Fazit seiner Kochversuche: „Und die französische Zwiebelsuppe meiner Erfindung – seither esse ich keine Zwiebelsuppe mehr.“ So verfährt er auch bei relevanteren Themen.
Der vorliegende Sammelband beweist: Angeschaut wird RN inzwischen wieder von jungen Leuten, die aber nichts weniger als Trottel sind, und es geschieht keineswegs über die Schulter, sondern voller Interesse und Respekt. Das gilt für die 1966 geborene Herausgeberin Anne Maximiliane Jäger, ihr detailliertes Vorwort und den feinziselierten Essay über autobiographisches Schreiben bei RN, im gleichen Maß für den älteren, mit Neumann über Jahre hin befreundeten Friedrich-Martin Balzer. Aus der Reihe anderer Beiträger sei Franz Stadler genannt, vertreten mit einem beeindruckenden Text und der sorgfältig erarbeiteten Zeittafel zu Leben und Werk. Probe: „1955 Kongreß des International PEN in Wien: In seiner Schlußansprache wendet sich Neumann gegen die Kalter-Kriegs-Parolen von Präsident Charles Morgan. In der Folge wird Neumann in der österreichischen Presse als ‚Kommunist‘ scharf attackiert. Auch seine wiederholten Bemühungen, in den Dauerkonflikten zwischen den PEN-Zentren der BRD und DDR zu vermitteln, werden von ‚Kalten Kriegern‘ gerne mißverstanden.“ Erhellend ist Stadlers Verweis auf Neumann als „antistalinistischen Autor, nach seinem Selbstverständnis unabhängiger Linkssozialist“. Schade, daß gerade dieser polit-literarisch höchst engagierte RN die Neue Linke nicht mehr erlebte, kommentiert hätte er sie sicherlich so anteilnehmend wie skeptisch. Eine gewisse Distanz zu Ländern und Leuten prägte ihn lebenslang, was seinen zahlreichen Romanen und den in allen relevanten Zeitschriften und Zeitungen veröffentlichten Artikeln ihren bis heute andauernden Reiz verleiht. In der Jugend ein preisgekrönter Schwimmer, verabscheute er jede Art von Mainstream, dort schwamm er nicht mit, das erschwerte ihm das reale und literarische Leben.
Gerhard und ich begegneten Robert Neumann und seiner jungen Frau Helga in verschiedenen Städten und Veranstaltungen. 1970 in München nach einem Leseabend begleiteten wir die Besucher ins Hotel, der Weg führte an einer Reihe von Buchhandlungen vorbei – überall schön präsentiert Neumanns eben erschienener Roman „Oktoberreise mit einer Geliebten“. Dennoch blieb bei ihm ein kleiner Vorbehalt, so vieles hatte er in den letzten Jahren publiziert, 1965 zum Beispiel „Der Tatbestand oder Der gute Glaube der Deutschen“, ein arbeitsintensives Projekt, dessen Entstehungsgeschichte in „Vielleicht das Heitere“ nachzulesen ist. So viele verschiedene Pläne und Personen: Sollte eine politische Journalistin deutlich Hannah Arendt nachgebildet sein, ein Anwalt Friedrich Karl Kaul? Der Jurist und Schriftsteller Kaul, Jude und Kommunist mit Wohnsitz Ostberlin, war seit dem Frankfurter Auschwitzprozeß auch in der BRD berühmt als Vertreter der Nebenkläger in der DDR lebender Nazi-Opfer. Der „Tatbestand“ hatte Aufsehen erregt, die Publikumsgunst jedoch galt der fröhlichen, locker konsumierbaren „Oktoberreise“. Eine Erfahrung, die auch anderen Autoren nicht fremd ist, RN und GZ tauschten sich auf der nächtlichen Wanderung durch München darüber aus.
Unheilbar erkrankt an einem Tonsillar-Karzinom wußte Neumann, der auch Medizin studiert hatte, welche Qualen ihm bevorstanden, und setzte, wie sein Sohn Michael Henry erst vor kurzem preisgab, diesem Leben 1975 selbst ein Ende. Helga, die beste Gefährtin seiner letzten Jahre, verstarb wenig später.
Der Schluß ist zu traurig, hätte RN hier vielleicht angemerkt. Deshalb zuletzt noch eine kleine Story:
1960 bat der Autor eine Reihe von Lehrern, das Aufsatzthema „Was weißt du von Hitler – vom Dritten Reich – von den Juden?“ zu stellen. Über das Resultat berichtete Neumann: „Die beste Antwort, von einem sechzehneinhalb Jahre alten Gewerbeschüler: ‚Hitler war einer aus der Ostzone, der die westdeutschen Juden umbringen wollte.‘“ RN dazu: „Also der bekannte Hitler mit'm Spitzbart, die Brüder dort drüben sind an allem schuld – er ‚wollte‘ die Juden umbringen, wirklich umgebracht sind sie nicht worden … wir haben uns schützend vor sie gestellt, da war dieser Ulbricht, beziehungsweise Hitler abgemeld't.“ Wer mehr wissen möchte zu diesem Exempel, sollte Seite 567 in „Vielleicht das Heitere“ nachlesen.
Klar wird jedenfalls: Der Zustand PISA existiert viel länger, als selbst Pessimisten bisher annahmen.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Ingrid Zwerenz und der Zweiwochenzeitschrift Ossietzky 13/2007.