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Verschiedene Verluste
 

Ossietzky 2006


 
 
Immer wieder gerät das Zentrum gegen Vertreibung ins Zentrum der Auseinandersetzung. Internationale Irritationen werden dabei von der eifrigsten Propagandistin leichtfertig in Kauf genommen – Stein(bach) des Anstoßes hat eine Idee vorm Kopf und will sie realisieren, koste es, was es wolle. Da ist es notwendig, sich eine besondere Gruppe Vertriebener ins Gedächtnis zu rufen. Ich bin keine Jubiläumsfetischistin, doch einige Personen und Fakten sind und bleiben signifikant. 1946, exakt vor 6 Jahrzehnten, nannte der unter ständiger Lebensgefahr im Dritten Reich aktive Antifaschist Günther Weisenborn, in den Jahren nach dem Krieg mit großem Erfolg auf zahlreichen Bühnen gespielter Theaterautor, viele beim Namen, die von ihrer Heimat verbannt, verjagt, verflucht und ausgebürgert worden waren. Weisenborn hielt eine Gedächtnisrede für den Schriftsteller und Dramatiker Ernst Toller, der sich als Emigrant in den USA 1939 in einem Schub tiefster Depression am Gürtel seines Bademantels erhängt hatte, kampfesmüde und verzweifelt an Nazi-Deutschland wie Kurt Tucholsky, der in Schweden eine Überdosis Veronal schluckte. »Hier im Land«, fuhr Weisenborn fort, »starben eines furchtbaren Todes: Egon Friedell (...) Adam Kuckhoff, Erich Mühsam, Carl von Ossietzky.« Damit wir es nicht vergessen: Egon Friedell stürzte sich 1938 in Wien aus dem Fenster in den Tod, als die Gestapo vor der Tür stand, um ihn zu verhaften. Der linksdemokratische Journalist und Widerstandskämpfer Kuckhoff wurde 1943 in Plötzensee enthauptet, Erich Mühsam im KZ Oranienburg 1934 von der SS zu Tode gequält. Das Martyrium Carl von Ossietzkys ist der Leserschaft dieser Zeitschrift bekannt. Nun bin ich mir darüber klar, daß diese Fakten an der Teflondame Steinbach rückstandslos abgleiten und der Titel von Weisenborns Rede Der Verlust an Weltkultur ihr nichts bedeutet – diese Kultur ist nicht ihre Kultur, was für ihren langjährigen Verbündeten, den verstorbenen Peter Glotz nicht zutrifft, dessen Engagement für dieses unglückselige Projekt mir immer unbegreiflich bleiben wird. De mortuis nihil nisi bene, über Tote nur Gutes, doch dieser intelligente, integre Mann war als Steinbach-Kompagnon fehl am Platz. Er wurde als Kind selbst vertrieben, das trifft auf viele Menschen zu, auch auf mich. In Liegnitz geboren und im Sommer 1945 der Heimatstadt verwiesen, ist mir die bittere Erfahrung wochenlanger Fußmärsche nicht fremd. Der Treck irgendwohin, wo einen niemand haben wollte, prägt lebenslang. Die Interpretation dieser Erlebnisse möchte ich jedoch nicht delegieren, vor allem nicht an die CDU-Bundestags­abgeordnete Steinbach. Sie hat nur die Folgen für die Deutschen im Sinn, eine Analyse der Ursachen verweigert sie. Da findet sich die biblische Antwort: Wer Wind sät, wird Sturm ernten und der so banale wie passende Spruch: Sowas kommt von sowas. Wer Krieg beginnt, darf nicht jammern, wenn er dafür büßen muß. Ein Volk, das es fertig gebracht hat, den Großteil seiner Elite aus dem Land zu jagen, sollte sehr behutsam umgehen mit Gedenkstätten, sind sie auch denen gewidmet, die eifrig mitgejagt haben.

Weisenborn: »Es gibt einen Todfeind des Menschen in der Welt, das ist der Militarist, und es gibt einen Todfeind der deutschen Dichtung, das ist die ›Deutschland-über-alles-Literatur‹.« Geht die Umkehrung der Täter-Opfer-Beziehung so hurtig weiter wie in den letzten Jahren, sind wir bald wieder bei dieser Literatursparte angelangt. Material für die große Deutschland exkulpierende Umwertung beziehen die geschichtsrevisionistisch Interessierten seit langer Zeit von einer speziellen Fest-Platte, die einzige, zu der es einen Vornamen gibt: Joachim C. Er infiltriert und infiziert nach und nach sämtliche Medien mit seiner eigenwilligen Farbenlehre, die aus braun weiß macht. Zum Ausgleich definierte Fest in den siebziger Jahren via FAZ Rainer Werner Fassbinder als »Linksfaschisten«. Nun war es gerade dieser Regisseur, der 1980 in seinem Film Lili Marlen an den unumstrittenen Antifaschisten Günther Weisenborn erinnerte. Das ist mir schon deshalb unvergesslich, weil Gerhard Zwerenz, der gelegentlich kleine Rollen bei RWF übernahm, Weisenborn darstellen sollte. Es paßte nicht mit den Terminen und so war es am Ende Fassbinder selbst, der im Film als Günther Weisenborn auftrat.

Zurück zu dessen Rede von 1946. Er beließ es nicht bei der Trauer um die Verstorbenen und Ermordeten, sondern richtete einen Appell an die überlebenden Emigranten: »Wir bitten um die Rückkehr aus allen Ländern der Welt ... Es ist das andere Deutschland, das ruft.« Aufgeführt werden 45 Namen, davon seien einige hier genannt und in Klammern jeweils angemerkt, ob sie der Bitte folgten und wohin sie gingen: Ernst Bloch (DDR), Bertolt Brecht (DDR), Lion Feuchtwanger (blieb in den USA), Leonard Frank (BRD), Oskar Maria Graf (weiter in den USA), Wieland Herzfelde (DDR), Ludwig Marcuse (BRD), Thomas Mann (Schweiz), Heinrich Mann (verstorben vor der Übersiedlung in die DDR), Robert Neumann (Schweiz), Erich Maria Remarque (weiter USA), Anna Seghers (DDR), Bodo Uhse (DDR), Arnold Zweig (DDR) ... Es optierten also eine ganze Reihe Rückkehrer für die östliche Republik, offensichtlich mit Recht im Zweifel, ob sie im Westen wirklich das von Weisenborn akklamierte »andere Deutschland« anträfen. Das war die BRD lange Jahre hindurch mitnichten, mühsam errungene politische Veränderungen setzt sie heute mehr und mehr aufs Spiel, so schützt die Polizei mit Vorliebe Neonazis und prügelt auf die Gegendemonstranten ein.

Die DDR begann hoffnungsvoll und endete schmählich, die Enttäuschung darüber blieb Weisenborn erspart, er verstarb bereits 1969 im Alter von nur siebenundsechzig Jahren. Der bis zuletzt unermüdliche Pazifist und Humanist war jedoch nie ein blinder Optimist, er notierte: »Die Welt liebt Opfer, aber die Welt vergißt sie.« Man darf nicht aufhören mit dem Versuch, diesen bitteren Satz zu widerlegen.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Ingrid Zwerenz und der Zweiwochenzeitschrift Ossietzky 2006.

 

Ingrid Zwerenz
Aufsatz