Lucas Cejpek
Dichte Zugfolge
Der Kosmos unter Tage
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Lucas Cejpek
Dichte Zugfolge
Edition Korrespondenzen 2006
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Als passionierte U-Bahn-Fahrerin habe ich die Welt des Massentransports unter Tage schon immer für ein poetisches Phänomen gehalten. Ein spezielleres, reizvolleres Phänomen als die Welt der PKW ist sie allemal. Auch wenn ich mich in der U-Bahn anonym fühlen, ist ihre Welt doch begrenzt und dadurch gewissermaßen intim: Ich finde sie mit Sicherheit immer unten, künstlich beleuchtet, zeitlich getaktet – in fast allen ernstzunehmenden Städten dieser Welt.
Diesem eigenen Universum widmet sich Lucas Cejpek in seinem 2006 erschienenen Buch Dichte Zugfolge. Auf 105 Seiten sammelt der 1956 geborene Autor in notizartigen Abschnitten wechselnd subjektiv- sinnliche Eindrücke (Gerüche von Apfelstrudel bis Urin in Pissoirs), technische Fakten, Wissen um besondere Geschehnisse im U-Bahn-Kosmos, wissenschaftliche Erkenntnisse darüber und Querverweise auf das Vorkommen der U-Bahnen in Film, Literatur und Kunst. Diese fokussierten Aufzeichnungen klingen beispielsweise so:
Ausgemusterte Wagen der New Yorker Subway werden ins Meer geworfen, wo sie den Fischen als Versteck dienen. (S. 10)
Fast 50 Prozent des U-Bahn-Staubs besteht aus Eisen, das durch die Reibung der Bremsen abgeschliffen wird. (S. 56)
Der um den Ausbruchsquerschnitt herum entstehende Ringspalt wird während des Vortriebs kontinuierlich verpresst.
Stabilisierungsinjektionen zur Vergleichmäßigung der Setzungsmulden. Einbautenumlegungsarbeiten und Verkehrsführungsphasen. (S. 40)
... dass in der Pariser Métro zwei Hochzeitskleider, eine Urne und ein Holzfuß gefunden worden sind. (S. 73)
Der Verlag spricht im Klappentext von „einer kleinen literarischen Soziologie“, und das trifft den Buchinhalt wahrscheinlich gut. Cejpek sammelt, ordnet an, gibt zum Besten. Das liest sich wie eine Mischung aus einer Fachzeitschrift der Verkehrsbetriebe und einem soziologisch-philosophischem Essay. „Die U-Bahn-Situation macht einen unwillkürlich zum Gelegenheitsethnologen, sagt Marc Augé.“ Das ist wahr.
Cejpek streift sie alle: Die New York-Subway, die Pariser Métro, die U-Bahnen von Tokio, Prag, London und Moskau. Am detailliertesten aber behandelt er den Wiener Untergrund, schlicht, weil er in dieser Stadt lebt und seine Einblicke dort am kenntnisreichsten ausfallen. Hier liegt nun aber eine Schwäche des Buches: Zu viel Lokalkolorit schließt „Ausländer“ bzw. „-städter“ aus, sprich, ich, die ich die Wiener U-Bahn nicht kenne, fange an, mich wegen der ausgebreiteten Spezifika zu langweilen.
„Den besten Würstelstand gibt es laut Standard-Silvestertest an der U6 Thaliastraße. Im Kleinen Sacher wird der Kren mit der Hand gerieben die Käsekrainer wird auf einem Teller gereicht, und zum Flaschenbier gibt es ein Glas.“
Ich vermute, dass es Cejpek auch um die Gegensatzbetonung von Lokalem und Abstraktem / Globalem gegangen ist, weil solcherart auseinander klaffende Notizen von ihm des Öfteren abrupt hintereinander geschaltet werden. Trotzdem zügelt das dauernd bemühte Wiener Flair, in dem mir unwillkürlich auch die Brutalität der Gemütlichkeit des Wiener Sprachklangs entgegenfliegt, zu stark das Faszinosum U-Bahn als gleichermaßen klaustrophobische wie weltumspannende Erscheinung. An diesem Punkt ist das Buch Cejpeks auch augenfällig männlich: Dort nämlich, wo es mit Sachkenntnissen paradiert: Ich kenne was, was du nicht kennst.
Ein Haftenbleiben an einheimischem Fluidum ist etwas für Reiseführer. Die Stadt Wien scheint mir in diesem Fall von ihrem Bewohner Cejpek vorwiegend der Bequemlichkeit halber in den Vordergrund gespielt worden zu sein.
Dichte Zugfolge lässt sich alles in allem in Etappen und immer wieder lesen. Durch die Menge an Information und assoziativem Gedankengut werden die LeserInnen darin jedesmal Neues entdecken. Zum Abschluss gibt es einige Seiten Info und Eindrücke zu U-Bahn-Katastrophen. Da wird einem die Abgeschnittenheit des Untergrunds noch einmal sehr klar und alle Gleichgültigkeit, Gelassenheit oder Poesie weicht dem Unbehagen über mögliches Unheil.
Die Kleine U-Bahn-Bibliothek im Anhang gibt den inzwischen vielleicht faszinierten LeserInnen Gelegenheit, sich weiter ins Thema zu vertiefen.
Lucas Cejpek ist freier Schriftsteller, Theater- und Hörspielregisseur. Er lebt in Wien. Oder hatte ich das schon erwähnt?
Lucas Cejpek in der Edition Korrespondenzen
Rusalka Reh 09.02.2007
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