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Rusalka Reh
Orla

Dinge.
Orla will nichts. Täglich schleppt sie Tüten voller Dinge aus ihrer Wohnung hinaus. Wenn die Last in die Tonnen fällt, lacht sie auf und schüttelt die Hände. Sie kehrt nachhause zurück. Wenn sie die Tür öffnet, lässt sie sich kaum bewegen, weil sie gegen etwas prallt. Orla quetscht sich durch den Türspalt. Neues hat sich gesammelt, während Orla fort war. Dinge. Zum Beispiel eine Freizeithose, Heimdecken und Dosen aus Blech. Orla seufzt. Das Fluchen ist ihr längst vergangen. Sie stopft die Dinge in Tüten, die Dosen scheppern in die Stille von Orlas optimalem Leben. Orla will nichts. Sie schleppt die Tüten voller Dinge aus ihrer Wohnung hinaus. Heute schon zum vierten Mal, gestern reichten zwei lange Gänge, dann war Abend. Orla will nichts. Sie lacht, wenn die Last in die Tonnen fällt.

Menschen.
Auch Orla kennt Menschen. Sie mag niemanden lange. Deshalb wohnt sie in einem einzigen Zimmer mit dem schmalsten Bett von IKEA: Tovik. Orla hat einen Anrufbeantworter. Er sagt, dass sie nicht zurückrufen wird, doch jeder hofft, dass sie es dennoch tut. Orla ruft einmal im Jahr nur einen Anrufer zurück. Sie wird täglich etwa zwanzig bis zweiundzwanzig Mal angerufen. Es gibt selten Aufleger, manche singen Lieder.
Orla badet sich gründlich und sonst niemanden.

Haustiere.
Hunde sind devot und riechen stark bei Regen. Orla zieht Katzen vor (Gegen Vögel wendet sie Käfige ein). Sie entschließt sich, eine Katze zu halten. Sie streiten sich und küssen einander.
Eines Tages fällt die Katze vom Fensterbrett und kommt nicht zurück. Orla stellt das Katzenklo in den Keller und strickt aus Katzenhaar­büscheln, die sie aus den Zimmerecken kratzt, einen Pullover.
Orla ist traurig, doch frei und fährt sofort auf Reisen.

Reisen.
In der Fremde reden alle anders als Orla es kennt. Sofort fühlt sie sich wie ein überaus herrliches, frisch in's Leben geworfenes Baby. Und wacklig auf Beinen ist Orla in der Fremde. Neugeburt. Besonders wichtig ist die Besteigung des Turmes der Hauptstadt. Von dort überschaut Orla die Fremde, die neuen Menschen, anderen Dinge und Haustiere, die ihr nicht gehören. Orla will nichts. Manchmal wären Flügel jedoch nützlich auf den Turmspitzen der Städte. Für etwa einen einzigen Flug hinunter in's Pensionszimmer. Dort würde sie die Flügel in Tüten stopfen, ließe sie in Tonnen fallen oder gäbe sie bei der Concierge ab.

Herbst.
Es wird Herbst. Orla betrachtet die Bäume. Sie sieht, wie sie sich frei machen vom Laub vieler Zeit. Orla beneidet Bäume. Sie stellt sich auf ihr Bett und lässt Rock, Bluse, Haarblume, ja und jede Wäsche ihres Körpers hinabsegeln wie Herbst. Die Schuhe krachen zuletzt, als sei Sturm hin zum Winter. Orla springt hinunter vom Bett und stopft alles in Tüten. Damit verlässt sie die Wohnung. Mit leeren Händen kehrt sie zurück, da sind schon Hosen gewachsen auf Bügeln und Pullover, ein Schal quillt aus dem Briefschlitz der Tür. Orla seufzt. Orla will nichts. Aber der Herbst fordert seinen Tribut.

Speisen.
Gegessen werden muss. Das weiß auch Orla, und sie spürt es, wenn sie es eine Weile vergisst. Ein gutes Buch macht auf Dauer nicht satt. Orla lehnt Früchte und Gemüse ab. Immer fühlt sie sich wie Kühe oder wie ein großes Pferd beim Verzehr. Gerne isst sie aber Nudeln, Brot, Fettsorten und rohe Fische. Zu Koteletts sagt sie nicht nein. Manchmal macht sie sich vier Spiegeleier in einem einzigen Pfannengang und freut sich über das Cholesterin in ihrem Blut. Schokoladen sind herrlich. Kaffee hält Orlas Stimmung auf Kurs und die Flimmerhärchen auf ihren Bronchien sauber. Orla lehnt Grüntees ab.

A. Rusalka Reh    08.08.2008      

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