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Clemens Setz
Gespräch mit Carolin Callies für den poetenladen
»Man wird in gewisser Weise dazu erzogen,
den Betrieb als Wettbewerb zu sehen«
Gespräch |
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Literatur und Wettbewerb lautet das Gesprächsthema der 20. poet-Ausgabe: Welchen Nutzen hat das öffentliche Wettlesen, wie verlässlich sind Juryurteile, werden Autoren durch das Wettbewerbswesen zu Konkurrenten erzogen? Fünf Gespräche in der 20. poet-Ausgabe geben Auskunft.
Clemens Setz wurde 1982 in Graz geboren. Er studierte Mathematik und Germanistik und lebt als Übersetzer und freier Schriftsteller in Graz. Für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes wurde er 2011 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, sein Roman Indigo stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2012. Zuletzt erschienen unter anderem der Gedichtband Die Vogelstraußtrompete (Suhrkamp 2014) und der Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre (Suhrkamp 2015), für den Clemens Setz den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis erhielt.
Carolin Callies: Das seltsame an Literaturpreisen ist ja ihre »materiell-immaterieller Doppelnatur« (Hans Altenheim). Wie hat sich Ihr allererster Literaturpreis für Sie angefühlt (2008 für ein »besonders gelungenes literarisches Debüt« vom Österreichischen Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur)? Und verändert sich das im Laufe der Zeiten und Preise?
Clemens Setz: Ich weiß nicht mehr, was ich damals gedacht habe. Aber ich wollte damals, mit 25, natürlich gemocht werden. Es ist heute sehr peinlich, das zuzugeben, weil es ein so pubertärer, streberhafter, unterwürfiger Charakterzug ist. Glücklicherweise ist er inzwischen weitgehend aus mir verschwunden.
C. Callies: Und heute? Ist Ihnen die Lobpreisung als Autor in Laudationes oder Jurybegründungen wichtiger für Ihr eigenes Schreiben oder der tatsächlich finanzielle Geldbetrag, der auf dem Konto ankommt?
C. Setz: Beides ist schön, das Geld ist halt direkt mit der Fortsetzbarkeit der Arbeit verbunden. Ich verkaufe nicht so viele Bücher, dass ich davon problemlos viele Jahre leben kann, deshalb hilft ein Preisgeld. Allerdings ist das auch ein Geschäftsmodell mit einem elementaren Fehler. Es wäre keine Schande für mich, meinen Lebensunterhalt mit einem anderen Beruf zu verdienen. Dies wird in ein, zwei Jahren auch so sein.
C. Callies: Das ist ja interessant! »Die eigentliche Schwierigkeit im Dasein eines Großschriftstellers entsteht erst dadurch, dass man im geistigen Leben zwar kaufmännisch handelt, aber aus alter Überlieferung idealistisch spricht«, schreibt Robert Musil im Mann ohne Eigenschaften. Sie werden nicht noch Kaufmann auf Ihren alten Tage? Was ist Ihr Plan B?
C. Setz: Einen guten Plan B habe ich nicht. Es sollte in Verlagen eine Beratungsstelle für Plan-B-Möglichkeiten geben, finde ich. Das wäre großartig.
C. Callies: Überspitzt gefragt: Wundert man sich nicht über Literaturpreise für einen selbst? Dass man Geld bekommt, nur weil man Wörter aufschreibt? Ich stelle mir vor, dass man fähiger ist, anderer Literatur solch einen Wert zuzuschreiben als der eigenen?
C. Setz: Sie haben recht, das ist tatsächlich merkwürdig. Es fallen einem ja auch immer andere Autoren ein, die viel besser sind als man selbst. Warum kriegen die das nicht? Aber gut, es ist ja eine Entscheidung, die andere getroffen haben.
C. Callies: In einem Interview sagen Sie: »Ich spüre von Jahr zu Jahr stärker, wie bedeutungslos ich bin, und das ist gesund und richtig. Man beginnt Vorübungen im Nichtexistieren, indem man sich selber mehr und mehr egal wird.« Literaturpreise verleihen aber geradezu Bedeutung, auch gesellschaftliche Bedeutung? Ein Widerspruch?
C. Setz: Ich glaube gar nicht, dass Preise tatsächlich einem Autor eine gesellschaftliche Bedeutung verleihen. Ob etwas gesellschaftlich bedeutungsvoll ist, entscheidet ja die Gesellschaft und nicht eine Jury von fünf oder sechs Leuten. Ausnahme sind so extreme, das Käuferverhalten steuernde Preise wie der Nobelpreis oder, bei uns, der Deutsche Buchpreis. Aber selbst da ist es fraglich, ob in diesen Fällen das Wort »Bedeutung« angebracht ist.
C. Callies: Warum aber sollte man sonst Literatur auszeichnen, Autorinnen und Autoren Geld geben, wenn nicht die Instanzen dahinter in der Literatur einen gesellschaftlichen Wert sehen würden?
C. Setz: Die sehen vielleicht einen gesellschaftlichen Wert dahinter (oder erklären sich ihr Geschmacksurteil mit diesem Begriff), aber deshalb muss dieser Wert ja noch nicht automatisch bestehen. Sonst wären ja alle Nobelpreisträger von großer Bedeutung für die Gesellschaft.
C. Callies: Thomas Bernhardt beschrieb in Meine Preise eine Literaturpreisverleihung als etwas zwischen »Geschmacklosigkeit«, »Gedankenlosigkeit« und »Kuriosität«. Und er erzählt, wie er sich einen neuen Anzug kauft, den er direkt nach der Preisverleihung wieder zurückgibt. Oder sich vom Preisgeld ein Auto kauft – oder ein Haus. Was war Ihre persönliche skurrilste Preisverleihungserfahrung?
C. Setz: Naja, das Skurrilste war vermutlich der Bachmannwettbewerb, wo ich 2008 war. Ich saß dort wie eine Katze zwischen Federballspielern und musste dauernd lachen. Es war wirklich sehr witzig. Aber die Preisverleihung selbst (ich »belegte den vierten Platz«) war dann eigentlich nicht so skurril.
Wie ich in Weimar war, bei der Verleihung des Literaturpreises des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft, fand die Verleihung in einer Musikschule statt. Da hielt der Direktor vorher eine Rede, in der er etwas sagte wie »unsere Schule liegt hier oben, außerhalb der Stadt, hier können sich die Schüler ausschließlich aufs Lernen konzentrieren, hier gibt es keine Ablenkung.« Das fand ich irgendwie unheimlich. Hinterher musizierten die Schüler für uns, alle auf einem sehr hohen technischen Niveau ...
C. Callies: Und was kaufen Sie sich vom Preisgeld? Tatsächlich »nur« Zeit zum Schreiben?
C. Setz: Bislang war es Lebensunterhalt – und auch Reisen. Ich spende auch viel, für Tiere.
C. Callies: Nachdem Daniel Grolle 1986 den Bachmann-Preis gewann, ist er aufs Fahrrad gestiegen und erst mal nach Italien gefahren. Wäre das was?
C. Setz: Ich musste Daniel Golle googlen, ich kannte den Namen gar nicht. Das Internet sagt, er ist Tai-Chi-Meister. Da wundert es mich gar nicht, dass der nach den TDDL noch so viel Energie hatte.
C. Callies: Der Schwerpunkt der Zeitschrift POET heißt in dieser Ausgabe »Wettbewerb«. Empfinden Sie Literaturpreise als Wettbewerb? Den sogenannten »Literaturbetrieb« als solchen?
C. Setz: Man wird in gewisser Weise dazu erzogen, den Betrieb als Wettbewerb zu sehen, als Kampf um begrenzte Ressourcen (= Interesse und Kaufkraft von Lesern). Und eine Weile kann man davon auch erfüllt werden.
C. Callies:: Und um den Wettbewerbscharakter zu durchbrechen: Gäbe es eine Autorin, einen Autor, dem Sie sofort einen Preis verleihen würden?
C. Setz: Christian Kracht, Marjana Gaponenko, Judith Schalansky, Tao Lin, Michel Faber.
C. Callies:: Oft handeln Dankesreden vom Verhältnis des Preisträgers zum Namensgeber des Preises und dessen Werk. Sie haben bei der Verleihung des Wilhelm-Raabe-Preises 2015 sehr persönlich gesprochen, haben von der Zeit des Schreibens bei Die Stunde zwischen Frau und Gitarre erzählt, in der Sie krank waren. Wie kam es, dass Sie diesen sehr persönlichen Umstand in einer Preisrede zur Sprache gebracht haben?
C. Setz: Ich habe keinen Grund gesehen, es nicht zu tun. Ich glaube nicht, dass es unangebracht war.
C. Callies:: Einer meiner liebsten Literaturpreise ist der Lasker-Preis für das beste Buch zum Thema Schach – wie zum Beispiel Michael Chabons Die Vereinigung jiddischer Polizisten oder Ronan Bennetts Zugzwang. Gibt es einen Literaturpreis, den es tatsächlich noch nicht gibt, aber Ihrer Meinung nach dringend geben sollte?
C. Setz: Oh, natürlich einen, der nicht von einer menschlichen Jury (oder einem Publikum) gewählt wird, sondern von einem komplexen Algorithmus.
C. Callies: Und welche Kategorien stünden hinter dem Algorithmus? Es stünde ja die Vermutung dahinter: Er würde etwas besser machen als eine menschliche Jury.
C. Setz: Ein bisschen wurde das ja schon mal versucht, bei der Vergabe des Preises der Automatischen Literaturkritik durch Kathrin Passig, Angela Leinen u.a. Aber was würde er besser machen ... naja, es würde uns auf jeden Fall etwas Neues zeigen. Eine neue Perspektive auf Literatur, die wir selbst gar nicht simulieren könnten.
C. Callies:: Lieber Clemens Setz, herzlichen Dank für das Gespräch.
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