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Emrah Serbes
junge verlierer
Von Verlierern und anderen Lebenskünstlern
Kritik |
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Emrah Serbes
junge verlierer
Erzählungen
176 Seiten
Binooki 2014 |
Kultautor – darf man solche inflationsverseuchten Labels überhaupt noch benutzen? Ja, wenn sie zutreffen, und das ist bei Emrah Serbes der Fall. Nicht erst seit er – gerade erst von Ankara nach Istanbul gezogen – im Sommer 2013 aktiv bei den Gezi- Protesten mitmischte, sich für Demokratie und Meinungsfreiheit einsetzte und dann wegen Beamtenbeleidigung angeklagt wurde, nachdem er in einer Fernsehsendung den Namen von Ministerpräsident Erdogan verballhornt hatte. Zwei Monate später wurde er freigesprochen.
Sein Romandebüt „Behzat C.“ veröffentlichte er mit Mitte zwanzig. Dieses und auch das zweite Buch um den Ankaraner Mordermittler wurde zum Bestseller. Mit viel Humor, aber auch bissigem Zynismus nimmt Serbes darin die Mentalität des Polizeistaats auseinander. Die Bücher wurden Vorlage für die bis dato erfolgreichste TV-Serie der Türkei, es folgten Kinoadaptionen. Als Tayyip Erdogan die Demonstranten als „çapulcu“ (Räuber / Plünderer) verunglimpfte, übernahmen sie den Begriff für sich, inzwischen gibt es mit „chapulling“ sogar eine Entsprechung im Englischen. Und sie klärten die ewig offene Frage, wofür das Ç in Behzat Ç. steht. Behzat Çapulcu-Graffitis zieren seither die Straßen von Istanbul und Ankara. Emrah Serbes war damit einverstanden, wie er in einem Interview durchblicken ließ.
Erstmals auf Deutsch erscheinen nun bei Binooki seine Erzählungen „junge verlierer“, übertragen von Oliver Kontny: acht kurzweilige Geschichten über meist vorlaute Heranwachsende mitten in den pubertären Wirren zwischen erster Verliebtheit, zweifelhaften Männlichkeitsidealen und einem übersprudelnden Selbstbewusstsein, dass immer genau im falschen Moment in sich zusammenbricht. Da ist der Elfjährige, der sich in einer Kneipe an die mehr als doppelt so alte Freundin seines Bruders ranschmeißt, während er unter dem Unfalltod seines Vaters leidet; oder der Schüler, der absichtlich schlechte Noten im Fach Englisch schreibt, nur damit seine Eltern weiterhin die vergötterte Nachhilfelehrerin engagieren; der kleine Westentaschen-Nationalist, der den strubbelhaarigen Studenten in der Nachbarwohnung für einen Terrorist hält, bis sein Weltbild bei einer Demo ins Wanken gerät.
Serbes schreibt über Familienbande und familiäre Gewalt, über ideologisierte Gesellschaftsstrukturen und über die Schwierigkeiten Heranwachsender, die von Vätern und Brüdern mit einem verqueren patriarchalischen Frauenbild konfrontiert werden. Und eigentlich sind die Jungs in seinen Stories keine größeren Verlierer als jeder andere in dem Alter auch. Sie fühlen bloß in ihrer Subjektivität jeden Fehler, jeden Rückschlag, jede Demütigung tausendmal größer als sie eigentlich ist, während sie herauszufinden versuchen, wer sie selbst sind. Und warum.
Und ob nun der Elfjährige in der Kneipe, der das markiert, was er unter Starkem Mann versteht, oder sein Altersgenosse am Strand, der mit seinem Urlaubsflirt ungelenke Sandburgen baut, alle sind sie tragikomische und dabei absolut lebensnahe Figuren, die anderen nichts vormachen können, sich selbst aber alles. „Er hatte sich daran gewöhnt, erniedrigt zu werden. Wenn wir zu den Kleinen nicht so grausam wären, vielleicht würden uns die Großen dann auch nicht so grausam behandeln, dachte ich.“ Das könnte auch von Behzat C. In einem seiner nachdenklichen Momente stammen ...
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