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Meine gedichtgetränkte Hand

Neue Übersetzungen iranischer Lyrik
  Kritik
Seyed Ali Salehi
Geboren in ein verworrenes Lied
Gedichte
Sujet Verlag 2013


Noch immer gibt es in der iranischen Lyrik viel zu entdecken, zumal nur wenig ins Deutsche übersetzt wird. Der Bremer Sujet Verlag, der eigent­lich auf Literatur von Schrift­stellern im Exil spezia­lisiert ist, hat pünktlich zur Frank­furter Buch­messe die ersten drei Bände der Edition Moderne Irani­sche Lyrik ver­öffent­licht, um der irani­schen Gegen­warts­lyrik in deut­scher Sprache ein Forum zu bieten. So etwas ist kein leichtes Unter­fangen, ein ver­lege­risches Wagnis, zumal das Publikum hierfür selbst unter jenen, die sich für Lyrik in­teres­sieren in Deutsch­land leider ver­schwin­dend gering ist. Zur Buch­messe sollte einer der drei Lyriker, Seyed Ali Salehi, nach Deutsch­land kommen, um bei Verans­tal­tungen in der Niko­lai­kirche im Rahmen von Open Books sowie auf der Welt­emp­fang-Bühne in Halle 5.0 über das Schreiben unter Zensur zu sprechen. Doch er erhielt kein Visum. Nicht die irani­schen Behör­den stell­ten sich quer, sondern die deutschen. Ein Trauer­spiel. Salehi grüßte das Publi­kum per Brief und monierte die herab­lassende Behand­lung in der deut­schen Botschaft in Teheran. Kultur­aus­tausch geht anders. Andere Ver­lage berichteten während der Messe von ähn­lichen Pro­blemen. Offenbar besteht bei hiesigen Büro­kraten noch großer Nachhol­bedarf.

Salehi, 1955 geboren, lebt in Teheran und gehört zu den gewich­tigsten lebenden Dich­tern Irans; Sujet-Verleger Madjid Mohit kennt ihn seit der Kindheit, sein Vater ver­öffent­lichte Salehis erste Werke bei Mohit Publications in Iran. 1975, mit gerade mal neun­zehn Jahren, erhielt Salehi zu­sammen mit Hous­hang Golshiri den renom­mierten Forough-Preis, benannt nach der Dichterin Forough Farrokhsad. Er war Vor­sit­zender des irani­schen Schrift­steller­ver­bands und gründete mehrere Lite­ratur­zeit­schriften, die stets recht schnell der Zensur zum Opfer fie­len, er selbst wurde aufgrund seiner Arbeit immer wieder ver­haftet und verhört. Dass seine Brief­gedichte in An­lehnung an Nima Yushidj nun auf Deutsch vor­liegen, ist ein enor­mer lite­rarischer Gewinn. In den Acht­zigern prägte er den Aus­druck „Dialog-Poesie“, ein lyri­scher Stil, der auf Forough zurück­geht und den Salehi dann poeto­logisch maß­geb­lich mit geprägt hat. Madjid Mohits Vater publi­zierte die „Briefe“ in der Origi­nal­fassung, er selbst über­setzte sie ins Deutsche, das vorliegende Buch trägt den Titel „Geboren in ein ver­wor­renes Lied“.
  Die sechzehn Brief­gedichte sind mit leiser Stimme erzählt, aus ihnen klingt vor allem die Frage danach, was Heimat ist. Salehi wuchs in einfachen Ver­hält­nissen in länd­licher Umge­bung auf, bevor er als Dich­ter in die Haupt­stadt zog, der frühe Ruhm be­scherte ihm vor allem Proble­me mit den Behör­den, umso­mehr nach der Islami­schen Revo­lution von 1979, auf die die Kultur­revo­lution folgte. Kriti­sche Stim­men wurden noch härter ver­folgt als schon unter dem Shah-Regime. Salehis Ge­dichte schwan­ken zwischen Hoff­nung und Resig­nation, suchen die kleinen Licht­flecke im Leben unter der Diktatur und bedie­nen sich dabei trotz der modernen Form gerne bei klas­sischen Natursymbolen. „Es ist falsch, Rira. / Komm, wir zählen die Schritte / bis zum Denkmal des Baums“, heißt es im sechsten Brief. Und im elften: „Das war unser Fehler, / dass wir im Traum die Wasserschale / für die Quelle hielten.“

  Shams Langrudi
Ich laufe auf deinen Füßen
Gedichte
84 Seiten
Sujet Verlag 2013

 


Shams Langrudi, geboren 1950, lebt eben­falls in Teheran und ist mit einer Gesamt­auflage von über 5000 Exem­plaren einer der meist­gelesenen Lyriker Irans. Wir sehen: Auch dort ver­kauft sich Lyrik nicht sonder­lich gut, obwohl sie so tief in der Alltags­kultur ver­wurzelt ist. Shams ist populär, er schreibt eine zart-ver­zwei­felte Liebes­lyrik, deren Bild­sprache in der Natur ver­haftet ist, durch die immer wieder das Göttliche schimmert. Sein Vater war Geistlicher. Sein Debüt „Das Ver­halten des Durs­tes“ erschien 1976, sein jüngster Band, „Die Nacht ist eine öffent­liche Maske“, zementierte seinen Erfolg. Eine Auswahl seiner kurzen Gedichte übersetzte die in Frank­furt lebende Lyrikerin Leila Nouri Naini unter dem Titel „Ich laufe auf deinen Füßen“. „Ich danke dir, Birnenbaum, / dass du die Form meines Herzens angenommen hast. / Wie einsam ich doch war ...“ Diese Verse waren ihr erster Kontakt mit Shams, und sie ließen sie bis heute nicht los. Seine Ge­dichte kreisen um Liebe und Trauer, sind oft düster, wie es der modernen iranischen Lyrik so zu eigen ist, sind aber oft auch sehr hinter­sinnig. Das passt zu dem, was Salehi sagte, dass es das Schwierigste sei, komplexe In­halte in einer einfachen, klaren Sprache zu ver­mitteln. Bukowski sagte das auch und fügte an, es sei die größte Kunst überhaupt. Sie haben Recht. Nachdem während der Pro­teste der Grünen Bewe­gung im Sommer 2009 die Studentin Neda Agha-Soltan erschossen wurde, ver­arbei­tete Shams Langrudi seine Ein­drücke lyrisch. Dass er hier­für niemals eine Ver­öffent­lichungs­erlaub­nis seitens des Kultur­ministe­riums erhalten hätte, versteht sich von selbst, und so publi­zierte er die Gedichte online. Er ging damit ein nicht zu unter­schät­zendes Risiko ein, denn kriti­sche Blogger wurden und werden in Iran reihen­weise ver­haftet. Dass er verschont blieb ist seiner Popularität geschuldet.

  Vahe Armen
Unter einem Jasminstrauch
Gedichte
Sujet Verlag 2013

 


Der Dritte im Bunde ist Vahe Armen aus Teheran, 1960 geboren und seit einem Auto­unfall an den Roll­stuhl ge­fesselt. Seine Gedichte, „Unter einem Jasmin­strauch“, hat Hossein Mansouri über­setzt, der Adoptiv­sohn von Forough Far­rokh­sad. Er lebt als Autor und Über­setzer in München und hat auch zahlreiche deutsche Dichter ins Persische über­tragen. Vahe Armen hat, wie sein Name verrät, arme­nische Wurzeln und dichtet sowohl auf Farsi als auch Armen­isch und über­setzt zwischen beiden Sprachen. Von allen dreien ist er zweifel­los der poli­tischste Dichter. Die Diktatur, die Unter­drückung kommen bei ihm ganz offen zur Sprache. Er kritisiert aber auch die Dichter, die sich selbst zen­sieren und übt, so geschickt und subtil, dass die Zensur­beamten es ihm durch­gehen lassen, Reli­gions­kritik. „Ein weißgekleidetes Mädchen / gab dem Dichter im Regen / einen Spiegel / lächelte bemitleidend / und entfernte sich“, heißt es in einem Gedicht, und in einem anderen: „Die Schnur des Rosenkranzes / riss in meiner gedicht­getränkten Hand“.

Diese ambitionierte Edition ist ein Anfang, ein erster Schritt um neue Türen zu öffnen zwischen der deutschen und der iranischen Dichterszene; der nächste Schritt muss es sein, auch jungen, noch wenig be­kannten ira­nischen LyrikerInnen im Ausland eine Stim­me, ein Gesicht zu geben, denn sie sind es, die die Kultur des heutigen Iran aus­machen, und es ist schwer für sie, denn immer wieder werden sie auf das Poli­tische reduziert, das zwar zwangsläufig zu ihrem Werk gehört, weil Kunst in einer Diktatur per se ein poli­tisches Element hat, das aber eben nur das ist: ein Element. Die Vielfalt soll gesehen werden und vor allem die reichhaltige lyrische Bilder­sprache Irans, die schon Goethe verehrte, die aber bis heute in Deutsch­land nahezu unbekannt ist.
Gerrit Wustmann     22.10.2013    

 

 
Gerrit Wustmann
Lyrik