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Lütfiye Güzel
Let's Go Güzel

Blues & Rock 'n' Roll & Bukowski
  Kritik
  Lütfiye Güzel
Let's Go Güzel
Gedichte
88 Seiten
Verlag: Dialog Edition (2012)


Glaubt man den Massenmedien, dann ist Duisburg-Marxloh ein Fanal für all das, wovor Sarrazin und artverwandte Über­fremdungs­apokalyp­tiker sich fürchten, in aller Regel ohne je persönlich dort gewesen zu sein. Und da die braune Suppe Auflage bringt, wird sie in großen Kellen immer wieder ausgekippt. Ein paar Meter Luftlinie von Marxloh ent­fernt liegt Hamborn, Geburtsort von Lütfiye Güzel, um ihre offizielle Vita zu zitieren: „1972 als Poetin auf die Welt gekommen & so weiter“. Dieses & so weiter findet sich in ihren Gedichten und kurzen Prosatexten, die nach ihrem fulminanten Debüt „Herz­ter­roristin“ nun auch ihren zweiten Band „Let's Go Güzel!“ (Dialog Edition, Duisburg 2013) füllen. Güzel, das ist Türkisch und bedeutet Schön. Von einer ganz besonders melancho­lisch-bukows­kihaften Schönheit sind auch diese Texte.

Lütfiye Güzels Gedichte sind mal straighter Rock 'n' Roll, mal sanfter Blues; dass sie Bukowski verehrt, daraus macht sie keinen Hehl, und um die Konven­tionen des neuen lyrischen Main­streams schert sie sich einen Dreck. Sie schöpft ihren Stoff aus dem vollen Leben, aus den Niede­rungen der grauen Alltäg­lichkeit, aus den Fall­stricken des vergänglichen Fa­milien­lebens und dem Miteinander, das zum Neben­einander ver­kommt.

„was du verschweigst / behalte ich für mich“ lautet eins ihrer Kürzest­gedichte, die auf den Band verteilt sind, ein anderes („der serienkiller / er singt: / i love you“) erinnert an den Song „Serial Killer“ von Slash's Snakepit, eine dieser großartigen kurz­lebigen Bands, die kaum einer kennt, und die heute ebenso „Underground“ sind wie Lütfiye Güzels Lyrik.

Obwohl es auf den ersten Blick nahe­liegend ist, wäre es falsch, hier eine depres­sive Stim­mung zu attes­tieren, auch wenn der Tod, das Elend, das Grauingrau um jede Ecke lugt; nein, gerade das ist es, woraus die Dichterin eine unbändige Kraft schöpft, die immer wieder an das stör­rische „Dennoch!“ bei Camus erinnert. Ein Gedicht über ihren Vater beginnt sie so: „was für eine zeit / als an friedhöfen noch / beruferaten gespielt wurde“. Es sind gerade die Betrachtungen des Trivialen, die durchdringenden Momentaufnahmen, die hier einen ganz eigenen entlarvenden Charme entwickeln. In ihrer sehr lyrischen, lakonischen Prosa gibt es solche Szenen eben­falls und auch andere, die zum Schmun­zeln einladen oder zu einem wohligen Lächeln, etwa wenn das kleine Mädchen dem Vater anvertraut, dass es nie­mandem vertraue, und der Vater „schaut mich voller Stolz und Erleichterung an“.

Lütfiye Güzels Blick ist abgeklärt, bisweilen zynisch, aber der Zynismus ist sehr treffend. Kunst? Was ist das schon?

die
die davon leben

sie hängen selbst gemalte
bilder auf
& die menschen gehen davor
auf & ab
selbst gemalte bilder
die einfach nur
selbst gemalt aussehen


Ist das Pop, ist es Social Beat? Passt es überhaupt in irgendeine Schublade? Hin und wieder denkt man das beim Lesen, lässt sich aber immer wieder eines Besseren belehren. „Let's Go Güzel“ ist so hinter­sinnig wie der Titel, ein Spiel mit der eigenen Biografie und zugleich mit dem allseits akzeptierten Weltelend, das uns alle angeht – in Form von Gedichten, die wie eine Katze daher­kommen, die ganz genau weiß, wann sie die Krallen ausfahren muss.
Gerrit Wustmann     19.01.2013    

 

 
Gerrit Wustmann
Lyrik