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Julia Wörle
Liebe und andere Formen des Terrorismus


Mr. Wagner ist ein schäbiger, still vor sich hin alternder Bombenleger. Ich habe mein Leben lang darauf gewartet, mich in ihn zu verlieben. Er warf seinen Schatten achtlos in die Ecke. In jeden einzelnen Tag grub er seine Zähne tief ein wie ein Verhun­gernder. Daran erkannte ich ihn.

Seine Herzrhythmus­störungen am Imbisstand. Ein Gesicht wie Trocken­shampoo an trüben Sonntagnachmittagen. Kein Platz für Kaiserin Sissi und ihren weißen Zwergpudel. Erst Mr. Wagner zeigte mir, dass ich unter dem Belag aus unge­tanzten Walzern voll Anmut war. Dass meine Pro­thesen an der Sonne glänzten wie Gold. Meine halb­nackte Ver­wirrung faltete er Atemzug um Atemzug geduldig aus­einander. Wie war doch das Gras grün, wenn er darauf stand und die Arme in den Himmel streckte. Ich konnte ihn in jedem einzelnen Stockwerk meiner Telefon­nummer rascheln hören.

Beide lebten wir aus Konserven. Ich werfe alle Bomben nur für dich, sagte Mr. Wagner. Und ich wünsche mir, dass du stehst und hinhörst. Der Zerstörung genau zuhörst. Gib mir deine Pro­thesen, damit ich damit Musik machen kann. Wie fremd mir in diesem Augen­blick sein Lachen war. Er lachte mit doppeltem Boden. Nichts konnte mich halten. Ich fiel. Ein Gestern hatte es nicht gegeben. Wenn ich nach vorn schaute, konnte ich nichts sehen.

Da es so schnell dunkel wurde, drückte Mr. Wagner mich eng an sich. Wir stiegen gemeinsam eine Treppe hinauf, Herzschlag um Herz­schlag. Die Dächer der Stadt hatten eine Glasur aus Angst und Hitze. Alles war nackt unter den Augen der Sterne. Ich wollte da­sitzen und atmen. Meinen Atem in seinen Atem verschränken. Leere in Kopf und Herz. Das ist mein Geschenk an diese Wirk­lich­keit. Die Bomben warf Mr. Wagner, um ohne Unter­brechung lieben zu dürfen.

Die ausgerissenen Türen, die durch­brochenen Mauern, die schrillenden Sirenen der Polizei,das alles war Poesie. Brems­spuren auf der Strasse, Revol­ver­schüsse, Angst-schweiß und ver­geb­liche Flucht­versuche. Niemals ist ein Mensch be­gehrens­werter, als wenn er zum letzten Mal scheitert. Dann hat er keine Angst mehr vor Gedichten. Der Augenblick von split­terndem Glas in deinen Augen, ich sah ihn und begann, dich zu lieben. Das schrieb mir Mr. Wagner. Wenn du irgend­wann mein Blut auf dem Boden einer anonymen Tief­garage findest, dann weißt du, ich bin glücklich gewesen für die Dauer eines Aufschreis.

Ich musste es noch lernen, wie ich es aushalten konnte, Sekunde um Sekunde unter meinen Schuhsohlen zu zer­treten. Mr. Wagner erklärte mir das Licht. Er schenkte mir einen Fächer in allen hundert Farben des Jahr­markts. Und er tötete alle Sonntags­spazier­gänger für mich, damit ich nicht einsam wäre. Von ihm blieben eine Rauch­spur, der Geruch nach ver­branntem Plastik. Das Geräusch einer zufallenden Autotür.
Julia Wörle   08.06.2012   

 

 
Julia Wörle
Prosa