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Julia Wörle
Casino


Diesmal wird er sie mitnehmen ins Casino, sie seinen Freunden zeigen, als etwas, das er veredelt hat, heraufgeholt vom Bodensatz dieser Stadt, eins von den Fräuleins aus dem Drogeriemarkt um die Ecke. Er nennt sie tatsächlich „sein Fräulein“. Hoffnungslos altmodisch, aber sie mag, dass er sich darum einen Dreck schert. Dass er ihr immer wieder Blumen schenkt. Zumindest in der Zeit, bevor sie mit ihm ins Bett gegangen ist. Seit sie den Alten kennt, fährt sie kaum mehr Straßenbahn. Es ist eine Zeit der Taxifahrten und da sind seine Hände an ihren Beinen, schwer und selbst­sicher. Sein Atem stolpert wegen dem Paar Mädchenbrüste, das sie für ihn in ihrem Kleid aufbewahrt.

Nur ihr Mund verrät sie, diesen heimlichen Mangelzustand in ihrem Leben, es ist nie genug, das Wichtigste fehlt immer, es hat ihr einen hungrigen Mund gemacht. Das Licht der Straßen­beleuch­tung legt breite Streifen über ihre Gesichter, Start­bahnen des Lichts, denkt sie, als sie sein Gesicht so sieht. Seit sie ihn kennt, leistet sie sich ein ande­res Blond, eines, das weni­ger nach Katzen­gold aussieht. Für heute Abend hat sie frische Ret­tungs­ringe um ihr Lächeln gelegt. Hat sich als Rot­käpp­chen verkleidet. Seine Freunde warten schon, falten­los und ausge­schlafen. Die Frauen sehen sie an. Die Blicke wie ein Ver­größerungsglas auf ihr. Die Männer lassen ihre Neugier und Unge­duld lieber in den Whiskey­gläsern klingeln. Sie wollen sie fallen sehen. Und sich dann aus ihrer Höhe herab­beugen, so dass sie die dichten Netze ihrer Schatten über sie werfen können. Der Alte tut nichts. Er hat die Macht eines Magneten, er muss nichts tun, alles kommt zu ihm, gezogen allein von seiner Kraft.

Er gibt ihr Geld und lässt sie setzen, rot oder schwarz. Er amüsiert sich über die pickenden Bewegungen, mit denen sie ihre Chips setzt, über kurzen Glücks­sträh­nen, ihre kindische Freude darüber. Selbst auf das abgewetzte Hummergesicht des Groupiers lockt sie ein Lächeln. Das alles kann ihn nicht täuschen. Sein Fräulein ist auf dem Sprung, sie will eine Sprosse höher, sie sieht sich um. Die Quer­summe aus den Gesichtern aller anwesenden Frauen und kein Zweifel: Sie ist die einzige, deren Kleid glänzt wie eine reife Samenkapsel, sie ist die einzige, bei der man mehr als nur ein Geheimnis vermutet.

Drüben am anderen Spieltisch sieht sie einen Mann stehen, Langeweile aus reiner Kaschmir­seide. So einen will sie haben, nicht aber einen, der unbeweglich in seinem Panzer aus festem Fleisch sitzt. Sie will nicht mehr diese Lawine in den Augen des Alten los­treten, sein Bohren in ihr, um zu beweisen, dass er noch lebendig ist unter seinen Kalk­ver­krus­tungen. Fast hat sie begonnen, ihn zu lieben, seinen sentimentalen, fet­tigen Traum von einem Streifenpyjama und einem Haus im Grünen. Rechtzeitig hat sie aber gemerkt, dass im diesem Haus kein Platz für sie ist. Sie ist zu aus­gehungert, es fehlt ihr der harte Untersatz des Geldes.

Sie setzt rot, immer wieder rot und verliert auch das letzte Geld, sieht wieder in die Rich­tung des Alten und fühlt gleichzeitig das Wärmefeld seiner Blicke auf ihrem Rücken wie einen festen Griff, einen Stempel, der sie als registriertes Eigentum ausweist. Sie setzt auf schwarz und verliert wieder, denkt, was kann ich von schwarz lernen? Schwarz ist skrupellos, es schluckt alles, es gibt nichts preis.

Sie drückt die Chips in ihre Handfläche. Die Chips sind einzigen festen Umrisse in diesen unter­irdischen Strömungen unter dem Spannteppich, hinter den Ver­klei­dungen aus Eichenfurnier an den Wänden. Ich darf den richtigen Augen­blick nicht verpassen, denkt sie, ich muss auf ihn auf­springen, damit er mich von hier mitnimmt. Männer sind die physi­kali­schen Kräfte in ihrem Leben: Männer sind Ortsveränderung, sie können ihren Kör­per zum Fließen bringen oder zum Erstarren, sie sind der Schwerpunkt, um den sich alles ordnet, sie bestimmen die Himmelsrichtungen.

Da endlich sieht der Mann das erste Mal in ihre Richtung und lächelt. Es ist deshalb nicht schwer, einen ersten Satz los zu schicken, dann sitzen sie auf den Barhockern, sei durch­lässig wie Perlmutt, leicht wie Licht, befiehlt sie sich und schaltet das Meeres­leuchten in ihren Augen an. Jetzt ist sie unterwegs, nichts kann sie aufhalten. Alles, was sie hat, setzt sie auf schwarz, auf Kontrolle, auf das Leben im Tiefkühlfach, wo die Sekunden zu Sternen gefroren auf den Boden fallen. Alles viel schöner in der Laut­losig­keit des Frosts, keine Schiefer in der Haut, die sie sich am Alten einzieht. Und der Mann neben ihr das vollkommene Alibi für ein Leben im Wind­schatten. Sie setzt auf schwarz, auf die Nicht­materie, die vollkommene Bewegungs­losig­keit. Der Mann neben ihr wird sich nicht so schnell verbrennen. Wie würden sie staunen, wenn sie sich von einem harmlosen Rot­käppchen in eine biegsame, schnell zustechende Messer­klinge verwandelte. Und keine Filmmusik wird das Sterben des Alten begleiten.

Sie holt sich nur etwas zurück. Noch sitzt sie an der Bar und bestaunt artig den Mann, drückt leicht ihren Schenkel an ihn, sie schafft es sogar, ein bisschen rot zu werden. Auf ihrem Rücken brennt der Hass ein Ausrufezeichen durch das Kleid. Nur die Frauen können es lesen und flüstern in ihre Handtaschen: Die kleine Schlampe. Der Körper des Mannes legt sich um sie und sagt, diese Frau will ich betreten und ganz ausfüllen mit mir. Er schaut ihr unter die Haut, breitet seine Stimme aus wie einen dunklen dicken Teppich. Nimmt sie bei der Hand und zeigt ihr den Lauf seiner Sonnen, seiner Monde, fernge­steuert und selbst­be­rechnet. Ganz gerade sitzt sie neben ihm, Schatten sammeln sich in den Vertiefungen ihrer Schlüsselbeine, und sie weiß, dass er sie gerne dort anfassen möchte. Schon will er mit dem Zeigefinger ihre Wange streifen, die Linie ziehen, auf der er später seine Unter­schrift setzen kann, da gibt sein Telefon, das die ganze Zeit schon neben seinem Ellbogen liegt, ein paar bösartig elektronische Piepser von sich. Er dreht sich ein Stück weg von ihr, sie sieht ihn nicken, er sagt kaum etwas. Aber er kühlt aus und sie spürt, dass es viel Arbeit sein wird, seinen Körper wieder in das richtige Gefälle zu bringen. Er telefoniert nur wenige Minuten, aber als er sie wieder ansieht, sind seine Augen enger geworden.

Und sofort weiß sie, dass sie aussortiert ist. Jemand muss ihn auf ihre aufgeplatzten Nähte hinge­wiesen haben. Der Alte, sie sieht ihn lächelnd stehen und ihr zunicken. Er hat gewonnen, ganz nebenbei, aber umso tödlicher. Der Augenblick ist verpasst. Die Frauen lächeln sie an, siehst du, liebes Fräulein, für die Männer bist du nichts als ein kleines Missgeschick, mit einem Telefonanruf zu beseitigen, wir dagegen kühlen den Hass unserer Mütter und Großmütter mit einem weiteren Pfund Feuchtigkeitscreme. Auch wir haben die Klingen einmal gezogen, konnten aber nicht zustechen. Lieber haben wir unsere Wut im untersten Fach der Tiefkühltruhe verstaut. Und deshalb der Alte wird dich wieder mit­nehmen, geschultert wie einen Kleidersack ohne großes Gewicht, beiläufig wird er schon im Taxi zwischen deine Beine gehen. Und dich dann ausrangieren. Der Alte wird gut schlafen, du wirst höchstens einmal durch seine Träume treiben, ein toter Fisch, den geblähten Bauch nach oben.

Du hast recht, wenn du sagst, Männer sind physikalische Kräfte. Aber bei all deinen Berechnungen hast du die Schwerkraft vergessen. Schwarz oder rot, hast du dich gefragt, aber du hast nicht gewusst, dass dieses Spiel abgekartet war und die Reviere schon lang abgesteckt, noch bevor du geboren bist. Immerhin, einen Augen­blick hast du das Licht blitzen sehen auf deiner Klinge, und das war ein Augenblick makellosen Glücks.
Julia Wörle   08.06.2012   

 

 
Julia Wörle
Prosa