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Marc Oliver Ruehle
Headland Hotel
„Die Seele zieht ihren Nutzen aus dem Klima.“ Aus Die Inseln von Jean Grenier Überrascht, als wüssten weder König noch ich, wie wir hier her gefunden hatten; so also standen wir da. An meinen Knöcheln spürte ich winzige Wellen an Land schwappen und sah mich nach König um. Seine Zehenspitzen vergruben sich, und folgend seine Füße, unter der ersten Sandschicht. Er versank im Boden, damit Fersen und Ballen nicht verbrannten. Wir standen schräg hintereinander. Trotz desselben Untergrunds, auf dem wir uns bewegten, fühlte es sich unterschiedlich an. Das hier. Landschaft, die uns erfand. Hier war niemand. Der Küstenstreifen wiederholte sich unzählige Male zu beiden Seiten in die Entfernung. Das an- und abgrenzende Meer war für uns nur eine optische Täuschung. Es schien keine Punkte, Positionen oder Peilobjekte über dem Wasserspiegel zu geben, an denen wir uns da draußen hätten orientieren können. Ich organisierte mich zeitversetzt zu Königs Vorkehrungen und Abfolgen und watete in das klare, stumme Wasser, um meine Temperatur zu senken. Als ich auftauchte und wieder auf weichem Land strandete, lag König bereits in Tüchern und unter Schattierungen kleiner, wankender Blätter, an trockensprödem Geäst, das aus dem Buchtgestein stakste. Eine brutale, schöne Sonne stand mir auf der Stirn. König musste immerzu daran denken, was alles unter freiem Himmel eintreten, was dieses Blau alles anrichten könnte. König, der Architekt seiner Gedanken, traf Gegenmaßnahmen und zog mit zwei Fingerkuppen den Grundriss eines Wohnhauses in den Sand. Er sprach davon, dass einfache Übungen ihm helfen könnten. Ich fragte mich, wo wir waren? König sagte nur, wir könnten Karten nicht trauen oder doch, aber dann müsste man davon ausgehen, dass Orte einfach vergessen wurden. Ganze Gebiete. In dieser Antwort lag er am Strand aus. Die Rast eines Gehetzten. An und um ihn selbst brach die gestillte See entzwei. Es half nicht, dass sie gegenwärtig war. Die rotierenden Gedanken machten aus ihr ebenso eine Wüste, wie sie Meer war. Hitze härtete Sand. Sand lag aus auf dieser Insel und König war schnell danach, als würde er Strand. Über ihm lagen Menschen auf Frottee und stachen Zeltstangen in seine Haut. Manchmal Fähnchen. Sie übten Zeichen über ihm aus, die seiner Natur fern waren. Mit einem starken Halm riss ich aneinandergereihte Silben in meinen glattgestrichenen Sand, um mich daran zu versuchen, diesen Zustand festzuhalten, indem ich König wirklich kennenlernen sollte. König zweifelte wie gewohnt daran, dass dieser Ort tatsächlich existierte. Doch wir konnten noch nicht gehen, einfach so, wir wussten nicht, wie wir in diese Welt zurück gelangen konnten, die es uns so einfach machte, die großen Gefühle zu erlangen. Nur, dass wir dabei waren, in ihr zu verschwinden. König war windstill, man hätte ihm die Vögel aus der Luft greifen und reichen können. Irgendein Käfig hätte sich schon finden lassen. König nistete in einer eigens arrangierten Senke, lag über seinem linken Ohr und hatte sich abgedunkelt. König war ein Scheuer in meinen Augen. Er kniff gern. Vor einem ZUSEHR oder zuviel. Es gab genug Fragen, welche König nach einer Antwort verlangten. Nun waren wir aber Holiday zusammen und luden uns dennoch aus von den Festen, die das Glück, gleich hier, keine Kilometer entfernt, abhielt. Unsere Melancholie vertrug keine Cocktails und auch keine Abenteuer. Wir waren die Verweigerung. Wir hätten es versuchen können; ein vergeblicher Test, mehr nicht. Eine Gefahr musste doch in der Luft liegen können. Ich sah auf die Brandung und wartete auf Sturm. Das war ein unrealistischer Status. Doch wenn es Sturm gegeben hätte, wäre ich mir entrissen worden. Die Random – Returns der Störgeräusche und Unruhen nahmen mit voller Kraft Anlauf. Weder eine Spur noch eine Windrichtung konnte ich erkennen, die sie ausgelöst hatten. König und ich lungerten brach im Sand und brach auf der Insel und wehrlos stocherten wir in die Fragen. (Muss es immer Liebe sein und wann ist der Zustand gut genug?) Wir schrieben und versendeten selbsterzeugte Ansichtskarten von hier und wollten Anteil nehmen lassen an etwas, das wir selbst vor Ort weder einsehen noch begreifen konnten. Manchmal dachte man dann, dass Bedürfnis der einzige Grund sei, sich mitzuteilen. Ich bemerkte, dass König immer dann zu malen begann, wenn er dachte, damit an den Nullpunkt zu gelangen. An den Anfang einer Skala. An der man Dinge bemessen kann, sie beginnen oder enden lässt. Die Aquarelle seiner Beobachtungen trockneten innerhalb kürzester Zeit. Nur eine Handbewegung, einen Pinselstrich von ihm entfernt waren sie vor mir ausgelegt. Die Oberfläche des Papiers war rau. Wenn ich ganz nah hinsah, flossen die Töne der Farblandschaft in kleinen Schluchten und Kanälen hinein, versiegten dann und übertrugen einen Eindruck. Hielten es fest. Mindbooks gegen das Nichtsein. König saß und las, unterstrich Zitate und Zugvögel. Am Himmel, die keine waren. Am Himmel, die keiner außer ihm sah. Als die Flamingos von ihren Flügelschlägen in die Luft getragen wurden, sah man ein Fastschwarz ihres sonst verschlossenen Gefieders und der graue Eindruck erschrak uns, uns, die wir nur mit Rosa gerechnet hatten. König war ein Indianermann. Von Federn geschmückt. Ich sah ihm gerne zu. Vielleicht tut man (sich) Unrecht an, auch nur irgendetwas über den anderen zu empfinden. Ich sah König immerzu an und stand bis zum Nabel im Wasser, mit dem Rest meines Oberkörpers weidete ich in gleißendem Sonnenlicht. Meine Stirn war von Linien durchzogen, die Schultern angespannt, die Arme verschränkt und Königs Augen hatten Sichtkontakt mit der Leere. Draußen auf dem Meer schwammen sehr wahrscheinlich Tiere hin und her. Einfach so löste ich mit dem Einwegapparat aus. Click and run. Das Foto rutschte über eine Ziffer und wurde zur Nummer unzähliger Erinnerungen, die nun nicht mehr vergessen werden konnten: zu zweidritteln Himmel, dann eine Linie, dann Wassermasse. Die Natur um uns brach einen Korridor für uns frei. Die letzte Spur von Flur und Freileid. Wir hatten seit langem keine Wahl, seitdem es die Möglichkeiten gab. In den Buchten um das alte Erzstädtchen A. lag ein Chromschimmer über den Steinen. Silber aus frühen Jahren. Die Karte gab einen Namen vor, doch wir bemängelten etwas sehen zu müssen, was wir nicht kannten. König schwand die Aufmerksamkeit für die sprachlose Hitze, das abgestandene sternklare Meer, und dass er nicht allein war in sich. Wir hockten beieinander und unsere Rücken bogen sich zu Halbmonden; ich machte für irgendwen eine Bewegung mit den Armen, ließ sie über mir kreisen. Ein Zirkelschlag für König. Und da jeden Tag alles in Frage gestellt wurde, existierte nichts oder nicht viel. So kam unser Gespräch auch nicht über das allerletzte Schweigen hinaus. Das Meer drückte mit Bugwellen an uns, als wir unsere letzte naive Zufriedenheit verschiffen wollten. König kam mir gehäutet vor. Hinter seinem zarten, unschuldigen Lächeln rollte und rammelte der Krieg. In den Wenn – Denns der headlands verbarrikadierte König sich vor dem Leben. Ein Dauerbeschuss. Und ich musste mir das ansehen, weil ich Freund bin. Freund von König und Freund von Zweifelsfällen. Und da König auch beides war, mochte ich ihn. Damit steckten wir uns an und fanden bald am Feuer unser Nachtlager. Belegten das Brot landestypisch. Auch so würden wir wieder hungrig aufwachen, dass wir schliefen, schließe ich nicht aus. Der Rest lag in Schwebe. Ich möchte Zuhause erleiden können wie König, doch momentan waren wir dabei, uns abhanden zu kommen. Der Heimatort und ich. Er sah mit mir seine Kindheiten durch. Wir reihten Karteien und Eintrittskarten aneinander, lochten und hefteten. Seiten und Weiten der Nacht. Die Abende davor. Die Aufnahmen, in denen nichts geschah, die Mädchen, die fehlten, oder die Anerkennung, die man brauchte. Das Nachspiel des Denkens. Leere Belichtungen. Wenn ich groß bin, möchte ich mein betagter Gärtner sein und als ich barfuß durch meine Rosenbeete ziehen. Im Leben stecken und junge Triebe verschneiden. Wir sprachen aneinander entlang. Gaben Geländer. Ein Treppenhaus. Draußen fingen die Steine und die Stimmungen die blaue Stunde ein. Draußen vor unseren Augen. Was gehört nicht mehr zum Luftholen?, stellte ich in den Raum aus Bucht, Strand und Ferne. Eine Luftart ist wohl der Atem, erklärte König und wünschte sich erneut Regung, eine bewegte, schwere See, zumindest eine kleine Bewölkung. Irgendetwas, das eintrat. Wir lachten. Ganz aus der Ordnung gezogen, unkontrolliert. Unsere beiden Ferienfiguren wuschen die Haare im Salz. Badeten die gebräunte, deutlich bessere Haut im Fernwehraum und wickelten sie mit luftgetrocknetem Sommer ein. König biss bewusst in Brotscheiben und Hybridantworten, Früchte und Kummer. Die Sonne wuchs auf und bekam bald ihren höchsten Stand. König schlug den Block auf und tauchte ein. Er war ein so schöner Schwimmer. Ich öffnete zwei Pfirsichsaftfläschchen mit selber Hebelbewegung, mit der er sich stets aus dem Wasser stemmte. Zwei Kronen im Sand. Die Gabe, das was er sah, in Farbe (und Zweifel) zu übersetzen, hatte er inne. Die Bilder seiner Angst waren dabei gewaltiger als die Auswirkungen, die sie haben könnten. Königs Aquarelle ließen mich daran teilhaben: Linien, durchgezogen und gehaucht, plötzliche Bewegungen, ja Eingriffe, Küstenformen, Kakteen, Blumen und Windräder, Symmetrien und Striche, Verstrickungen und eigene Sterne, Handzeichnungen von Hindernissen, Schablonen von Silhouetten. Wann wir die Bucht und den geträumten Ort am Ende dann verließen, weiß ich rückblickend nicht zu bestimmen. Wir übergaben diese Stelle sauber und aufgeräumt, als sei sie Familienbesitz. Als seien wir nie dort gewesen. Daraufhin folgten wir dem Strom nordwärts, auf der Fährte von Gefilden, die uns abgleichen könnten. So unterschiedlich waren wir kaum, um keine Übereinstimmung zu finden. Der Mietwagen summte und schaltete automatisch. Wir ließen das Radio Volkslieder spielen, um das künstliche Motorengeräusch zu übertünchen. Wir nahmen die Strecke wahr und nichts tat weh, die Polstersitze federten die Lücken und Leerstellen im Inselasphalt. Die Strecke machte Sinn. Umso weiter sich die Landschaft auffaltete und die Baumansammlungen sich lichteten, desto lauter und dröhnender wurden meine Geräusche. Eine gute Mischung aus Einflüssen aller Art. König verachtete den Verkehr. Wir waren froh über die Pfeile, Seitenstreifen und Kilometerangaben. Es hieß, es müsste etwas kommen, das uns weiterbringt. Wir fuhren all das ab, was das Meer uns noch davon übrig ließ. Wir hatten die begleitenden Badebuchtmöglichkeiten, den Sand, das Meer so oder so, aber keinen Hafen. Nicht mal einen easyJet-Airport. Wir waren so gelöst, dass wir von unserer Bildfläche verschwanden. An meinen Ellenbogen spürte ich den Fahrtwind und Königs rechter Fuß drückte auf das Gaspedal. Wir bewegten uns auf gleicher Höhe. Mit letzter Gewissheit, eine Projektion, als Sehnsuchtsträger würden wir finden können.
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