poetenladen    poet    web

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Nikola Richter
bremensien

ich komme vom norden her, von bürgerhäusern mit dunstabzugshaube,
von grünparzellen hinterm deich, die das flachland erkunden.
vom steifen wind, der sich im haar verhakt. da habe ich
im blanken kopfsteinpflaster die frühen siedler schimmern sehn.

sie trieben flußabwärts, damals,
mit trägem sinn und vorgerecktem kinn.
der erste sah, wie schwere wolken sich den horizont teilten,
dunkle tiere, schere, jagdgewehre, er warnte:
brüder, lasst euch sagen, bevor der torf zu sand wird,
bevor wir salz schmecken, sollten wir bleiben.
fremd werden. denn die fische sagen uns nicht,
was gut ist. wo der mut sitzt. die brüder nickten stumm und blickten
ins wasser. sie hatten die schwarzen segel gehisst, die boote geteert,
ihre frauen schliefen fernab in lehmhütten, in hügeln aus holzkohle
und knochenstaub, im modernden schilf. da merkte man,
ob die suppe dünn war, ob das lager gewärmt, die kinder fröhlich,
ob die angst sich mit schwelenden kräutern vertreiben ließ.
der zweite strich seinen bart zurecht und sprach: dort, seht
die düne, seht die dünung, seht die dünne spur der hühnerfüße,
die hinaufführt und sich nicht beirren lässt vom rieselnden untergrund.
wo sich die henne niederlegt mit ihren küken, kanns so schlecht nicht sein.
und der dritte sagte: lasst uns antäuen und ein zelt bauen,
und sehen, ob wir trocken durch die nacht kommen.
als dann der donner über ihnen grollte und sich die wimpern einzeln ausriss,
pfeile schmiss, als das wasser im fluss anschwoll,
schliefen die männer schon die träume, die aus einem einzigen garn
gestrickt werden, und rieben ihre wangen in den schüchternen berg.
die frauen sangen in dieser nacht unisono. sie packten
sieben sachen, legten sich zu bett in frischgewaschene laken.
und träumten vom welthandel mit wolle und china.

und wenn die jahre sich stoppeln, wenn sie sich wie nichtverwesende leichen
in einem keller stapeln lassen, mensch neben affe neben katze,
wenn die haare nicht ausfallen, nicht in all der geschichte, die sich
ins fäustchen lacht, da werden die männer an ihren amuletten rütteln,
wird der roland seinen blick schärfen gegen freiheitsschnitte,
wird die vulkan werft daran erinnern, was am hafen dran war.
und dem menschen, der da unbedarft über den marktplatz geht,
kohl und pinkel im korb, wird ein rotes barthaar wachsen,
das blinkt in der tiefstehenden sonne, zwinkert dem wetterhahn zu,
der den weitblick hat über das sich wölbende land.

das habe ich gesehen im norden, wo das wasser weicher ist,
wo sich die seemannsknoten vererben und die geheimnisse
aus roter grütze jeden sommer flecken auf gestärkten hemden hinterlassen.
wo die männer jeden winter wetten, ob der fluss zufriert.
obwohl doch jedem klar ist, klar wie der schnaps, der dazu fließt,
dass der fluss nie steht, weil er begradigt, immer geht.
Nikola Richter    17.04.2012   

 

 
Nikola Richter
Lyrik