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Antonin Artaud
Van Gogh, der Selbstmörder durch die Gesellschaft

Mit Kunst über den Ernst der Kunst
Antonin Artaud | Van Gogh, der Selbstmörder durch die Gesellschaft
Antonin Artaud
Van Gogh, der Selbst­mörder durch die Gesell­schaft
Matthes & Seitz 2009
Antonin Artaud, über den es etwa bei Derrida irrwitzig komplizierte Dinge zu lesen gibt, hat selbst nicht leicht geschrieben, wie er auch nicht leicht gelebt hat. Die Leidens­erfahrung der Psychia­trie als Ort des blanken Ter­rorismus, die etwa in Sylvère Lotringers Buch Ich habe mit Antonin Artaud über Gott gesprochen eindrucks­voll geschildert wird, und die ganz und gar nicht psychiatrie­bedürftige Beschäf­tigung mit Erzeugung von Kunst reihen Artaud in den martyro­logischen Baum ... der genialen Wahn­sinnigen (Derrida, Die soufflierte Rede) ein, den er selbst als erster skizzierte. Eine königliche und prototypische Stellung in diesem Stamm­baum nimmt für Artaud Vincent van Gogh ein. Diesem Maler, der erst als Wahnsinniger eingewiesen und später durch Kunst­druck­inflation verharmlost und entschärft wurde, hat Artaud ein veritables Denkmal gesetzt, das sich in dem Maße gewalt­tätig gegen eine Verein­nahmung durch den staats­tragenden Reprä­sen­tations­kontext „Denkmal“ sträubt, wie es die vielen zu Dekorations­zwecken herab­gezogenen Sonnen­blumen selbst ich mehr können. Artauds Van Gogh, der Selbstmörder durch die Gesell­schaft, das nun in einer erweiterten und neu korrigierten Ausgabe bei Matthes & Seitz erschienen ist, ist ein Schriftstück über das gnaden­lose Ernst­nehmen von Kunst.

Denn es gibt keine Hungersnot, keine Epidemie, keinen Vulkan­ausbruch, kein Erdbeben, keinen Krieg, ... der dem neurotischen Schicksal der Dinge derartig den Hals umdrehte, wie ein Gemälde van Goghs. Sätze wie dieser charakteri­sieren den harten Kontrast, den Artaud zwischen künstlerischem Genie und dem ungenialen Rest der Welt aufspannt; zwei Pole die sich in einer psychischen und physischen Vendetta gegenseitig verfolgen, ver­unsichern und verletzen: wobei der vorder­gründige Sieger meist feststeht und der scheinbar unter­legene Künstler eben durch die Kunst (in geradezu frühromantischer Art und Weise) doch als Triumphator steht und/oder untergeht. So erklärt sich auch der Titel des großen Essays: immer wieder beharrt Artaud auf opaken Kausalitäten, deren bestialische Wirkung van Gogh in den Selbstmord getrieben hat: Ärzte, Psychiater allen voran, aber auch der Bruder Theo, die Gesellschaft in jenem Sinn, der ihr die Kunstwelt abrechnet. Dass der Maler verrückt gewesen sei, erscheint so nur als Meinung und Nihilierung aus Selbstschutz, in der die unwilligen Betrachter überein­gekommen waren.

Für die Erschütterungen und auch Bedrohungen, die von Kunst ausgehen können, findet Artaud Worte. Denn der Text ist selbst von einer künstle­rischen Machart, staunenswert ist die Präzision der (bild-)beschrei­benden Metaphern und die archaische Gewalt der Wortwahl, besonders da, wo Artaud die Landschafts­gemälde beschreibt. ... diese Landschaft aus ge­schmol­zenem Gold, aus Bronze, die im alten Ägypten gebrannt wurde, wo eine gewaltige Sonne auf Dächern lastet, die so unter dem Licht zusammen­brechen, dass sie sich wie in Zersetzung befinden, heißt es da, oder: Seine Landschaften sind alte Sünden, die ihre primitiven Apokalypsen noch nicht wiedergefunden haben, aber zweifellos finden werden.

Artauds Text hatte, bei aller lyrischen Ortlosigkeit, einen sehr konkreten Anlass, namentlich eine Ausstellung im Musée de l'Orangerie 1947, und die Arbeiten zogen sich über ein gutes Jahr hin – bis zu Artauds Tod im März 1948. Die Ausgabe von Matthes & Seitz, die mit einer klugen Anspielung in Blau und Gelb gehalten ist, gibt zu der Ausstellung und dem Entstehungs­kontext des Werkes ausgiebig und detailliert Auskunft: bis hin zum einzelnen Gemälde, das Artaud in der Ausstellung vor Augen hatte, und den Büchern, die er nach der Ausstellung als Gedächtnisstütze verwandte. Zudem enthält die Ausgabe das letzte „Interview“, das Artaud gegeben hat und von dem Jean Marabini berichtet. Dieser kurze, aber atmo­sphärisch sehr dichte Text, der auch den Haupt­unter­schied zu älteren Ausgaben des Buches darstellt, erscheint hier erstmals in deutscher Übersetzung.

Das Nachwort hingegen gerät sehr sperrig. Der Übersetzer Bernd Mattheus, der auch dieses Nachwort beisteuerte, schreibt an Artaud-Zitaten entlang, die teils dem Van-Gogh-Essay selbst, teils dem Umkreis dieser Schrift entstammen. Wenn Briefe zitiert werden, kann das aufschluss­reich sein, denn die Gesamtausgabe hat wohl nicht jeder im Regal. Die Auslegung kreist dabei aber immer wieder um die Künstler des martyrologischen Baums und bietet wenige Stich­straßen zu den anderen Werkbereichen Artauds. Problematisch wird diese Praxis zusätzlich dadurch, dass die Zitate nicht deutlich gekenn­zeichnet sind: der Sprecher­wechsel irritiert, der Stil verschärft sich urplötzlich, und erst am Ende der langen Zitate deutet eine kleine hoch­gestellte Zahl darauf hin, dass hier Artaud zu Wort gekommen ist. Dieses Duett von Mattheus und Artaud wirkt zunehmend unüber­sichtlich, da sich Mattheus deutlich infiziert vom Duktus Artauds zeigt.

Aber schon allein für die Leser Antonin Artauds ist die Inkubationszeit kurz und der Ausbruch bezeichnend. Das Buch ist, wie Artaud über van Gogh sagt, bewaffnet mit Fieber und guter Gesundheit. Darin hat es wirklich unentrinnbaren Charakter.

Tobias Roth wurde 1985 in München geboren, studierte Deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg. Er verfasst Essays, Rezensionen und Lyrik und lebt heute in Berlin.

Tobias Roth     18.04.2009    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen
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