Schon allein, um die Tradition dieser Tendenz zu betrachten, lohnt sich ein Blick auf diesen nicht angemessen bekannten Dichter der 70er- und 80er-Jahre. Aber das ist noch das mindeste: Jörg Fausers Lyrik besitzt eine Unmittelbarkeit, einen Sättigungsgrad und eine Deutlichkeit der Bilder, die z.B. auch am gegenwärtigen Punkt dieser Tradition vielen Versen beim Abtasten der Realia abgeht. Mit den Gesammelten Gedichten Jörg Fausers ist, aller Zeit zum Trotz, ein in jenem ästhetisch positiven Sinne sehr neues Buch vorhanden. Der vorliegende Band stellt den vierten Teil der Fauser-Gesamtausgabe dar, die seit 2004 im Berliner Alexander Verlag erscheint. Das massive, fest gebundene Buch versammelt alle greifbaren Verse Fausers, und die beiden zu Lebzeiten des Autors erschienen Gedichtbände stellen nur ein gutes Drittel des Korpus. Neben den Songtexten, die in den 80ern für Achim Reichel und Veronika Fischer entstanden, finden sich auch die Gedichte aus dem Nachlass, die gute hundert Seiten füllen. Wiederum ein knappes Drittel der nachgelassenen Gedichte wurde aus den Manuskripten Fausers ediert, und ist in dieser Gesamtausgabe erstmals dem Publikum zugänglich. Im Anhang finden sich ein enthusiastisches Nachwort von Franz Dobler, sowie der Abdruck zweier Gespräche, die der Verleger Alexander Wewerka mit Achim Reichel und Veronika Fischer geführt hat. Eine verslumte, von Betäubungsmitteln aller couleur verheerte und ausweglos triste Welt, wie sie die Bildpsrache der Gedichte bestimmt, war Jörg Fauser aus erster Hand bekannt. Der 1944 in Bad Schwalbach geborene Fauser geriet 1966, nachdem er ein Studium der Ethnologie und der Anglistik abgebrochen hatte, in die Abhängigkeit harter Drogen; unstetes Leben in Istanbul, West-Berlin und Frankfurt. Um 1972 verschob sich die Sucht, allerdings hinein in den Alkohol. Die 80er-Jahre über lebte Fauser in West-Berlin und München, wo er am Morgen nach seinem 43. Geburtstag, als Fußgänger auf der Autobahn, mit 2,64 Promille, von einem Lastwagen überfahren wurde. Der Lyriker Fauser, um den es hier geht, veröffentlichte zwar „nur“ zwei Titel: Die Harry-Gelb-Story, 1973 und Trotzki, Goethe und das Glück, 1979. Diese zwei Bände aber enthalten wichtige Dichtungen, nicht zuletzt in Bezug auf den überseeischen Kulturimport, den sie leisteten. Die prägenden Vorbilder der deutschen Nachkriegslyrik rückten hier fort von der europäischen, sog. Klassischen Moderne, hin zur amerikanischen Tradition eines Charles Bukowski, Jack Kerouac und William S. Burroughs. Fausers Lyrik montiert und verdichtet gesehene Bilder, aufgefangene Wörter, Orte und Namen zu einem Destillat von knapper Erzählung und erzählender Szene. Mit einem scharfen Blick führen diese Gedichte auf Straßen und Schauplätze bundesdeutscher Tristesse. Die Haltung des lyrischen Ichs zur umgebenden Welt ist dabei nicht einfach und eindeutig: die Welt ist unübersichtlich, und keine Ideologie lindert mehr den Perspektivismus. Aus der Mitte einer revoltierenden, radikal antibürgerlichen Existenz spricht hier der Überdruss am "Anti" immer schon mit: Fauser war, wie es in dem autobiographischen Roman Rohstoff heißt, ein Außenseiter, der auch bei den Außenseitern auf der Außenseite saß. Das müde Ich packt seine Missgunst in Flüche, in alle Richtungen, nach oben und unten, nach links und rechts, oder erzählt knappe Geschichten, deren Figuren sich selbst entlarven. Das Titelgedicht des zweiten Lyrikbandes beispielsweise, Trotzki, Goethe und das Glück, führt die Hardliner, die Mitläufer, die ganze und jegliche Revolution vor. Die Sprache konzentriert sich dabei zu größter Lakonie, ohne einfach zu werden: aus dem Fluchtpunkt einer kleinen Liebesgeschichte entrollen sich ganze Lebensläufe und -haltungen. Kaum war ich von der Spritze runter, Und Trotzki? Schrie Louise, Die Gedichte Fausers prägt die Unmittelbarkeit, hinter der viel Arbeit steht und kalkuliertes Niederschreiben, und die sich nicht selbst als bloße Erlebniserzählung auslaugt (vgl. nicht nur die neuere Literatur: dieses schönste Paradox der Kunst findet man ja schon in den Zeichnungen von Urs Graf, bei Goethe und Heine, Haydn, etc., das kennzeichnet m.E. die berüchtigte „Hochkultur“). Das Verstörende und Überwältigende an dieser Lyrik ist aber zudem, dass sie, vor diesem Erfahrungshintergrund gesehen, überhaupt existiert, dass der Textdrang in Fauser stark genug war, um sich aus seinem Leben heraus an den Schreibtisch zu ziehen. Ähnlich abenteuerlich Gestalten, man denke etwa an Rimbaud, hatten das Schreiben über Lust und Misere gleich sein gelassen. Aber vielleicht ist das auch eine deutsche Angelegenheit, dass einer sich so vollständig aus der ihm bekannten Schriftwelt hinauskatapultiert, um sich später, wiederum gestaltend, ästhetisch revolutionär, mit neuen Einflüssen und einem Leben, wie von ganz woanders her, wieder in diese Schriftwelt hineinzukatapultieren.
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Tobias Roth
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