Die seitenstarke Zählung ergibt sich aus der markantesten Äußerlichkeit des neuen Periodikums, bzw. (ich folge der Selbstbeschreibung) Antiperiodikums. Mit einem Wort: Ein Taschentiger hat die Abmessungen eines Reclamheftes, er liegt in der Hand wie die Kreisleriana; die Seiten sind nur wenige Millimeter breiter. Und nun wird man der Herausgeberin mit gebotenem Respekt widersprechen dürfen: so etwas war durchaus nötig. Eine Zeitschrift, die sich geradezu puristisch des Texttransportes annimmt, und dem jungen urbanen Publikum mit urbanem Text und Pragmatismus entgegenkommt: ein Format für U-Bahnen, für die kleinsten Fächer des Rucksacks, ein Tiger in sämtlichen Taschen, ein Büchlein, das sich konzentriert wie ein Riegel oder Schlagbolzen. Damit endlich zu den Ingredienzien und Inhalten der Nr.1. Der Taschentiger versammelt Texte von noch weitgehend unbekannten Autoren, was allerdings nicht heißen soll, dass noch niemand etwas von ihnen gehört hat, oder man auf hiesiger Homepage nicht fündig wird. In dieser ersten Nummer sind Tom Bresemann, Niklas Hughes, Thomas Jacobs, Dominic Memmel, Ron Mertiny, Holger Sasum, Benjamin Schaefer, Clemens Schittko, Dominik Schönecker, Lutz Steinbrück, Bernd Ternes, Kathrin Weßling und Andreas Wagner zu Gange. Dem Ein-Wort-Motto des Gonzo Verlages getreu geht es hier mehr um Erlebtes, um Sprache, die sich auch sprechen lässt, um Boden unter den Füßen, im Großen und Ganzen mehr als um vertrackte Sprachkristalle; auch wenn einige der abgedruckten Gedichte durchaus mit dieser Sphäre liebäugeln. Im Taschentiger finden sich so ein Bericht von einer Frankfurter Kulturmesse, oder was eine hätte werden sollen, eine Musikreportage in verschiedenen Zeitzonen zu Rio Reiser, Erzählungen, in denen gereist, Zeit verbraucht, ge- und entliebt wird, Betrachtungen von Thomas Jacobs zu Zufall und Chaos, und eine scharfsinnige Analyse des Dschungelcamps von Bernd Ternes, um die bunte Mischung nur anzuschneiden. Dem Taschentiger angeheftet ist eine kleine CD mit zwanzigminütigem Akustikbonusprogramm: gelesene oder zum klanguntermalten Hörspiel erweiterte Texte und Musik, moderiert von der Herausgeberin Miriam Spies. Die schon angesprochene Bewegung durch den urbanen Raum kann vielleicht als das natürliche Biotop dieser bunten Mischung angesprochen werden, wozu auch die Länge der Texte stimmt: aber die Qualität der einzelnen Teile genügt auch dem „klassischen“ Lesen in einer bequemen und unbewegten Sitzgelegenheit. Ganz im Gegenteil wird man sich bei solcher stilleren Lektüre freuen, keine Haltestellennamen mehr im Augenwinkel behalten zu müssen.
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Tobias Roth
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