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Thomas Bernhard
Meine Preise

Ich danke dieser Jury
Thomas Bernhard | Meine Preise
Thomas Bernhard
Meine Preise
Eine Bilanz
Suhrkamp 2008
Der Literaturbetrieb hat die mäzenatische Dauer­förderung schon lange weitgehend durch den Literatur­preis ersetzt. Das hat den Nachteil, dass die Ehrungen und Besol­dungen nun Glücks­fälle und isolierte Karriere­momente sind, aber den großen Vorteil, dass man bei Belieben nicht nur Gutes über die Stifter zu reden und zu schreiben hat. Es bleibt über­lebens­wichtig in finan­ziellen Nah­tod­erfahrungen und verspricht gebündelte Auf­merk­samkeit – was auch immer man in diese Auf­merksamkeit hineinstellt. Von Thomas Bernhard, der als manchmal bis zum Skandal undiplomatischer Preisträger und vor allem -redner bekannt ist, sind nun bei Suhr­kamp kurze auto­biographische Prosa­stücke er­schie­nen, die die Geschichten von neun Preisen erzählen. Das Manuskript mit dem Titel Meine Preise, das 1980/1981 entstanden sein muss, fand sich als fertig überarbeitetes Typoskript im Nachlass Bernhard, und ist nun, zwanzig Jahre nach dem Tod des Schrift­stellers, endlich lesbar.

Im Feuilleton der SZ erschien zu diesem Stück Nachlass ein ziemlicher Verriss, der den Vorwurf überheblicher Schimpferei und übertreibender Misanthropie erhob, als könne Bernhard an nichts und niemandem ein gutes Haar lassen und bespiegele sich selbst. Gewiss spricht Bernhard mit unerlaubt privaten Kriterien und mit teils lakonischer Erbarmungs­losigkeit; Ansichtsache ist, ob man das nicht Ehrlichkeit nennen möchte. Gerade der Umstand aber, dass es sich um gefundene, nicht um erfundene Erzählungen handelt, um Memoiren, sollte nicht dazu führen, dass die beklemmende Wirkung der Radikalismen in der bernhardschen Diktion noch dringlicher und einschnürender wird, und eine Abwehrhaltung erzeugt, nur weil die Memoiren uns näher betreffen als die Fiktion des Romans. Die Anleihen an den Ton der tief pessimistischen Romane, bedeuten noch nicht, dass er Erzähler von Meine Preise eine ebenso unbeirrbare, grund­katastrophische Position zu Welt einnimmt. An Stelle der unabänderlichen Welt-als-Gebetsmühle-und-Vernichtung treten oft genug Verwunderung, Über­raschung, Spon­taneität, und sogar mit unbekannte Menschen kann man die Zeit aushalten oder gleich genießen. Die Hauptfigur ist oft, ja bleibt manchmal sogar über längere Zeit glücklich.

Die berühmten Wiederholungsfiguren und Refrainwörter Bernhards sind auch in den Berichten der Preisverleihungen präsent. Natürlich könnten beispielsweise diese Sätze auch im Roman Alte Meister stehen: Wie hasse ich diese mittelgroßen Städte mit ihren berühmten Baudenkmälern, von welchen sich ihre Bewohner lebenslänglich verunstalten lassen. Kirchen und enge Gassen, in welchen immer stumpfsinniger werdende Menschen dahinvegetieren. Salzburg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle ... Aber es ist hier wie da Komödie. Zudem sind solche Ausbrüche selten und verstreut genug, um als Selbstzitate, als Anleihen an die Atmosphäre der Romane zu wirken, so sehr stehen sie im Kontrast zum restlichen Erzählton. Denn insgesamt herrscht ein entspannter, ironischer Erzählerblick, der protokollarisch und sehr sparsam die Szenarien unter sich entfaltet. Bernhards Humor (naturgemäß bitter, österreichisch, hinten herum) ist deutlicher und heller als etwa in Frost, in dem der Autor, wie er sagte, selbst las, um zu lachen. Immer wieder werden etwa die berühmten Übertreibungen überstreckt und scherzhaft preisgegeben. Zum Grillparzerpreis erhält der Autor eine sogenannte Verleihungsurkunde, deren Geschmacklosigkeit wie die aller anderen Preisurkunden, die ich jemals bekommen habe, unübertrefflich war. Man müsste dem Autor schon den unsachgemäßen, ungeschickten Gebrauch des Superlativs unterstellen, wollte man das nicht als Scherz lesen.

Alle Episoden sind konzentriert und auf je eine Lebenspointe hin ausgelegt und erzählt. Die Biographiepflichtigkeit, ein Begriff, in dem Bazon Brock die kulturtechnische Konstruktion einer kohärenten Erzählung im Rückblick auf das eigene Leben zusammenfasst, feiert hier Feste mit offenem Visier. Zum einen, weil es der Sache nach wirklich viel zu erzählen gibt und das Leben die aufgeladensten Konstellationen bereitstellt, zum anderen, weil die Erzählungen sich, wie bereits erwähnt, entspannt für künstlerische Überformung offen halten. So wird das Leben, das die Situationen als über allem schwebende Pointe noch burlesker macht, wirklich in den Dienst der Kunst genommen. Deswegen sind alle Vorwürfe, es sei nur Selbst­bespiegelung (Bernhard als seine eigene Romanfigur) oder das übliche, verletzende Geschimpfe (Bernhard hat sich immer schon in allen seinen Erzählerfiguren selbst faksimiliert und protokolliert), gegenstandslos.

Die neun Episoden, die erzählt werden, sind außerordentlich, sind private unerhörte Begebenheiten, auch ohne dass extreme Sprache nachhelfen muss. Steigernde oder kontrastierende Zufälle, deren Nebenhandlung sich oft zur Haupthandlung noch vor dem jeweiligen Preis auswächst, und oft radikal impulsive Handlungen des Preisträgers wenden die kurzen Texte zwischen Extremen hin und her. Mit groben, aber pointierten Zügen, rasch und lapidar erzählt, folgen aufeinander etwa die überschwängliche Freude über den Preis, die Verwandlung des Preisgeldes in ein Cabriolet, die "sprichwörtliche" Freude am Fahren, glückliches Schreiben am Meer, schwere Verletzung durch Verkehrsunfall, Rechtsstreit durch Totalschaden, wieder Geldsorgen, aber Happy End.

Aus der schreibenden Distanz heraus lächelt Bernhard über sich als Preisträger, gleich ob er sich gefreut oder geärgert hatte, und je weiter er in die persona und damit in die typischen Besessenheitswiederholungen kippt, desto mehr. Eindrücklich schildert er etwa seine eigenen inneren Dynamiken als er von einem Liegen­schaften­händler dazu gebracht wird, einem als grauenhaft ruinös beschriebenen Bauernhof schlagartig und total zu verfallen.

Im Anhang des Buches finden sich drei Reden, die Thomas Bernhard auf Preisverleihungen gehalten hat, sowie seine Erklärung zum Austritt aus der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung; besonders letzte ist ein Dokument von verstörend bitterer, aggressiver und deutlicher Rhetorik. Zwar ist der Ton der Reden ungleich kälter (die Rede zum Bremer Literaturpreis thematisiert auch diese Kälte, die keine Temperatur ist), aber im Bezug auf die Episoden, in denen sie gehalten und erzählt wurden, bauen sie eine recht humor- und bedeutungsvolle Spannung auf. Zum Beispiel die Verleihung des Österreichischen Staatspreises. Die Szene: ... als der Saal unruhig wurde, ich wusste gar nicht warum, denn mein Text war von mir ruhig gesprochen und das Thema war ein philosophisches ... . Ich dachte, das ist ein ganz ruhiger Text, mit dem ich mich hier, weil es doch kaum jemand versteht, mehr oder minder ohne Aufhebens aus dem Staub machen könne. Und die Rede liest sich so: Die Zeitalter sind schwachsinnig, das Dämonische in uns ein immerwährender vaterländischer Kerker, in dem die Elemente der Dummheit und der Rücksichtslosigkeit zur täglichen Notdurft geworden sind. Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern ... verurteilt ist. ... Wir brauchen uns nicht zu schämen, aber wir sind auch nichts und wir verdienen nichts als das Chaos. Ich danke in meinem Namen und im Namen der hier mit mir Ausgezeichneten dieser Jury, ganz ausdrücklich allen Anwesenden.
Tobias Roth     21.02.2009    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen
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