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Ulrike Draesner
du
(drei monate später)
siehst du die wolke hoch oben, über der amsel, die saugende
sonne, daran? hörst die baumbüschel, die mistelzweige,
siehst die nester im leeren geäst? ringsherum geht die zeit. hier
und da schneit es uns. auf die erde, als seelchen, im rock
des körpers, und froh. zwischen den blättern, siehst du,
hüpft es im schnee, blinkt dich an. ein cyberjuwel, auf
dem gefieder der amsel. kristall, leichter als schnee.
die sonne schleckt daran. es summt. es sirrt. es ist
fiberglas, wie unter der erde, rot, wie in einer wand,
mutter, in dir. wie du da sitzt und denkst: du.
dich drehst, wegdrehst, suchst, nach dem ast. er pocht
dir in der hüfte, unter der jeans. lied, das da sirrt. ich
bin so leicht, als kleines, weggegangen, von dir.
du hast es gekauft. zwei goldfische schwimmen darin. grün
wedeln die arme der algen hinterher. immer in dieselbe
richtung schwimmen die fische im glas, im kreis. ihre
schwarzen augen sind wie der mond. auch er hat
eine seite, die ist uns immer abgewandt. das glas steht
in deinem bauch. du siehst mit der ader zwischen hüfte
und scham. ich schneie als winter ins zimmer hinein.
du lächelst. der mond, unsagbar, im zimmer drin.
kleine orange sterne schwimmen die fische um uns.
Ende des Zyklus bläuliche sphinx
zu einer fehlgeburt
Aus: für die nacht geheuerte zellen, 2001, Luchterhand Verlag
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