Umkreisungen 25 Auskünfte zum Gedicht
Herausgegeben von Jürgen Brôcan und Jan Kuhlbrodt
Mit Beiträgen von Andreas Altmann, Klaus Anders, Jürgen Brôcan, Matthias Buth, Hugo Dittberner, Dieter M. Gräf, Martina Hefter, Manfred Peter Hein, Henning Heske, Stefan Heuer, Norbert Hummelt, Ulrich Koch, Jan Kuhlbrodt, Norbert Lange, Christine Langer, Stefan Monhardt, Jürgen Nendza, Tom Pohlmann, Marion Poschmann, Bertram Reinecke, Lars Reyer, Walle Sayer, Ludwig Steinherr, André Schinkel, Mathias Traxler
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Jan Kuhlbrodt
Vom Diskurs zur Freiheit (Nachwort)
Was ist ein Diskurs? Wo geht er über ein Gespräch hinaus, über eine Diskussion, und was wird darin formuliert? Beinhaltet er die Suche nach dem Normativen, dient er der Verständigung, dem Selbstverständnis, oder kommt in ihm nur das Diskursive zum Vorschein, das Sagbare eben, dessen Bezug zum Konstitutiven eine eigene Theorie wäre?
Kann der Diskurs beendet werden oder läuft er aus? Und was ist ein Lyrikdiskurs? Ist er gereimt? Endet er in einem Gedicht oder ist er am Ende selbst Gedicht? Worüber sprechen wir, wenn wir über Gedichte sprechen, und mit wem? Fragen über Fragen.
Für Foucault, dem wir es wohl zu verdanken haben, dass im deutschen Sprachraum nunmehr jede Debatte, jedes Gespräch sich in einen Diskurs verwandelt, ist er ein Machtspiel, ein Feld, das Identitäten sowohl produziert als auch reguliert, kein Herrschaftsinstrument, sondern Herrschaft selbst, aber auch Widerstand, also alles andere als ein herrschaftsfreier Raum zur Verständigung.
Unsere Anthologie will in diesem Sinne kein Diskursbeitrag sein, es geht ihr nicht darum, Positionen gegeneinander auszuspielen; noch nicht einmal darum, ihre Wertigkeit zu überprüfen oder das diskursive Feld zu verschieben.
Jürgen Brôcan und ich hatten uns bei unseren Wolfenbütteler Begegnungen in einen postrevolutionären Raum der Freiheit geträumt, sozusagen in einen Welt gewordenen Essay. Freie Reflexion, Sprunghaftigkeit, unsere Gedanken tollten auf den Wiesen herum, ein Spiel, das die Wiese als Spielfeld aber auch ernst nahm. Was gäbe es Schöneres, als diesen Raum auch anderen zu öffnen. Der Gedanke an diese Anthologie war geboren.
Es ging uns darum, das einzelne Gedicht als einzelnes ernst zu nehmen und es in seiner Individualität zu belassen, denn jede Poetik hält sich nur so lange, bis sie durch ein gelungenes Gedicht widerlegt wird, das ihr widerspricht.
Und zu jener Individualität gehört auch das, was zum Gedicht geführt hat, also die Bedingungen seiner Entstehung, die Lebensumstände des Autors, auch der Diskurs, dem er entspringt, und vieles andere mehr, das in den Beiträgen der Autoren dieser Anthologie zum Ausdruck kommt und vielleicht ein tieferes Verständnis des Objektes ermöglicht, oder, um es vorsichtiger zu formulieren, einen Zugang schaffen kann zu diesem Gebilde, das ein Gedicht ist, und damit einen Zugang zur Lyrik überhaupt. Insofern wäre unser Projekt eher mit Meditationen zu umschreiben.
Zugang durch Umkreisung. Das kann vielerlei bedeuten. Zum Einen, die Umkreisung eines fernen Beobachtungsziels zur Datensammlung und zum besseren Verständnis, so wie die ISS die Erde umkreist. Oder die Umkreisung seiner selbst, ein Sufi in der Ekstase, wiederum zum besseren Verständnis und in der Hoffnung auf Offenbarung. Rationalität und Mystik.
In unseren Umkreisungen sind Autorinnen und Autoren verschiedenen Temperaments versammelt, die das Feld der Lyrik weniger abstecken, als dass sie es als Landschaft mit weitem Horizont betrachten.
Wir wollen damit den Zirkel der Lyrikkenner vorsichtig öffnen und uns breitere Leserkreise (zugegeben auch Käuferkreise) erschließen. Denn machen wir uns nichts vor, auch Lyrik spielt sich unter den Bedingungen des kapitalistischen Marktes ab, und jener Markt lässt nur verkäufliche Produkte zu, und auch Lyriker sind seinen Gesetzen unterworfen, weit entfernt von dem Zustand, durch ihre Produkte leben zu können. Relevanz bedeutet unter den Bedingungen des Marktes Umsatz. Wir werden daran nichts ändern und werden sozusagen Nebenerwerbslyriker bleiben. Man kann also unter diesem Gesichtspunkt hinsichtlich unserer Produkte von Relevanz kaum sprechen.
Es gibt aber jenseits des Ökonomischen noch ein anderes Kalkül. Jenes der Freiheit nämlich. Und nur so ist es zu begreifen, dass sich immer wieder Verlegerinnen und Verleger finden, die weitab jeder ökonomischen Vernunft Gedichtbände produzieren und damit Geld gleichsam verbrennen.
Ihnen und ihrem Willen zur Freiheit sei an dieser Stelle gedankt.
Vielleicht können wir mit unserer Anthologie dafür sorgen, dass der eine oder andere Leser einen Gedichtband zur Hand nimmt und unsere Begeisterung teilt.
Jan Kuhlbrodt, 2009
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Jürgen Brôcan und Jan Kuhlbrodt (Hg.)
Umkreisungen
25 Auskünfte zum Gedicht
poetenladen 2010
ISBN 978-3-940691-11-8
192 Seiten, 15.80 EUR
Das Buch im Verlag
Kapitel
1 Die Innenseite des Papiers
2 Reste in der Hosentasche
3 Handwerk und Rätsel
4 Wirklichkeitsmorgen
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Vor allem aber rücken einige Dichter dem Leser erstaunlich nah, ohne dass der Zauber ihrer Verse durch das Erhellen der Erlebnissituation leiden würde, aus der ihr Beitrag hervorgegangen ist.
Am Erker
Illustratorin Miriam Zedelius kleidetete die Umkreisungen subtil in ein Leichtigkeit verheißendes Gewand.
ND
In der unterschiedlichen Herangehensweise der Autoren liegt zugleich die Stärke des Bandes: So individuell wie die Autoren und ihre Gedichte sind auch die Perspektiven auf den eigenen Text.
Zeichen & Wunder
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Jan Kuhlbrodt 16.09.2009
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UMKREISUNGEN
netz und buch
Wöchentlich folgt
ein Beitrag online (*)
Jürgen Brôcan: Einige Vorsätze
Die Geometrie des Gedichts
dannmals, baldhin, dadorthier
Einige Zusammenhänge
SIND NOCH SCHWALBEN DA?
Ein Gedicht und seine Geschichte
Drei Gedichte – Zyklisches Schreiben
wärme (Kapitel: Wirklichkeitsmorgen)
ich denke oft an pieroschka bierofka –
ein sattes grün in kleinen schritten
Luftwurzeln
Hochhäuser bestimmen
Selbstdiagnose
Im Steinbruch
Da Apfl
die stille fällt ins wort
Fragmente einer naturwissenschaftlichen Poetologie
Belladonna
Bin wieder hier vorbeigekommen und habe diesen Text gesagt
L’ autre monde oder:
Von der Unmöglichkeit
Ins Leere
Mikroklima, Mikroflora, Mikrofauna
Nomaden
Das Pferd betreffend (Stücke)
Kraniche am Himmel –
oder wie ein Gedicht entsteht
J. Kuhlbrodt: Vom Diskurs zur Freiheit
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