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Dieter Schlesak
Gespräch mit Dominik Irtenkauf
Das Netzwerk der Securitate
Gespräch |
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„Das eigentliche Gefängnis
war innen.“
2010 fand Schlesak beim Studium seiner Securitate-Akte Spitzelberichte von Freunden und Bekannten über ihn, darunter auch von Oskar Pastior.
Website: Dieter Schlesak
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Die Securitate wurde 1948 als Staatssicherheit für die rumänische Volksrepublik gegründet. Maßgeblich an der Gründung war der sowjetische Innengeheimdienst NKWD beteiligt. So erklärt sich auch die zunehmende Brutalität der Securitate, denn ihr Ziel war nicht, wie es das Dekret offiziell beglaubigte: „der Schutz der demokratischen Errungenschaften und die Garantie der Sicherheit der rumänischen Volksrepublik gegen alle äußeren und inneren Feinde“, sondern die Durchsetzung der kommunistischen Parteilinie.
Dieter Schlesak wurde 1934 in Schäßburg (dem heutigen Sighisoara) geboren und geriet als rumäniendeutscher Schriftsteller und Redakteur in das Raster der Securitate. 1968 reist er zum ersten Mal nach Deutschland aus. 1970 erscheint beim S. Fischer Verlag sein Buch Visa. Ost West Lektionen, in dem er detailliert die Entfremdung in Rumänien durch die ständige Überwachung und Atmosphäre der Angst schildert. Aber auch in der BRD fühlt er sich nicht zu Hause, so dass er schließlich nach Italien zieht, um dort Abstand zur Vergangenheit zu gewinnen. 1989 reist er erneut nach Rumänien und es entsteht ein Buch zur Revolution: Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, 1991 bei Rowohlt erschienen. In dem Buch schlüsselt Schlesak die Rolle der Securitate bei der Revolution auf, spricht mit seinen Freunden und Bekannten, die die Revolution mitgetragen haben, über die Toten des Aufruhrs und die inszenierte Gerichtsverhandlung zur Aburteilung von Nicolae und Elena Ceausescu wie auch das vollstreckte Todesurteil an dem Diktatorenehepaar. Die Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit geschah in Rumänien nur äußerst schleppend. Als schließlich die Akten öffentlich einsehbar wurden, zeigte sich ein Geflecht aus Erpressung und Bespitzelung.
Das Thema kennt auch eine andere Seite: Schlesak veröffentlicht in der FAZ im Jahr 2010 einen Artikel zur Spitzeltätigkeit eines illustren rumäniendeutschen Dichters. Dieser Artikel türmt die Wogen im deutschen Blätterwald ziemlich hoch, was eine Suche im Netz schnell beweist. Es wird die Gegenfrage gestellt: Welche Rolle spielte der Autor während seiner Tätigkeit als Redakteur in Rumänien? Es existiert eine Täterakte unter dem IM-Decknamen „Ehrlich“ mit ca. 70 handschriftlich verfaßten Seiten.
Die schonungslose Selbstanalyse, die in Schlesaks Büchern anzutreffen ist, läßt eine umfassende Spitzeltätigkeit für die Securitate recht unwahrscheinlich wirken. Im Interview mit poetenladen.de zeichnet Schlesak die Probleme eines Intellektuellen im Regime nach.
Dominik Irtenkauf: Sie hatten bei Durchsicht Ihrer Securitate- Akte herausgefunden, dass Sie von guten Schriftstellerfreunden bespitzelt wurden. Wie erklären Sie sich diese Zusammenarbeit der rumänischen Staatssicherheit mit Intellektuellen?
Dieter Schlesak: Die Intellektuellen waren interessanter, aber auch gefährlicher für das Regime als die Normalmenschen, weil sie mit dem gefährlichsten Sprengstoff der Gesellschaft, der Sprache, also auch der Wahrheit umgingen. So konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Securitate und der Überwachung vor allem auf sie.
D. Irtenkauf: Sie schreiben, während des Stalinismus mussten oppositionelle Intellektuelle drakonische Maßnahmen fürchten. Wie kann man sich generell die Atmosphäre zur Zeit des Stalinismus in Rumänien vorstellen? Hat man dort auch Auswirkungen des stalinistischen Systems gespürt? Sie sind 1934 geboren und waren in Stalins Todesjahr 19 Jahre alt.
D. Schlesak: Die stalinistische Periode dauerte über Stalins Tod hinaus, in Rumänien bis ca. 1967/68, also über Ceausescus Tauwetter hinaus. Missliebige, gar Oppositionelle konnten von einem Tag auf den anderen verschwinden. Prozesse gab es selten. Lebenslänglich und Todesstrafe waren nicht selten.
Es gab eine schreckliche Angstatmosphäre, wo man sich vor den eigenen Worten und Gedanken fürchtete, diese in Selbstzensur kontrollierte, vor allem als Autor und Redakteur.
D. Irtenkauf: Zeiten der Unterdrückung und des Staatsterrors wechselten sich mit Tauwetterperioden ab. Gab es hierbei einen verborgenen Rhythmus?
D. Schlesak: Nein, das war nie voraussehbar. Ich schrieb damals: „Auf der Grenze gehen ist verdächtig /… wer aber kennt sie / da sie täglich sich verschob… / Aus der Vergangenheit wird scharf geschossen…“ Man kann sich diese Unsicherheit, diesen permanenten Druck nicht mehr vorstellen. Jedenfalls fiel er in mir bei der ersten Ausreise ab, schon im Flugzeug. Und das war ein ungeheures Befriedigungsgefühl und Glücksempfinden. Denn das eigentliche Gefängnis war innen.
D. Irtenkauf: War man als Schriftsteller ein häufigeres Ziel der Securitate?
D. Schlesak: Ja. Alle Intellektuellen hatten einen „Schatten“, der fast jeden wöchentlich traf und abfragte.
D. Irtenkauf: Manche Schreiber haben sich der Securitate mit einer umfangreichen Spitzeltätigkeit angedient. Man kann stellenweise von einer Securitate-Literaturkritik sprechen.
D. Schlesak: Ja, viele, leider. Keiner dachte auch nur im Traum daran, dass das Regime mal fallen könnte, es herauskommen würde, was man da trieb. „Angedient“ hatte sich unbewusst jeder, denn jeder machte ja mit. Und das Regime, die Partei eher als die Securitate, war der große Herr, Auftraggeber, Überwacher.
D. Irtenkauf: Trotz Zensur veröffentlichten Sie in jener Zeit Texte bzw. haben als Redakteur bei der Neuen Literatur Texte durch die Kontrolle geschmuggelt. Auf welche Signalwörter in den Texten musste verzichtet werden?
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Dieter Schlesak
Wenn die Dinge aus dem Namen fallen
Rowohlt 1991 |
D. Schlesak: Was mich betrifft, ich bin nie in die Partei eingetreten. Und ich hab auch die Opposition nie aufgegeben. Im Schreiben, indem ich zwischen den Zeilen, im Versteckspiel in der Metapher gegen die Zustände schrieb. Die Zensur kam mir nicht auf die Schliche. Ich hatte außerdem bei der Zensur eine gute Studienkollegin, die vieles durchließ, sogar vor ihrem Chef rechtfertigte, wie etwa meinen ersten Gedichtband „Grenzstreifen“ 1968, der sicher das erste oppositionelle Buch 1968 war.
Es gab die Signalwirkung, schon der Titel etwa, doch sie war eben verschlüsselt. Manche nannten das „Sklavensprache“, vergaßen aber dabei, dass Mut dazu gehörte. Einzelne Gedichte waren auch schon 1963 und 1964/65 erschienen, als das noch recht riskant war. Vorher war es undenkbar, auch nur reine Liebes- oder Naturgedichte ohne die Partei zu erwähnen, zu veröffentlichen.
D. Irtenkauf: Denken Sie, durch eine Netzkultur hätte sich der Protest zu jener Zeit anders entwickeln können?
D. Schlesak: Solch eine Netzkultur wäre damals vor 1968 völlig unmöglich gewesen. Ebenso: Literatur im Sinne von heute war völlig unmöglich gewesen. Auch das ist unvorstellbar. Die ersten Freiheiten waren die Möglichkeit, aus dem „Kulturerbe“ zu veröffentlichen. Ich brachte damals als „Großtat“ einen Band des (siebenbürgisch-) sächsischen Klassikers Michael Albert heraus.
D. Irtenkauf: Sie haben Rumänien 1968 verlassen und sind zunächst in die BRD gereist. Haben Sie weiterhin Kontakt zu Ihrer siebenbürgischen Heimat gehalten und von der BRD aus versucht, kritisch gegen den Einfluss der Staatspartei zu wirken?
D. Schlesak: Ich bin im Oktober 1968 ausgereist, hab dann ein halbes Jahr, mit verlängertem Pass, in Frankfurt gelebt, wo ich meine spätere Frau kennenlernte, und ging dann im März 1969 zurück, da ich mich als Vermittler rumänischer und rumäniendeutscher Kultur empfand. Und keinen Bruch riskieren wollte. Erst 1970 gab ich den rumänischen Pass zurück, da dieser Versuch, zwischen den Fronten zu leben, sich als unmöglich erwies. Ich nannte mich ja „Zwischenschaftler“.
Vom Westen aus versuchte ich, moderne Literatur bekannt zu machen, auch dort zu veröffentlichen. Gegen die Staatspartei zu wirken. Meine Texte und Briefe, Artikel etc. wurden heimlich gelesen, aber auch heftig attackiert, z.B. von Hans Liebhardt im Neuen Weg, der sich als mein Gegner stilisierte; er und Heinz Stanescu attackierten mich als „ideologischen Feind“.
D. Irtenkauf: Die Securitate hat ein Spitzelsystem der Paranoia eingerichtet. Irgendwann konnte man nur noch schlecht wissen, wer nun als verdeckter Informant für die rumänische Staatssicherheit arbeitete und wer nicht. Wie haben Sie sich gegen dieses System geschützt?
D. Schlesak: Mit Entsetzen habe ich später durch die Aktenöffnung entdeckt, dass mich fast alle meine Freunde im Auftrag bespitzelt hatten. Der wichtigste war eben Pastior, seine Berichte an die Securitate habe ich dann in meinen Akten entdeckt. Ich selbst schrieb zwar, wie so viele andere, unter Druck auch eine „Verpflichtungserklärung“, eben aus Angst, für Jahre ins Gefängnis zu kommen, habe ich diese „Jugendsünde“ begangen. Denn Gespräche mit einem Freund, Mircea Palaghiu, der 7 Jahre saß, waren abgehört worden. Immer wieder wurde mir damit gedroht, denn ich wollte Widerstandstexte von ihm, deretwegen er verhaftet worden war, in der Neuen Literatur veröffentlichen, die Zensur austricksen. Ich selbst habe außer einem harmlosen, ja eigentlich das Gegenteil von einem „Bericht“ über Paul Schuster geschrieben, in dem ich ihn, der in Gefahr war, da er eine Schweizer Freundin hatte, schützen und als engagierten und „parteilichen“ Schriftsteller hinstellen wollte, also eigentlich eine Rettungsaktion auf diesem Wege; aber ich habe niemanden bespitzelt oder gar Berichte geschrieben, was dazu führte, dass ich immer in Angst lebte, weil mir mit Haft und Lager gedroht wurde, wenn ich mich der Mitarbeit verweigere, eine Gefahr, die bis 1965 sehr real war.
D. Irtenkauf: Die Behörde zur Verwaltung des Securitate-Archivs (CNSAS) gewährt Einblick in jeweils eine Täter- und Opferakte, sofern die rumänischen Bürger nicht nur beobachtet, sondern selbst tätig wurden. Wurden die Täterakten zur Kompromittierung der entsprechenden Personen auch gefälscht? Sie sollen auch eine Täterakte mit einem IM-Namen besitzen. Wie trennt man hier zwischen Verleumdung und Wahrheit?
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Diester Schlesak
Capesius, der Auschwitzapotheker
Dietz Verlag 2006
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D. Schlesak: Bei mir war es genau so. Die angebliche „Täterakte“ wurde von „Jordan“, dem Führungsoffizier angelegt, um mir damit drohen zu können, mich zu erpressen. Darin steht nichts, nur, und das merkte auch der Oberst, der Chef Jordans an, dass ich meine Aufgaben nicht erfülle, passiv und eher antisecuristisch eingestellt sei; so wurde ich dann auch als „Agent“ „entlassen“ und aus der Akte gelöscht! Was wieder recht gefährlich war, da ich nun weiter als Gegner galt, als einer mit „feindlichen Haltungen“ geführt wurde!
Zwischen Verleumdung und „Wahrheit“ lässt sich schwer trennen, da die Täterakte zur Verleumdung ja auch gleichzeitig „real“ war und man mit Tricks hineingezogen wurde, einfach indem die Securitate dich in den von ihnen zum Verleumdungs#-zweck angelegten Akten zum „Agenten“ erklärte.
D. Irtenkauf: Welche Nachwirkungen hat die Securitate-Tätigkeit im heutigen Rumänien? Wie gehen die noch verbliebenen Rumäniendeutschen damit um?
D. Schlesak: Es gibt noch wenige, die dort leben. Jeder geht damit auf seine Art um, die meisten verdrängen oder wollen nichts mehr von dieser Sache wissen. Einige verurteilen auch, dass in der Bundesrepublik darüber diskutiert und auch Leute diskriminiert werden.
Doch jeder, der damit zu tun hatte, trägt dieses Trauma in sich. Meist wird in den Familien darüber nicht gesprochen.
D. Irtenkauf: Sie arbeiten die Securitate-Vergangenheit in einem Buch auf. Kürzlich meinten Sie, Sie wollten warten, bis sich die Wogen glätten. Wie komplex ist dieses Geflecht aus Täuschung und Verführung und denken Sie, dass Ihr Buch unangenehme Erkenntnisse ans Licht bringen könnte?
D. Schlesak: Ja, ich habe das Buch vorerst auf Eis gelegt. Ich will auch abwarten, dass sich die Wogen glätten. Da ich nicht zur Tagesdiskussion und zum Streit beitragen, sondern ein historisches Buch veröffentlichen will.
Denn: Das Geflecht aus Täuschung und Verführung ist komplex. Doch wenige nur stellen sich, wenn auch nur insgeheim. Alle wollen nur vergessen. Angst geht auch um, es könnte einer in der Familie gewesen sein, der spitzelte. Und wer will schon damit leben.
Auch Freundschaften können durch eine Veröffentlichung zerstört werden. Es ist ein langsames verheerendes Gift.
D. Irtenkauf: Vielen Dank für das Gespräch.
Dominik Irtenkauf, Jahrgang 1979, abgeschlossenes Studium der Deutschen Philologie, Philosophie und Komparatistik; freischaffender Autor von Prosa- und Sachtexten. Mehrere Buchveröffentlichungen (Essays u.a.). Irtenkauf beschäftigt sich vorwiegend mit Kunst- und Kulturphilosophie, Medientheorie, Okkultismus und Avantgarde, Mythologie, Mystik, Musik jeder Richtung.
Dominik Irtenkauf 23.05.2013 |
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Dominik Irtenkauf
Dialog
Gespräch
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