Matthias Kehle
Drahtamseln
Der schmale Pfad zu ganz eigenen Grenzen
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Matthias Kehle
Drahtamseln
Gedichte
Aachen: Rimbaud 2007
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Die Frage nach dem Gedicht ist eine transparente Folie, die der Sprache eines jeden Gedichtes aufliegt, ihrem Rausch oder ihrer Kargheit angeheftet von jemandem, der mißtrauisch ist, dem Dichter selbst, der das Wort kritisch befragt, ob sich in ihm nicht zu viel Ich und Wunsch und Traum versteckt, zu wenig Wort, zu wenig Gedicht. Dabei wird gewogen und seziert, das meiste, zumindest bei Matthias Kehle, bleibt auf der Strecke und findet nicht in das knappe Gewebe. Kehle ist ein Meister der Beschränkung. Er versucht das Gedicht, das auf wenig Raum noch klarer, noch sicherer, noch unbedingter Gedicht ist, obwohl er sicher weiß, daß alles Schreiben zwar ein haltbarer Ausschnitt, aber nicht verläßlicher als das Leben selbst ist. »sei nicht hier / wo ich über dich / schreibe // sei dort / wo ich bleibe«.
Man bleibt nicht im Gedicht, das Gedicht ist eher ein Tasten von sich weg. Und das Tasten macht den neuen, den anderen Gegenstand aus und verzehrt ihn nicht. So nähert sich Kehle den Dingen, behutsam. Sorgfältig. Wortweise. Das Gedicht will bleiben und darin den Schreibenden nur soweit dulden, wie er kein Ich ist, wie er über das Persönliche hinweg kann. Krolow hat das mal in sehr schönen einfachen Sätzen gesagt: »Es ging darum, langsam und geduldig von sich absehen zu lernen, indem man Gedichte schrieb.«
du schlägst in die Mückensäule
die über der Fuchsie flirrt
diese Inventur des Lichts
Kehle wendet sich also den Miniaturen zu, die im Alltag als poetischer Moment erscheinen. Das kann ein Sperling sein, der über eine Markise huscht, oder der Parfümkauf bei Karstadt, es ist der Rastplatz, Anfang März, oder die überdachte Haltestelle. Es sind nicht die großen Themen und die dramatischen Inhalte, sondern kurze Belichtungen, snapshots into the light. Die Gesten sind hier wie »vereinzelte Stimmen« – ein Kapitel mit sehr mageren Gedichten heißt so. Er sucht den verknappten und damit verdichteten Text, läßt sich aber nicht täuschen von plakativen Worteigenschaften oder hineinreißen in meditative Tiefen, die man ausloten könnte. Er bewegt sich im Moment und kennt dessen Ufer. Enthält das gefundene Wort das Gesuchte? Was sucht das gefundene Wort? Von Kehle weiß man, daß er nicht leichtfertig umgeht mit Sprache, die dem Wirklichen zu will. Es sind ja nicht nur Worte, die das Gedicht dorthin bringen, wo es bleiben kann, es ist das wundervolle aber genaue Bild und der genaue aber poetische Satz, und bei Kehle ist es ganz bestimmt der genau geschnittene Vers. Hierin ist er spielerisch und herausfordernd. Da er meist ohne Punkt und Komma arbeitet, gelingen fremdartige Sätze, die oft erst über Strophen hinweg sich auflösen.
Überm Fluß die Hütte
wir kratzen Schorf von den Knien
Das ist kein Versteck
zwischen den Brettern tropfts rein
Draußen sortiert der Wind Blätter
von den Bäumen Nägel quietschen im Holz
Du müsstest nach Hause
dich verkrümeln dabei kommts mir
vor als seist du nicht mehr da
Ein »Bastler mit Worten und Fragmenten« sei er, hat Kehle mal gesagt. Die Fragmente, das sind die befragten Momente, das sind die kleinen Episoden und die Kurzstrecken des Wirklichen, deren Grenzen er kennt und niemals sprengt. Seine Metrik ist die des Verschweigens – was kann, darf ich noch sagen, damit das Gedicht darin bleibt. Wie weit geht die Luft und wohin darf der Text atmen, in welchen Himmeln tollt, was es gerade noch zu sagen gibt als Gedicht? Da ist eine Nähe zur »lapidaren Notiz«, wie das ein Kritiker ausgedrückt hat, die immer wieder irritiert und ausführlichere Betrachtung fordert, damit das Gedicht sich finden läßt. Das gehört zu Kehle, das Einfordern der notwendigen Stille und das Lesen des bewußt Ungeschriebenen.
»Drahtamseln« ist der dritte Gedichtband, der von Matthias Kehle beim Aachener Rimbaud-Verlag erschien. Er ist ein »Testgelände für das letzte Jahrhundert«, wie er das erste Kapitel überschreibt, der Versuch das Gedicht so weit zu reduzieren, wie es das gerade noch zuläßt, um weiter Gedicht zu sein. Das ist keine schwäbische Sparsamkeit, sondern ein bewußtes Weg-Lassen. Der schmale Pfad zu ganz eigenen Grenzen führt zum Gedicht.
Matthias Kehle im Poetenladen
Frank Milautzcki 07.05.2008
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Frank Milautzcki
Lyrik
Naß einander nicht fremd
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