Bei yedermann ist nun der zweite Band von Sabine Imhof erschienen, die auch in Lyrik von Jetzt zwei vertreten ist. Sie gehört also zu jenen weiblichen Stimmen, die geortet wurden im pulsreichen Lyrik-Geschehen. Während der erste Band eher mit snapshots aus ihrer Gegenwart aufwartete, Fotografien von Leben und Liebe, schlägt sie nun Seiten aus der Vergangenheit auf. Sabine Imhof wurde geboren in Brig in der Schweiz und verlebte nach eigenem Bekunden eine wilde Kindheit in den Bergen. Später genoß sie eine Schauspiel- und Musicalausbildung u.a. am Lee Strasberg Institute in New York. Das Ich gehört in ihre Auseinandersetzung mit der Welt seit je auf eine poetische Weise. Bekanntlich ist die Mutter aller Musen Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung. Ohne zu er-innern, kommt die Welt nicht wirklich zu uns. Das Erinnern ist ein aktives Nach-Innen-Schaffen, um das Sosein der Dinge aufzuheben, es zu verwahren in Worten, Bildern und Gefühlen. Nur wer erinnert, spricht mit der Welt, steht im Dialog und macht nicht nur verfügbar, sondern wird selbst verfügbar. Sabine Imhof ist in „Das Alibi der Abwesenheit“ verfügbar, die Ausrede ist zur Aussprache geworden. Man darf dieses Buch nicht unbeteiligt lesen. Es ist auch nicht unbedingt nur ein Band mit Gedichten, sondern eine Mischung aus einem Konzeptalbum und einem erzählenden Bilderbuch. Szenen aus Kindheit, Jugend, ihrer Zeit in New York – Sabine Imhof lässt sie noch einmal geschehen und führt uns in ihre Zusammenhänge. Krolow sagt: „Jede Szene hat ihr Repertoire“ und meint damit, jede Situation enthält bestimmte poetische Muster. Aus der Szene wächst das Gedicht. Imhof vertieft diesen Satz und formt ihn um: das Repertoire macht die Szene. Die Art der eigenen Begriffe und ihr Vorrat spiegeln bildhaft, aus welchem Unsagbaren man kommt und in welchen Zusammenhängen man sich findet. Dass beim poetischen Sprechen ein Gewahrwerden genau dieser Begegnung des eigenen Vorrats an Sprache mit den Geschehnissen der Welt in uns anhebt, ist eigentlich eine lapidare Wahrheit. Aber sie führt uns zur individuellen Poetologie, zum Repertoire. Und was immer so ist – von uns aber selten klar gesehen wird: Dinge hängen zusammen – es läuft ein Film und gerade die Details sind wichtig, bewirken sie doch die unverwechselbare Chemie und Choreographie. So funktionieren auch Sabine Imhofs Texte. Es sind neben Szenen auch kleine Filme, und manchmal sind es Songs und manchmal Stories. Und alles ist voller Leben und das Szenische ist echt und authentisch. Aber es ist bei ihr auch Gedicht, weil das Leben dem poetisch ist, ob er das will oder nicht, der in der Begegnung den Blick wechseln kann, weg vom Betroffenen, hin zum Betreff. Man kann das Leben männlich klar anschauen wie ein programmatisches Geschehen, aber man kann es auch „erinnern“, sein Wirklichwerden verflechten mit dem eigenen Innern und begründen aus dem Zusammenhängen. Die Gedichte der Sabine Imhof tun das und fackeln da nicht lange. Ihre Chiffren sind keine herbeigesuchten Bilder, die noch dazu möglichst originell rüberkommen sollen, sondern stimmige Namen aus der eigenen Zeit. Die Fragmente finden zusammen, als würden sie aufgefädelt oder vernäht, ein Reflektionsmuster ergibt sich, eine Beleuchtung, ein bestimmtes und gewolltes Licht. Das problematische Verhältnis zur Mutter, die Dinge mag, die wenig Platz brauchen. Die Liebe zum Vater, der das Kind in zu hohen Stiefeln stehenlässt. Es gibt keine Schonung, die Worte sind dafür da, dass sie sich an den Szenen bewähren, einfache, klare Worte. Alte Worte, keine aus Lexika sprachlos notierten, sondern eigene. Immer wieder Zähne beispielsweise: traurige, laute, weich gewordenen Zähne - mit ihnen beginnt das Erinnern, sie fassen zu oder gehen abhanden, ein Vogel pickt sie aus dem Haus und damit den Rest wirkliche Welt. Die leeren Flächen Sabine Imhof hat also frische, ganz eigene Bilder, die man ausloten kann, wie man in Augen liest. Das ist auch die Art, wie man dieses Buch lesen sollte: auf Augenhöhe. Intellektuell abgehobenes Extrahieren und aufs Kunsthandwerkliche reduziertes Resumieren gehören genausowenig in ihre Poesie wie der unscharfe Blick der Angst vor dem Ich oder dem Du. Während andernorts das Persönliche zögerlich in Wort und Gedicht findet, ist es hier die Basis, der Betreff, von dem aus sich alles entwickelt. Kompromißlos die Poesie zu finden im Eigenen, also aufzudeckeln, was im Erinnern geschieht, das ist mutiges Dichten, das uns mehr erzählt als manche preistragende Gedankenarchitektur.
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Frank Milautzcki
Lyrik
Naß einander nicht fremd
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