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Christoph Nußbaumeder
Gespräch mit Jörk Schieke für den poetenladen
Alles kann klappen, alles kann schief gehen
Gespräch Literatur und Alltag |
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Illustration: Miriam Zedelius |
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Christoph Nußbaumeder wurde 1979 in Eggenfelden (Niederbayern) geboren. Nach Zivildienst und Fabrikarbeit in Pretoria (Südafrika) studierte er Rechtswissenschaften, Neuere Deutsche Literatur und Geschichte. Bühnen wie die Schauspielhäuser Köln, Bochum und Essen sowie die Schaubühne am Lehniner Platz führten Werke des Dramatikers auf. 2004 erhielt er das Thomas-Bernhard- Stipendium und gewann den Stückewettbewerb der Berliner Schaubühne. 2007/08 war er Hausautor am Nationaltheater Mannheim und erhielt 2010 den Autorenpreis des Kölner KunstSalons. Im Suhrkamp Verlag erscheint demnächst ein Band mit einer Auswahl seiner Stücke.
Jörg Schieke: Wir haben vor kurzem in Leipzig diese Situation erlebt: Waren gemeinsam Fußball gucken in einer Kneipe und wurden von einem, der Gesicht und Arme voller Nahkampf-Tattoos hatte, in ein Gespräch verwickelt. Gespräch ist gut: Er hat Deinen bayerischen Dialekt wahrgenommen und gesagt: Bayern, unter anderem wegen dem FC Bayern, kriegen hier eigentlich erst mal Schläge. War das Alltag – also für einen Dramatiker relevanter Alltag?
Christoph Nussbaumeder: Ich würde solche Situationen nun nicht von A nach B nacherzählen, aber ich behalte das im Kopf, klar. Interessant war ja, wie sich das aufgelöst hat. Der hat dann was von englischen Mannschaften erzählt und hat einiges durcheinander gebracht, und wir haben ihn sogar korrigiert. Das hat der aber respektiert, wahrscheinlich weil wir uns nicht belehrend über ihn gestellt haben. Auf alle Fälle haben wir ihn überrascht, und das ist schon so ein Prinzip, das ich vom Alltag gern mit rüber in den Text nehme.
J. Schieke:
Und dann hat er uns noch erzählt, dass er am nächsten Morgen früh um vier raus muss, weil er nämlich in einem Heim als Pfleger arbeitet. Damit hat er nun uns überrascht. Wir dachten ja eher, der ist auf Knast-Urlaub. Damit ist er schon fast eine Figur für eine bestimmte Richtung im zeitgenössischen deutschen Theater. Eine, die Du, auch in poetologischen Äußerungen, vertrittst.
C. Nussbaumeder: Sagen wir mal so: Ich bin im Leben nicht in einer Laborsituation, und also beim Schreiben auch nicht. So eine bestimmte Form von Situations- Setting, von überbordender Symbolik, von Fantasy und kleinlicher Freude über ein bisschen schräge Idee interessiert mich nicht. Da weiß man recht schnell, wie der Hase läuft, auch wenn er zickzack rennt. Ich beginne an dem Punkt zu schreiben, von dem aus man nicht mehr sicher sein kann, wie es weitergeht. Das ist meine Situation ja eben auch. Ich werde gespielt, ein Buch mit meinen Stücken ist gerade in Planung, und ich habe allerlei Dinge in Arbeit. Andererseits: Wenn mal drei Monate lang gar nichts reinkommt, wird es schon eng. Alles kann klappen, alles kann schief gehen.
J. Schieke: Damit meinst Du: Du bist ein Dramatiker, der viel gespielt und zu den wichtigsten Deiner Generation in Deutschland gezählt wird. Und lebst dennoch in überschaubaren Verhältnissen: Jedes Honorar, das reinkommt, wird sofort für die laufenden Kosten gebraucht. Ist das die Verwandtschaft, über die sich auch der Blick in den Alltag, das Verständnis für so einen wie unseren tätowierten Kumpel realisiert?
C. Nussbaumeder: Verwandtschaft ist vielleicht ein bisschen zu dick, aber ich sehe schon, wie gefährlich es ist, wenn in einer Gesellschaft immer mehr Leute unterwegs sind, die keine Anerkennung erfahren, kein Lob, keine Bestätigung für das, was sie tun. Ich glaube, dass dieses Frust-Potential in unserer Gesellschaft immer größer wird, und das spürt man auch. Da finden härteste Kämpfe statt, in Berlin kann man das sehr gut beobachten. Selbst bei einer einfachen Taxi-Fahrt kann es passieren, dass der Fahrer zwar seinen Job macht, sich aber trotzdem an seinem Status als Dienstleistender stört und das irgendwie mit dem Kunden austragen will. Wenn es einen relativ hohen Anteil von unglücklichen Menschen in einer Gegend gibt, kann alles kippen, dann entsteht tatsächlich Gewalt; so untergründig und versteckt die auch wirken mag, sie terrorisiert die Psyche.
Und so was versuche ich durchaus aufzunehmen, darin liegt eine Zuspitzung, wie ich sie in Berlin oft erlebe. Diese Zuspitzung vermittelt sich in den Stücken natürlich nicht durch rein abbildende Beschreibung, sondern durch eine gezielte Verstrickung der Figuren und durch die damit einhergehende Sprache beziehungsweise Sprachlosigkeit der Personage.
J. Schieke: Machst Du so was, Dich extra wo hinsetzen, in die Kneipe zum Beispiel, um die Leute zu belauschen?
C. Nussbaumeder: Ich nehme mir nicht vor: Heute gehe ich mal in die Kneipe oder fahre Taxi und such mir so ein echtes Original und dann konservier ich die Berliner Schnauze oder den Straßen-Slang. Alltag ist ja das, was sowieso passiert. Ich bringe meine Tochter zur Schule, ich fahre S-Bahn, ich gehe einkaufen, und da bin ich schon mitten drin in den Verhältnissen. Gut, ich würde das gern erweitern, ich hätte gern auch Erfahrungen in anderen Bereichen, in anderen Arbeitsverhältnissen – ich wüsste gern, durch welche Fertigkeiten sich ein guter Architekt von einem schlechten unterscheidet oder in welchen Codes zwei Ärzte über einen dritten herziehen.
J. Schieke: Du erwähnst die Berliner Schnauze. Für Leute aus der Provinz ist das ja manchmal unfassbar, wie schlagfertig die sind, wie die einen in zwei, drei Sätzen zurechtbommeln können. Wie war das, als Du aus Bayern nach Berlin gekommen bist? Eine Offenbarung, einen Befreiung – oder eine Strafexpedition?
C. Nussbaumeder: Ich bin zurecht gekommen, war neugierig, nicht ängstlich. Klar, es gibt dieses Unterlegenheitsgefühl, wenn man all die mit ihren Projekten schwer beladenen Leute trifft. Aber als gebürtiger Provinzler hat man auch ein gewisses Selbstvertrauen, und ich glaube sogar, dass meine Herkunft vom Land mir eine ganz eigenständige Widerstandskraft mitgegeben hat. Thomas Bernhard schreibt – ich glaube in der Auslöschung –, dass Kinder vom Land zum Beispiel besser mit dem Tod umgehen können, weil die das Schlachten erleben, weil die schon mit fünf, sechs Jahren mit ansehen, wie eine Kreatur in die Knie geht. Außerdem, auch das ist von Vorteil, kann ich ganz gut soziale Codes imitieren, und das ist für einen Neuling in einer Großstadt manchmal ganz nützlich.
Als ich dann intensiver mit Schreiben und Theater zu tun hatte, hab ich natürlich auch registriert, wie viele Leute in Berlin ebenfalls was damit zu tun haben und wie offensiv die das auch in Cafés und Kneipen tragen. Wenn man aber genau hinschaut, erledigt sich da vieles bei näherem Hinsehen. Theater nur so »zum drüber reden« interessiert mich nicht. Die Dinge müssen schon auf was zulaufen. Ich hab da auch immer mal Leute getroffen, so alt wie ich, deren Väter oder Mütter große Nummern waren im Kulturgeschehen. Da staunt man erst mal, aber am Ende zählt das alles nicht. In der Kunst beziehungsweise in der Herstellung dessen geht's um Erfahrungen, denke ich.
J. Schieke: Eine Erfahrung, Du hast es schon erwähnt, die seit nunmehr sieben Jahren Dein Leben, Deinen Alltag mit ausmacht, ist Deine Tochter. Sammelst Du Kindermund? Sagen Kinder mehr Wahrheit als Erwachsene?
C. Nussbaumeder: Dinge, die ich mit meiner Tochter erlebe, fließen in Texte mit ein. Ich vergleiche ihre und meine Kindheit, und sehe, dass sie von ganz anderen Dingen hysterisiert wird, und dass sie vieles auch kalt lässt von dem, das mich als Kind beschäftigt hat. Ich finde es zum Beispiel auffällig, wie diese Siebenjährigen ihren Alltag in der Schule schon in bestimmte Formen gießen. Wie die sich morgens begrüßen und wie die sich, wenn sie was ausgefressen haben, beinahe professionell entschuldigen. Hängt natürlich auch damit zusammen, dass meine Tochter in eine Schule geht, in der ziemlich viele Mittelstands- und Intellektuellen-Kinder lernen. Bei den Eltern merkt man wiederum, wie genau die alle wissen, dass dieser Status durchaus bedroht ist; sie wissen, wie brüchig das alles ist. In Berlin kann man tatsächlich von Tag zu Tag mit ansehen, wie bestimmte Sicherheiten, Gewissheiten, die noch in meiner Kindheit unantastbar schienen, wie die zerbröseln.
J. Schieke: Führen solche Alltags-Wahrnehmungen nicht automatisch dazu, sich auch als politischer Mensch zu begreifen – und das mit in den Text zu nehmen?
C. Nussbaumeder: Ich schreibe keine Lehrstücke, und ich versuche nicht, die Finanzkrise zu erklären. Aber ich schaue eben doch öfter aus dem Fenster als in den Spiegel. Eigentlich ist es ja seltsam, dass man als Autor immer explizit nach dem Politischen gefragt wird. Man muss, wenn man nur einen halbwegs gesunden Egoismus hat – denn nur so kann man sich ein gewisses Maß an Uneigennützigkeit leisten –, doch am Funktionieren der Gesellschaft interessiert sein ... Wahrscheinlich gehen weder die ganz Reichen noch die ganz Armen in meine Stücke. Nur wer einigermaßen glücklich ist, bleibt neugierig, also im Sinne von wissbegierig. Wenn es von solchen Leuten nicht mehr genug gibt, braucht man auch keine Theater mehr. Dann kannst du Schritt für Schritt die ganzen Errungenschaften der Aufklärung schließen – und das wären barbarische Aussichten.
J. Schieke: Vielen Dank für das Gespräch.
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Jörg Schieke
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