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Florian Werner

Gespräch mit Jörk Schieke für den poetenladen
Musik für Deserteure
  Gespräch        Literatur und Musik

Illustration: Miriam Zedelius
   
Florian Werner wurde 1971 geboren und lebt als Autor und Journalist in Berlin. Er hat Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert und ist Mitglied der Gruppe Fön. 2004 erschien bei Piper der Kollektivroman Mein Leben als Fön. 2005 veröffentlichte Florian Werner den Erzählungsband Wir sprechen uns noch (dtv). Außerdem publizierte er die Sachbücher Rapocalypse (transcript 2007), Die Kuh: Leben, Werk und Wirkung (2009) sowie Dunkle Materie: Die Geschichte der Scheiße (2011, beide bei Nagel & Kimche).


Jörg Schieke: Wir sind beide keine zwanzig mehr, da darf man fragen: Welche war deine erste, von dir selbst gekaufte CD bzw. Langspielplatte?

Florian Werner: Das ist jetzt gleich peinlich. Ich glaube, es war Virgin Killers von den Scorpions. Die Scorpions-Platte mit dem hässlichs­ten aller Scorpions-Cover, und das will was heißen. Die empfand ich damals als so brachial, dass ich sie zuhause vor meinen Eltern ver­stecken musste und dement­sprechend auch nur heimlich hören konnte. Und selbst dann nur mit großen Schuld­gefühlen.

J. Schieke: Man muss hinzufügen: Deine Eltern sind Musiker, du bist mit klassischer Musik aufgewachsen – daher die Schuldgefühle?

F. Werner: Meine Eltern hatten viele Schallplatten, alles Klassik natürlich, das endete so bei Luigi Nono und Schönberg. Ich erinnere mich, dass sie eine einzige Nicht-E-Musik-Platte in ihrer Sammlung hatten, und das war eine Aufnahme mit Louis Armstrong. Dass es so etwas wie Virgin Killers geben konnte, lag vermutlich schlichtweg jenseits ihrer Vorstellungswelt.

J. Schieke: Du hast, das liegt nahe, dann selbst auch ein Instrument er­lernt und spielst heute mit den Autoren Tilman Rammstedt und Michael Ebmeyer sowie dem Song­schreiber Bruno Franceschini in der Band Fön. Vor allem aber bist du Autor, hast Erzählungen, Sachbücher und Gedichte veröffent­licht. Um noch einmal auf die Flegeljahre zurück­zukommen: Hast du jemals ein Buch vor deinen Eltern verstecken müssen?

F. Werner: Nein. Nur die Scorpions-Platte, im Doppel­stockbett.

J. Schieke: Die Scorpions, das lässt mir gar keine Ruhe. Was ich mich frage: Vieles, was in den siebziger oder achtziger Jahren angesagt war und in den Neunzigern belächelt wurde, hat mittlerweile diesen Retro-Chic – man darf es wieder hören, man hört es ironisch, dabei sich selbst, die eigene Jugend zitierend. Du auch?

F. Werner: Noch nicht, aber ich glaube, das könnte mir sogar irgendwann mit den Scorpions passieren. Vielleicht wird man auch auf Still loving you bald wieder tanzen – total ironisch natürlich. Im Übrigen darf man nicht vergessen, dass die Scorpions in den Achtzigern ja gar nicht so übel beleumundet waren. Als ich mit 16 als Austausch­schüler in den USA war, kannten natürlich alle die Scorps und fanden die groß­artig. Ich hab dann immer erzählt, dass der Sänger Klaus Meine ein Kumpel vor mir wäre, das hat mir großen Respekt verschafft. Das haben erschreckend viele geglaubt, die glaubten offenbar, Deutschland sei so eine Art Dorf, wo jeder jeden kennt.

J. Schieke: Und wo hat das alles hingeführt? Was hörst du heute, welche CD hast du dir zuletzt gekauft?

F. Werner: Die neue CD von Midaircondo, das ist so ein schwedisches Damen-Trio, das Elektronik mit Nasenflötenmusik verbindet, sehr experimentell, ganz zauberhaft.

J. Schieke: Du bist selbst Musiker und Autor und bist in beiden Bereichen wiederum mit den verschiedensten Spielarten vertraut. Entwickeln sich da eigentlich allgemein gültige ästhetische Kriterien, die einen auf ewig gegen Kitsch resistent machen? Worauf ich hinaus will: Ich bin immer sehr erstaunt, wenn ich mich zum Beispiel mit jemandem unterhalte, der im Leipziger Gewandhaus Geige spielt und zuhause Phil Collins hört oder sagen wir mal, Bücher von Gaby Hauptmann liest. Das kriege ich einfach nicht zusammen.

Florian Werner
Dunkle Materie
Die Geschichte der Scheiße
Nagel & Kimche 2011

F. Werner: Das finde ich gar nicht so verwun­der­lich. Ästhe­tische Bi­ldung funk­tioniert ja nicht als uni­versale Fes­tung. Viele, die profes­sionell Kunst fabri­zieren, wollen viel­leicht zum Feier­abend ein­fach mal leichte Kost zu sich nehmen, um sich von der an­spruchs­vol­len zu erholen. Wahr­schein­lich freut man sich auch als klas­si­scher Musiker mal über Songs mit den immer­glei­chen drei Akkor­den, die man schon kapiert hat, noch ehe der dritte über­haupt ge­spielt ist.

J. Schieke: Gibt es Bands oder Musiker, die dich in dem, was und wie du schreibst, beein­flusst haben?

F. Werner: Beeinflusst vielleicht nicht, aber be­ein­druckt auf jeden Fall. Natür­lich fal­len mir da die hin­läng­lich herbei­zitierten Namen aus dem Kanon der komi­schen Lyrik ein, von Heine über Mor­gen­stern bis Max Goldt und Funny van Dannen. Natur­filme von Funny von Dannen ist eines der größ­ten roman­tischen Lieder deutscher Zunge überhaupt, das könnte auch von Heine und Schumann stammen.

J. Schieke: Hast du jemals in literarischen Texten Figuren durch ihre Musikhör-Gewohn­heiten charakte­risiert?

F. Werner: In meinem ersten Erzählband Wir sprechen uns noch gibt es Figuren, die werden durch ihren Musik­geschmack, naja, nicht direkt charakte­risiert, sondern eher diffamiert. In einer Geschichte singt eine Frau irgendwas Scheuß­liches von Guns'n'Roses, da ist sofort klar: Der Erzähler sollte lieber die Finger von ihr lassen. In einer anderen be­kommt ein unglücklich Verliebter von seiner Ex-Freundin so eine »singende Postkarte« mit Billy Idols White Wedding. Das gibt ihm dann den Rest.

J. Schieke: Du hast aber auch die Wirkung anderer Gesänge erkundet – zum Beispiel in deiner 2009 erschie­nenen Kultur­geschichte der Kuh. Was mich da ziemlich be­eindruckt hat: Du erzählst im Zusammenhang mit den Kühen von einer Heimwehmusik.

F. Werner: Im 18. Jahr­hundert standen viele Schweizer als Söldner in Diensten der Fran­zosen, und es geht die Sage, dass diese Söldner geradezu krank wurden vor Heimweh, wenn sie eine Kuhglocke klingen hörten. Sie sangen natürlich auch ihre heimatlichen Lieder, mit denen sie zuhause auf der Alp die Kühe zur Tränke riefen, die so genannten »Kühreihen«, und die machten sie dann angeblich noch wehmütiger. Schließlich wurde den Schweizern das Singen dieser Lieder im franzö­sischen Heer unter Androhung der Todesstrafe untersagt, um sie vom Desertieren abzuhalten. Das musik­induzierte Heimweh, die sogenannte »Schweizer Krankheit«, wurde in der Romantik dann zu einem festen Topos. Anders als beim Loreley- oder Sirenen-Motiv gibt es hier ja noch nicht mal eine erotische Verwicklung – es gibt nur die Kuh und die Musik! Verführung durch absolute Musik also. Ein Heimweh-Soundtrack.

J. Schieke: Soundtrack. Läuft der manchmal bei dir ab, wenn du be­stimmte Bücher liest oder bestimmte Texte schreibst?

F. Werner: Beim Schreiben höre ich keine Musik, nie. Beim Lesen auch nicht; allerdings gibt es Bücher, zu denen ich sofort den passenden Soundtrack im Kopf habe: Bei den Wolf-Haas-Romanen mit Simon Brenner wäre das natürlich erdiger Kiffer-Rock, Jimi Hendrix etwa. Oder, was ich vor kurzem gelesen habe: Cash von Richard Price – dazu passt natürlich die New York-Platte von Lou Reed aus dem Jahr 1989.

J. Schieke: Du bist ja bei der Band Fön. Die Band ist, so wirkt es zumindest aus meiner Perspektive, das beherzte Nebenprojekt dreier Autoren, deren Hauptbeschäftigung das Verfassen von Büchern ist. Was also ist Fön – vertonte Literatur, Feierabend-Pop, Ausstellungs-Eröffnungs-Vervollständigungs-Musik?

F. Werner: Wir nennen es immer »Texte an Musik«, weil uns in den über zehn Jahren unseres Bestehens bisher keine bessere Beschreibung eingefallen ist. Die taz hat glaube ich mal »literarische Boygroup« dazu gesagt, da waren wir aber auch noch jünger. Das Besondere ist vielleicht, dass die meisten unserer Stücke tatsächlich vom Text her entstehen – der kommt immer zuerst, die Musik nimmt dann meist eher so eine Film­musik-Rolle ein. Jeder von uns drei Autoren bringt dabei eine andere Handschrift ein: Ich mag vor allem Texte mit stark seriellen Elementen, zu denen dann wieder minimalistische Musik passt. Tilman Rammstedt textet eher episch breit, Michael Ebmeyer bedient eher klassische Versformen.

J. Schieke: Warum macht man als Literat Musik? Was hat Musik, was gedruckter Text nicht hat?

F. Werner: Große Frage, kurze Antwort: Musik als Kunstform ist unmittelbarer, bedeutungsoffener, dialogischer als Literatur.

J. Schieke: Und was kann Literatur, was Musik nicht kann?

F. Werner: Sie kann zum Beispiel komisch sein.

J. Schieke: Musik auch. Wenn etwa Frank Zappa Bob Dylan parodiert oder wenn die ameri­kanische Band WEEN den Prince-Sound aufnimmt.

F. Werner: Ja und nein. Natürlich können Songtexte komisch sein – aber die Musik selber? Sie kann, wie du sagst, etwas parodieren, so wie ja auch die Kleine Nachtmusik gern mal auf verschie­dene Musik­stile getrimmt wird. Ich finde das ziemlich uner­träglich, denn das funktio­niert ja immer nur vor so einem »Ich-weiß-Bescheid«-Hintergrund. Wer lacht, bestätigt sich vor allem selbst, weil er die der Parodie zugrunde liegende Folie erkannt hat. Er ist eingeweiht und kann zufrieden sein, weil er’s wieder mal bewie­sen hat.

J. Schieke: Du hast im Zusammenhang mit den Scorps von deinen Aufenthalten in den USA erzählt. Für viele Lyriker?/?Autoren ist das Erlebnis USA aufs engste mit dem Erlebnis »Rap?/?Spoken word?/?literarische Performance« verbunden. Für manch einen haben sich dann völlig neue Horizonte aufgetan. Wie war das bei dir?

F. Werner: Meine erste Begegnung mit spoken word war vermutlich so Mitte der 90er Jahre, bei Poetry Slams, bei denen ich manchmal auch selbst auf­getreten bin. Und ich habe Leute wie Mark Smith erlebt, einen der Begründer des Slam-Spek­takels, oder den großen Per­former Saul Williams, oder Bas Böttcher, dessen erster Auftritt mich im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Sessel gerissen hat. Ich hab dann ja sogar meine Dissertation zu einem Thema aus dieser Ecke geschrieben: »Rapocalypse: Der Anfang des Rap und das Ende der Welt«.

J. Schieke: Zu welchen Erkennt­nissen kommst du in dieser Arbeit?

F. Werner: Eine der Wurzeln des Rap ist die Predigt. Wie ein Prediger bringt der Rapper die Sprache zum Tanzen, und wenn er gut ist, natürlich auch die Zuhörer. Hinter den scheinbar profanen Rap-Texten steckt also oft ein über­raschend religiöser Gestus. Selbst Macho-Mainstream-Rapper wie Busta Rhymes besingen ja die Apokalypse – und wie man sieht, zahlt sich das sogar finanziell aus. Wie man in Anlehnung an die Zahl der Bestie aus der Johannes-Offenbarung sagen könnte: Six six six sells.

J. Schieke: Vielen Dank für das Gespräch.
 

Dieses Gespräch
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poet nr. 12
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Jörk Schieke    29.06.2012   

 

 
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