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Walle Sayer

Kerngehäuse
Eine Innenansicht des Wesentlichen
Kurzkritik
Walle Sayer | Kerngehäuse. Eine Innenansicht des Wesentlichen   Walle Sayer
Kerngehäuse
Eine Innenansicht des Wesentlichen
Aufzeichnungen. Prosagedichte
Verlag Klöpfer & Meyer 2009

Walle Sayer im Poetenladen  externer Link



„Stell einen Notenständer ins Freie, schon sammeln sich darauf Schwalben.“ Solche wunderbaren Bilder finden sich in dem neuen Buch des Horber Dichters Walle Sayer zu Hauf. „Kerngehäuse. Eine Innenansicht des Wesentlichen“ nennt er die Sammlung von kurzen Prosastücken, die meisten kaum länger, oft kürzer als eine halbe Seite.

Sayer erkundet die ländliche Gegen­wart. So mancher Text, so manches Wort sind im Schwäbischen angesiedelt, etwa das „schuckelige Gefährt“ des Sonntagsfahrers, der einen Anhalter mitnimmt. Ein Heimatdichter ist Sayer jedoch nicht, zu sehr weisen die Texte über das Regionale hinaus. Da ist etwa das Brandloch im Sitz eines Schulbusses, „ein Oberstufler (hatte) es mit einem Gesicht eingekreist, daß das Brandloch erschien wie der offene Mund bei Munchs Schrei.“ Ein leiser, ein melancholischer Archivar des Vergänglichen ist er, „es ist noch zu spät, um jetzt schon heimzugehen“, notiert er über die „Sperrstunde.“

Vom Literaturbetrieb und seinen Moden hat sich der vielfach ausgezeichnete Lyriker nie beeindrucken lassen, der 1960 geborene Sayer hat über die Jahre seinen eigenen Ton entwickelt. Die Tradition von Rainer Brambach oder Walter Helmut Fritz fortsetzend, schreibt Sayer zurück­haltende, gelegentlich karge Texte, die aber immer zum Leser hin sprechen und das selbst­referen­tielle Sprachspiel meiden. Zeitlos sind seine Porträt­skizzen, seine Miniatur­studien oder seine sanfte Ode über das Altern („Selbst Gebraucht­wagen­händler und Auto­lackierer überkommt es, daß sie als Zehnjährige dereinst Rennfahrer werden wollten“). Doch zugleich sind die Texte fest in der Gegen­wart verankert, etwa „Die Graugarde aufgereihter Müll­tonnen vor einem Betonklotz“ im letzten Text des Bandes unter dem Titel „Hingetuscht“. Feinste Nuancen auf der einen Seite, grobe, aber präzise Details auf der anderen Seite – Sayers sprachliches Sensorium weiß zu unterscheiden: „Brunz­strahlellipsen. Prostata­geplätscher. Und Klosteine unter die Motor­haube gehängt: daß deren Geruch Marder abhalten würde. An den Pißbecken stehen noch ein letzter Wanderprediger, der sich selbst zuhört, und ein schwan­kender Mehlsack, der seine Strafrunde um den Häuserblock läuft. Männer halt, die aus ihrem Seelen­dickicht treten, ihre Stirnen an den kalten Kacheln kühlen...“ Walle Sayer sei einer aus der seltenen Gattung derer, „die unfähig sind, an der Oberfläche zu bleiben“, zitiert der Klappentext treffend einen Kritiker. Seine großartigen „Innen­ansichten des Wesentlichen“ genießt man am besten schlückchen­weise wie einen guten Rotwein.

Matthias Kehle    23.04.2009    

 

 
Matthias Kehle
Lyrik