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Walter Helmut Fritz
Gesamtwerk
Entwicklung von ruhiger Konsequenz
Kritik
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Walter Helmut Fritz
Gesamtwerk
Herausgegeben von Matthias Kußmann
Verlag Hoffmann und Campe
1560 Seiten, 99 Euro
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„Seine Gedichte kommen ohne großen Stimmaufwand aus, sie haben Behutsamkeit, Zartheit, Strenge, sind – trotz gelegentlicher Verschwiegenheit – offen für die Verständigung mit dem Leser.“ Was Walter Helmut Fritz über die Lyrik eines Kollegen schrieb, gilt auch für seine eigenen Gedichte. Heute wird der große Karlsruher Dichter achtzig Jahre alt.
Geboren in Karlsruhe am 26. August 1929, wuchs Fritz in Waldprechtsweier und Rastatt auf, 1949 bis 1954 studierte er Philosophie, Literatur und neuere Sprachen an der Universität Heidelberg. Während er anfangs Französisch, Englisch und Deutsch an Karlsruher Gymnasien lehrte, erschienen erste Gedichtbände mit programmatischen Titeln: „Achtsam sein“ (1956) und „Bild und Zeichen“ (1958). Seine Heimatstadt verlieh ihm 1960 seinen ersten Literaturpreis, weitere folgten zahlreich, darunter der Georg-Trakl-Preis (1992) oder der Große Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1995). Neben eigenen Gedichtbänden – zuletzt „Maskenzug“ (2003) und „Offene Augen“ (2007) – publizierte Fritz bald Übersetzungen geistesverwandter moderner französischer Lyriker, etwa von Jean Follain oder René Menard. Kurze Prosatexte, Hörspiele oder die Romane „Die Verwechslung“ (1970) und „Bevor uns Hören und Sehen vergeht“ (1975), der vom Leben eines Studenten in Heidelberg unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg erzählt. Zentrales Stilmerkmal sowohl bei der Lyrik als auch in den anderen Gattungen ist die für Fritz typische „Lakonie“, die im deutschen Sprachraum einmalig ist.
Walter Helmut Fritz' Texte beschäftigen sich mit dem Alltag und seinen Irritationen, mit den Menschen in der Nachbarschaft, mit Tieren und Dingen wie Steinen, Bäumen, dem Schnee sowie der „Vogelscheuche Vergänglichkeit“, beispielsweise in dem Gedicht „Bäuerin“: „Ihr Mann ist gestorben,/ ramponiert von Alter./ Ist klein und hart geworden./ Sie starrt ihn an,/ geht in den Stall,/ um es den Tieren zu sagen.“ Ohne Lautstärke und Pathos wendet sich Fritz gegen eingefahrene Wahrnehmungen und Gewohnheiten. Gegen das Erlebnis setzt er Erkenntnis und klare Beobachtung: „Als wir vorbeikamen,/ ruhten die Schafe/ im Schatten der Mauer.// Bei der Rückkehr,/ eine halbe Stunde danach,/waren sie weg.// Aber erst jetzt/ sahen wir sie.“
In einem der wenigen Interviews, die Fritz gab, merkte er an: „Wahrnehmung erlaubt unmittelbare Erkenntnis, ohne Umwege. Wir nehmen viel mehr wahr, als wir je formulieren können.“ Für die Paradoxien des Lebens („Wann endlich / verstehen wir / ... daß man einer Illusion / nur mit Hilfe einer anderen Illusion / entkommt?“) interessiert er sich ebenso wie für die nicht verwirklichten Möglichkeiten. Dies wird deutlich in den vielen Porträtgedichten, so etwa in dem Band „Die Schlüssel sind vertauscht“ (1992): „Mit achtzehn hat sie geheiratet,/ eine Tochter geboren mit neunzehn,/ mit zwanzig die Scheidung verlangt (...) Es geht eben nicht auf,/ das ist alles, wozu viele Worte.“
Von 1964 an lebte Walter Helmut Fritz über 40 Jahre lang in einem Hochhaus in der Karlsruher Waldstadt und arbeitete neben seiner Tätigkeit als freier Autor auch als Dozent an der Karlsruher Universität oder als Lektor des S. Fischer Verlages. In seiner Heimatstadt wie in der Literaturszene war er zurückhaltend präsent – lange wirkte er als Beiratsmitglied etwa der Literarischen Gesellschaft in Karlsruhe und war Mitglied verschiedener Akademien, etwa in der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz oder der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt.
Die Literaturkritik lobte Fritz von Beginn an. Werner Kraft schrieb: „Die Sprache ist einfach, aber dialektisch einfach, das Gedachte schwierig, das zu Denkende noch schwieriger.“ Dieser „Lyriker der Stille“ (Horst Bienek) und „Artist der lakonischen Form“ (Walter Hinck) prägt seit über fünfzig Jahren die deutschsprachige Lyrik nachhaltiger als mancher Autor, der in der Öffentlichkeit präsenter zu sein scheint als Walter Helmut Fritz.
Fritz selbst hat seine vielen Gedichtbände 1979 und 1994 in zwei Auswahlbänden „Gesammelte Gedichte“ zusammengefasst. Jetzt, zum 80. Geburtstag, legt sein Verlag eine dreibändige Gesamtausgabe vor. Fritz, inzwischen lebt er in Heidelberg, konnte an der Ausgabe aus gesundheitlichen Gründen kaum mitwirken. Sein Herausgeber, der Karlsruher Literaturwissenschaftler Matthias Kußmann, hat akribisch schwer zugängliche Aufsätze, unveröffentlichte Arbeiten (so ein Theaterstück) und von Fritz zurückgehaltene Texte gesammelt, etwa jene seines ersten Lyrikbandes von 1956. Die Ausgabe dokumentiert auch, dass Fritz viele Arbeiten als Vorstufen zu anderen sah oder dass er, wenn er über Kollegen schrieb, stets auch über sein eigenes Schreiben reflektierte. Die drei umfänglichen und schönen Bände versammeln das komplette Werk nicht ganz. Die Übersetzungen, kleinere Arbeiten sowie journalistische Texte stehen noch aus. Dennoch: Die drei Bände würdigen einen großen deutschen Dichter, dessen Gedichten schon sein früher Förderer Karl Krolow eine „Entwicklung von ruhiger Konsequenz“ bescheinigte.
Siehe auch Beitrag von Theo Breuer: Mensch der leisen Töne
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