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Richard Albrecht
Die Entschädigungsakte Bloch
Kurzmemorial zum 25. Todestag (4. August 2012)
Kurzmemorial |
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Zwanzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung las ich die „durchgesehene und verbesserte Studienausgabe“ der Ernst-Bloch- Exzellentbiographie von Peter Zudeick: „Der Hintern des Teufels“. Und sah dort im quellenbezogenen Teil Hinweise auf Bescheide des baden-württembergischen „Landesamt[es] für Wiedergutmachung“1. Denen ging ich nach und fand schließlich im heutigen Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) als Teil des damaligen Stuttgarter Landesamtes für Wiedergutmachung die zweiteilige Entschädigungsakte Ernst Bloch (1985-1977) und Karola Bloch (1905-1994, geb. Piotrowska). Sie wurde mir, als drittem Interessenten, nach ausführlicher Forschungsbegründung mit Hinweisen auf Bloch als „Person der Zeitgeschichte“, die seit mehr als dreißig Jahren tot ist, und meinen Status als auch publizistisch ausgewiesenem „zeithistorisch arbeitenden Sozialwissenschaftler“ und „Sozialwissenschaftsjournalist“ (Lars Clausen) so unbürokratisch wie kostenfrei zugänglich gemacht (wofür ich mich bei Michaela Herzig herzlich bedanke).
Die Entschädigungsakte Bloch besteht aus zwei „Bänden“ mit zusammen teilweise doppelt paginierten DIN-A-4-Bättern, die schlußendlich dann 211 Seiten ergeben. (Teil 1: 1-86; Teil 2: 87-211). Die „Akte“ ist insofern relativ schmal. Sie beginnt mit einem achtseitigen maschinenschriftlichen Antrag dreier von Bloch beauftragter Rechtsadvokaten vom 14.11.1961 und endet mit Kopien laufender jährlicher maschineller Rentenbescheide an die 1994 verstorbene Witwe KB. Diese Akte wurde wie die zuerst 1986/87 durchgesehenen Materialien in einem vom exilierten Dramatiker Carl Zuckmayer (1896-1977) angestrengtem Entschädigungsverfahren2 und die zuletzt 2009/2010 aus dem für die Betroffene, Hannah Arendt (1906-1975), als bevorrechtete „Wiedergutgemachte“ 1971 positiv entschiedenen Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht3 als zeitgeschichtliche Quelle grundgesichtet. Über das, was mir im biographischen Zusammenhang Blochs als Vordenker des Nicht-Mehr-Seins im faktischen Realen und des Noch-Nicht-Seins im real Möglichen4, der den „alten Menschheitstraum“ von Freien und Gleichen als Geist der Utopie „philosophisch subtilisiert zu einer allgemeinen Theorie der Gesellschaft, einer visionären Utopie“5, als wichtig gilt, erzähle ich im Anschluß an bisherige Veröffentlichungen6. Dem entspricht der dem sachlichen Untertitel vorangestellte Haupttitel, der TERTIUM als zentrale Metapher bemüht.
Entschädigungsbescheid (1967)
Auch wenn einem späteren en-détail-Bericht zur „Wiedergutmachung“ bzw. „Entschädigung“ Blochs nicht vorzugreifen ist – so viel darf und sollte vorab gesagt werden auch im Vergleich mit vergleichbaren anderen „Fällen“ späterer Entschädigung und Wiedergutmachung nach erlittenem nationalsozialistischen „Unrecht“ sei's aus der Exilforschung im allgemeinen, sei's aus dem „Fall“ des Carl Zuckmayer im besonderen oder sei's aus dem „Fall“ der Hannah Arendt mit der soweit ich weiß Höchstentschädigungssumme von 1973 gut einer halben Million DM7 im speziellen: im „Fall“ der Entschädigung Blochs handelt/e es sich vordringlich um gesellschaftliche „Normalität“ in Form von Rentenzahlung(en) in „normaler“ Höhe: Das Ende 1961 rechtsadvokatisch eingeleitete Verfahren, in dem Bloch 1965 und 1967 zwei Eidesstattliche Versicherungen abgab und 1965 Unterstützung in Form einer Erklärung durch einen der damaligen Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Benno Reifenberg – erfuhr, führte ab Oktober 1966 zu einer witwenrentenberechtigten laufenden monatlichen Rentenzahlung in Höhe von 1.030 DM an Ernst Bloch sowie zu einer Gesamtentschädigung für Ernst und Karola Bloch in Höhe von 18.000 DM in Form zweier einmaliger Entschädigungszahlungen in Höhe von 7.300 DM (1966) und 10.700 DM (1967)8. Insofern kontrastiert dieser „Fall“ den der Arendt nachhaltig. Hier trifft auch die Kennzeichnung des Soziologen und Emigranten René König (1976) zur Form der Unrechtswiedergutmachung zu:
„Es waren Prozesse nötig für die Wiedergutmachung. Wobei die Wiedergutmachung ja eines der traurigsten Dinge in der Bundesrepublik ist; denn es hat um alles erst Prozesse geführt werden müssen, und die größten Zahlungen sind an Rechtsanwälte und nicht an die Betroffenen gegangen, wobei jeder normale deutsche Bürger der Überzeugung ist, daß die Juden entsetzlich viel Geld aus Deutschland bezogen haben damals.“9
Und wenn man so will veranschaulicht der „Entschädigungsfall“ Bloch die (so wichtige wie wenig bekannte) Polarisierungsthese10 des (texanischen, später im inneramerikanischen Exil in New York verstorbenen) US-Soziologen Charles W. Mills [1916-1962]: der spätkapitalistische Kulturbetrieb („cultural apparatus“) produziert empirisch oben wenig Stars – wie die politische Publizistin Arendt – und unten viele Tagelöhner („commercial hacks“) – wie den politischen Philosophen Bloch.
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1Peter Zudeick, Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch – Leben und Werk. Moos & Baden-Baden: Elster, 1987, 359 [zu 256/257]
2 Richard Albrecht, Exil-Forschung. Studien zur deutschsprachigen Emigration nach 1933. Ffm.-Bern: Lang, 1988, 265-314; ders., Carl Zuckmayer im Exil, 1933–1946. Ein dokumentarischer Essay; Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 14 (1989) I, 165-202; ders., Carl Zuckmayers amerikanische Jahre. Aspekte der Erfolglosigkeit eines erfolgreichen Dramatikers in der Emigration; Communications, 20 (1995) 1, 112-128; ders., No Return – Carl Zuckmayers Exil. Aspekte einer neuen Biographie des deutschen Erfolgsdramatikers. Ein dokumentarischer Essay. Mainz: CZG, 1995; ders., … was wir draus machen ist alles: Carl Zuckmayer. Dokumentar-biographische Erzählung; Facetten der internationalen Carl-Zuckmayer-Forschung. Beiträge zu Leben – Werk – Praxis. Hg. Richard Albrecht. Mainz: CZG, 1997, 7-20
3 Richard Albrecht, Das totalitäre Phänomen. Zur politischen Soziologie des Totalitarismus nach Hannah Arendt; soziologie heute, 3 (2010) 12: 32-35; ibid, 3 (2010) 13, 36-38
4 Ernst Bloch, Philosophische Grundfragen I: Zur Ontologie des Noch-Nicht-Seins. Ein Vortrag und zwei Abhandlungen. Ffm.: Suhrkamp, 1961
5 René König, Soziologie in Deutschland. Begründer / Verfechter / Verächter. München: Hanser 1987, 241
6 Richard Albrecht, The Utopian Paradigm; Communications, 16 (1991) 3: 283-318; Tertium – Ernst Bloch's Foundation of ›The Utopian Paradigm‹ As a Key Concept Within Cultural and Social Sciences Research Work ; ders., „Zerstörte Sprache – Zerstörte Kultur“: Ernst Blochs Exil-Vortrag vor siebzig Jahren: Geschichtliches und Aktuelles; Bloch-Jahrbuch, 13 (2009), 223-240; ders., „Zerstörte Sprache“ – Zum 125. von Ernst Bloch; soziologie heute, 3 (2010) 11, 24-26
7Albrecht, „Das totalitäre Phänomen“, 37
8 Bescheid des baden-württembergischen Landesamts für die Wiedergutmachung Stuttgart vom 26.10.1966: 134 ff. der Entschädigungsakte; Vergleich vom 19./28.9.1967, landesministeriell genehmigt am 2.10.1967; ebenda, 159
9 René König: WDR-Interview, 7. März 1976; zitiert nach Richard Albrecht, René König: Einmal Emigrant – Immer Emigrant; soziologie heute, 3 (2010) 10, 36-39, 38 f.
10 C. Wright Mills, The Cultural Apparatus [1959]; The Politics of Truth. Selected Writings. Ed. John H. Summers (Oxford University Press 2008, 203 ff.)
Richard Albrecht (PhD.; Dr.rer.pol.habil.) ist unabhängiger Sozialwissenschaftler & freier Autor in Bad Münstereifel, vertritt in der empirischen Kultur- und Sozialforschung den „Utopian Paradigm“-Ansatz (Communications, 16 [1991] 3: 283-318), veröffentlichte in den letzten Jahren als Sozialwissenschaftsjournalist vor allem in soziologie heute, Aufklärung und Kritik, der Zeitschrift für Weltgeschichte und dem Netzmagazin Film und Buch sowie die Bücher SUCH LINGE (2008), FLASCHEN POST (Editor, 2011) und den Erzählband HELDENTOD. Kurze Texte aus langen Jahren (2011).
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