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André Schinkel

Apfel und Szepter
Über das Leseheft Apfel und Szepter
Kritik
André Schinkel | Apfel und Szepter   André Schinkel
Apfel und Szepter
Fixpoetry Lesehefte No 16
Verlag im Proberaum, Klingenberg
6,90 Euro

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André Schinkels Verse sind in klassischer Metrik gesetzt, durch Reim gebunden, Genitivmetaphern finden sich häufig, Komposita ebenso wie das schmückende Beiwort, das ganze Programm also: Er beruft sich auf das Pathos tradierten lyrischen Sprechens. Dieser Anspruch zeigt sich vom ersten Buch­staben an: Er schreibt die Zeilen­anfänge groß, ein hoher Ton ist angezielt, er beherrscht ihn mit Sicherheit. Das Erinnern wird als Bestand­teil lesenden Genusses ernster genommen, als ein einseitig auf den Moderne­diskurs ausge­richtetes Poesie­ver­ständnis das gern hätte. Neben klassi­scher Lyrik (auch: klassisch moderner) schim­mern vor allem Dichter der sächsi­schen Dichter­schule (R. Kirsch und Czecho) durch. (Überhaupt scheint aus diesem abgesägten Ast in Halle kräftig ein grüner Reiser zu Sprossen. Mit Wilhelm Bartsch sei ein dortiger Kollege erwähnt.) Ein Dichten, dass poeti­sche Normen als objektiv gegeben (für sich) hinnimmt und eher auf Kommuni­kation setzt, als auf hochgezüchtete Indivi­dualität.
  Selbst isoliert etwas geschraubt wirkende Zeilen wie: „Du stehst und staunst – und fragst Dich / Nach dem Zorn dieser friedlichen Völker / Auf diesem abschüssigen Grund ...“ wirken hier glaubhaft, nicht nur weil das Umfeld ihren Ton stützt, sondern weil sie vom Kontext einen eindeutigen Sinn erhalten. (Eindeu­tigkeit ist kein Wert an sich, aber Quasigkeit ist es eben erst Recht nicht.) Wer zweifelte, ob diese Sprach­reichtum eher aus einer übergroßen Leidenschaft zum Dekor erwüchse, als einer arti­kulierten Diktion, der schaue sich den Gebrauch von Genitiv­metaphern oder Komposita an: Plausibler Weise kommen sie zum Beispiel in den vierhebig geordneten Texten seltener vor.
  Diese Sicher­heit entwickelt einen Sog: Merk­würdig gelassen strömt die lyrische Rede dahin. Man mag an Alters­stil denken. (Der Rezensent sagt das mit Er­schrecken, bemerkt er daran doch, welche Vor­urteile auch sein Lesen steuern!) Ein so sicheres Spre­chen muss aber kein abge­sicher­tes sein. Deut­lich ist spürbar, dass sich hier fragile dichte­rische Existenz sprachlich konstituiert. Sprach­liche Sicher­heit, nicht abge­sichertes Spre­chen also. Das wird gern ver­wechselt, aber letzteres wäre es nur, wo dies Sprechen herrschende Lebens­form affirmierte.
  Schinkels Sprechen darf aber auch deshalb als unabgesichert gelten, weil solchem Sprechen von heutigen Lesern viel Miss­trauen ent­gegen­schlägt. Er muss also klopffester bauen, als diejenigen, die dieses Sprechen ent­wickelten und nimmt allein damit einen anderen Schreibort ein.
  So sieht man den Versen gern nach, dass sie hie und da sozusagen nach Klavierzimmer riechen und freut sich des fein lakonischen Flusses, der Wendungen wie „Fotzen-Katheder“ oder „Aufbruch­gedöns“ ohne Gewese und ohne dabei provokativ sein zu wollen, aufzunehmen versteht. (Wie mit der Brechstange gearbeitet wirkt heute im Gegensatz dazu Brechts geschätzte Lakonie.) Zumal Schinkels Themen nie sein Dichten gänzlich beherrschen, sondern dies sich bei Bedarf den Zwängen und Bindungen eines einseitig auf eine Authentizitätsfiktion ausgerichteten Sprechens auch enthebt und in Räume vordringt, die man etwas altmodisch als die der absoluten Dichtung charakterisieren könnte. Beim zweiten Teil des komplexen Zyklus On The Dreamline Sangerhausen-Saqqara handelt es sich zum Beispiel um einen irri­tierend gebauten Text. Er besteht aus 15 Zeilen und lässt sich als zwei über­lappende Sonette verstehen. In der einen Lesart beginnt das Sonett mit der ersten Zeile und hat einen über­raschenden Nachspruch. In der zweiten beginnt es mit der zweiten Zeile des Textes, wobei die erste Zeile sich als eine Art Überschrift oder Motto deutet. Erstaunlich fein realisieren sich bei beiden Lesarten die sonetttypischen Zäsuren. (Erstaunlich, insofern ja jedes Sonett da Bindungen realisieren muss, wo im jeweils anderen die Zäsur liegt.)
  Bei so viel Licht ist der Rezensent gern bereit, einige Dinge, die ihn stören als Geschmacks­unter­schiede sich selbst anzulasten: So wird Manches, was in der Schicht des Gedicht­sprechens als Gepflogenheit der dichte­rischen Rede noch plausibel ist, wenn es eins zu eins in die wörtliche Rede eingeht zum Manierismus: „ein lichterndes Lauschen – die / Blicke der Brombeeren, sagst du“, „Wir sind Rosen- / Käfer im Wind der Verdammnis, sag ich“. Wenn so etwas nur in einem Text vorkäme, verstünde man dieses Mittel als ironisches Spezialität, das die vorge­stellten Sprecher charakte­risieren soll, es scheint aber nach Masche gestrickt: „Das sind die Spuren/ Der Reiher, sagst du, die ziehn / Über die Köpfe ohne zu fragen, wo- / Hin.“. „Ich sagte es schon. Die Lerchen, auch / Das, sind im Schlußangebot.“
  Ein Heft, das ich dennoch mit Freude gelesen habe.

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Bertram Reinecke   07.06.2010   
Bertram Reinecke
Lyrik
Gespräch