poeten | loslesen | gegenlesen | kritik | tendenz | news | links | info | verlag | poet |
Das Minenfeld des politischen Gedichts
Von Bertram Reinecke Essay
Der für das Jahrbuch „Gegenstrophe“ entstandene Essay „Aggregate der Poesie 2“ setzt die im Essay „Aggregate der Poesie 1“ begonnene Auseinandersetzung mit dem Gegenwartsgedicht an Hand von aktuellen Anthologien fort. Der hier wiedergegebene Ausschnitt zum politischen Gedicht wurde gewählt, um an dieser Stelle an Armin Steigenbergers Arbeit zum Jahrbuch anzuknüpfen. Auch mit politischen Themenfeldern lässt sich ... der Bildspeicher des Lesers leicht anzapfen: Voß zitiert in seinem „Volkslied“ den Lindenbaum, das Horst-Wessel- Damit sind wir auf dem verminten Feld des politischen Gedichts angelangt. Gerne wird es gefordert, viel seltener gedruckt. Vermint ist das Feld zunächst durch Inbegriffe des politischen Gedichts, die heute zumeist abgelehnt werden und schon fast gänzlich verschwunden sind. Der Band Stimmwechsel polemisiert beiläufig gegen „Agitprop oder Gutgemeintes“, ohne genauer zu sagen, was dies sei. Warngedicht, Zeigefingergedicht, relevanter Realismus usw. wären Topoi, mit denen das politische Gedicht ebenfalls verbunden wird. Auch wenn man diese Topoi dann und wann auf negative Beispiele besonders in An Deutschland gedacht anwenden mag, ist damit noch nicht klar, ob man mit solch vagen Abgrenzungen nicht vielleicht zu viel oder zu wenig ausgrenzt. [...] Verstehen wir als Agitpropgedicht im engeren Sinne zunächst den kurzen fasslichen Text, der mit einem sprachlich-inhaltlichen Dreh den Zuhörer überraschen und zum Nachdenken und schließlich Handeln zwingen soll, wie wir das oft von Erich Fried kennen. Es gibt diese Texte noch, aber sie haben sich gewandelt: „Die Menschenwürde ist unantastbar/ ›richtig‹, erwiderte der Polizist/ mit unseren Knüppeln/ tasten wir auch nicht“ hätte man vielleicht vor 30 Jahren den zentralen Gedanken der ersten Strophe von Weigonis „Totentanz und Tortenwurf“ (An Deutschland gedacht) formuliert. Der Dichter bettet solche Pointen allerdings in einen surreal anarchischen Dance Macabre, der konkrete Momente von Lebensform und Geschichte in den Text hineinschlingt. Eine andere Form des Agitpropgedichts versteckt den Zeigefinger, indem der behandelte Missstand aus der Öffentlichkeit in die private Vereinzelung verlegt wird. In Engelhards „Der Vater löscht das Lampenkind“ (Jahrbuch) bezieht sich das zentrale Bild der Überschrift auf das Ende des Leuchtens eines Kindergesichts, nach einer angedeuteten sexualisierten Interaktion zwischen Vater und Tochter. Dieser Text folgt leicht verrätselt dem Mechanismus des Agitpropgedichtes.3 Mit Inbegriffen des politischen Gedichts, die auf bekannte Muster zurückgreifen, kommt man also nicht weit, will man herausfinden, welche Perspektiven es bietet. Man muss eine Stufe tiefer ansetzen. Da fällt auf, dass die Verfechter des politischen Gedichts diesem oft wie selbstverständlich hohe Zugänglichkeit abfordern, wahrscheinlich aus der Intuition, dass Wirksamkeit Allgemeinverständlichkeit einschlösse. Ja, oft hat man das Gefühl, dass die Forderung nach dem politischen Gedicht nur ein Trojanisches Pferd sein soll, endlich das „verständliche“ Gedicht wieder einzuführen. In solcher Haltung liegen zwei Missverständnisse verborgen: Man fordert nicht irgend ein politisches Engagement sondern das gute Neue: Wolf Martins Machwerke („Kronen Zeitung“) fordert man nicht. Entweder ist dies gute Neue gar nicht neu sondern bereits Konsens oder man fordert politische Gedichte, die auch politische Gegner auf den Plan rufen. Da ist es zynisch, vom Dichter zu erwarten, er solle die Kartoffeln aus dem Feuer holen und ihm gleichzeitig noch die Camouflage zu verbieten. Zweitens ist es ein Irrtum zu glauben, dass schwierige Gedichte nicht wirkmächtig werden könnten. Der Interpretationsstreit um Celans „Eden“ hat eine ganze Richtung hermeneutisch menschheitlicher Interpretierkunst, die bei gesellschaftlichem Konfliktpotential nicht hinsah, auf dass man ihren Balken im Auge (auch: Brett vorm Kopf) nicht sähe, nachhaltig beschädigt. Mehr Wirkung kann sich ein Einzelgedicht kaum wünschen. Es ist also zunächst einmal kein Wunder, dass der Herausgeber von Alles außer Tiernahrung sich gegen das allzu direkte, allzu zugängliche politische Gedicht wehrt und unter anderem dessen Kassiberfunktion betont. Auf der anderen Seite gibt es dann immer das Problem, dass ein Kassiber, der mich nicht erreichen soll, mich auch oft nicht erreicht. Er setzt deshalb die Maßstäbe, was es heißt, etwas Politisches zu äußern, nicht allzu hoch an. Andererseits gibt es bei ihm einen Reflex gegen alles „angesäuert Moralische“, Utopische. Das klingt denn doch etwas nach: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Immer wenn ein Gemeinplatz jahrelang und ungefragt wiederholt wird, wie der vom Ende der Utopien nun seit über zwanzig Jahren, legt sich der Verdacht nahe, er sei in sich selbst ideologisch. Das grundsätzliche Problem: Wer eine wenig bekannte Position vertritt, muss sie zunächst erstens vereinfacht darstellen, zweitens argumentieren. Jede konsistente Argumentationskette lässt sich als Ideologie diskreditieren, jede vereinfachte Darstellung als zu einfach zurückweisen. Für den Status quo hingegen, den jeder in gewisser Breite kennt, muss niemand argumentieren, da reicht Anspielen. Das wirklich Neue wird im Gedicht noch einmal sprachlos, wenn ihm mit zu viel antiideologischem Misstrauen begegnet wird, da das regelgemäße Argument ohnehin seine Stärke nicht ist. Ein politisches Gedicht in Alles außer Tiernahrung reduziert sich damit auf ein normales Gedicht, das politisch beladene Wörter enthält. (Fast) jedes einzelne Gedicht mag bedenkenswert sein, über die Strecke klingt zu viel Feuilleton durch. Stärker wird der Band paradoxer Weise z.B. da, wo er dem Budenzauber mit Politbegriffen entgegentritt: „Die Flucht aus zweiter Hand wird ausgegessen … Moralisch sauber nur mit Kriegsverlauf.“ (Kunst); „es sind dieselben moewen, deren vorväter/ als mitlaeufer unter den nazis dienten “ (Lafleur). Stärker wird der Band auch da, wo ein politisches Thema ergriffen wird, ohne auf politische Ereignisse anspielen zu müssen. Norbert Langes Suchbilderzyklus stellt eine absurde Meditation auf die durch TV vermittelten Sprachmöglichkeiten auf deutschen Durchschnittsterrassen dar4, die vorführt, an welchen Kleinigkeiten deren sprachlicher Weltzugriff bereits zum Scheitern verurteilt ist. Wer dem politischen Gedicht abfordert, mir zu sagen, worüber ich nachdenken soll, ohne mir zu sagen, was ich denken soll, kann ebenso gut ein Kindheitsgedicht mit Nabelschnur als konservatives Politgedicht ablehnen, weil es deutsche Innerlichkeit befördert. Dann ist das Feld wieder offen. Mit anderen Worten: Ich weiß, dass es interessante politische Gegenwartsgedichte gibt. Es wird nur keinen Konsens darüber geben, welche dies sind. Denn entweder bewegen sie sich am einen Ende der Kunstskala, struppig und ruppig, einen auch mal mit schiefen Meinungen überfahrend, wie Clemens Schittko, oder es sind versteckte, manchmal schrullige Kassiber, bei denen die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz offen bleiben muss. Was dazwischen ist, neigt schnell dazu auszusehen, als wollte jemand seine gepflegten Kunstmittel auf dem Rücken eines Missstands durch die Landschaft führen. Dazu kann man jedes Gedicht einer politischen Lektüre unterziehen. (Für einen Anthologisten ist damit das politische Gedicht keine ergiebige Aufgabe.) ________________________ 1Politisch irrelevant, wo dies ohnehin immer weniger gesungen wird. Ein Nachtreten.
2Allenfalls kokettiert es damit, aufs Politische zu verzichten: „Ufer // schwalben sind; / Stukas: Schrott,“ 3 Auf den Schwingen solcher Poesie erhebt sich der Text in den Tiefflug. Wie flirrend etwa „Schuhe“ im Gedicht eingesetzt sein können, zeigt sich bei Norbert Lange, während sich zu „Lampenkind“, dem stärksten Bild aus Elke Engelhardts Text, bei Andre Rudolph ein Pendant findet: „kam ich mir / irgendwie hell vor; / wie ein Leuchtzwerg, dem sie gerade/ eine neue hundert-watt-lampe / reingeschaubt haben“ 4 Neben allem, was der Künstler noch alles hineinkassibert hat.
|
Bertram Reinecke
Lyrik
Gespräch
|
|
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany
|
virtueller raum für dichtung
|