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Corinna T. Sievers
Maria Rosenblatt
Eine Frau am Abgrund
Kritik |
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Corinna T. Sievers
Maria Rosenblatt
Roman
Edition Nautilus, Hamburg 2013
144 Seiten, 16 Euro
ISBN 978-3-89401-779-8 |
Wenn sich das eigene Leben dem Abgrund nähert, ist es Zeit für etwas Mascara und Puder. Für ein neues Kleid. Für einen Schnaps oder auch zwei, oder drei. Für eine Affäre. Für Sex im Swinger-Club. Und vielleicht ist jetzt auch der richtige Zeitpunkt, Beweismittel zu unterschlagen – um jemanden zu decken, gegen den man selbst ermittelt. Das zumindest scheint das Rezept von Maria Rosenblatt zu sein, der titelgebenden Figur des neuen Romans von Corinna T. Sievers.
Dabei sieht nach außen alles so perfekt aus: Maria Rosenblatt ist eine erfolgreiche Kommissarin. Sie wohnt mit ihrem Mann Hannes, einem anerkannten Psychiater, und den zwei gemeinsamen Kinder in einem großzügigen Haus am Zürcher See. Das Vermögen ist so groß, dass Maria Rosenblatt eigentlich gar nicht arbeiten müsste.
Sie tut es trotzdem. Nicht etwa, weil sie eine aufopferungsvolle, verantwortungsbewusste Frau wäre, die ihren Dienst an der Menschheit tun will. Eher schon will sie der Ödheit und Langeweile (und Enttäuschung) des eigenen Lebens entkommen. Jeden Morgen „flüchtet“ sie aus dem Haus, steigt in eines der Autos, verlässt die scheinbar heile Welt, fährt vorbei an „feudalen Anwesen“ zum Präsidium in die Stadt. Dort verbringt sie viel Zeit – viel mehr als mit der eigenen Familie.
Nach außen dominant, launisch, innerlich geplagt von Selbstzweifeln und Sinnfragen stürzt sich die Kommissarin mit ihrem (ausschließlich männlichen) Ermittlerteam in einen neuen Fall – es geht um Kinderpornografie.
Gleichzeitig gerät ihr Privatleben aus den Fugen: Die emotional und sexuell vernachlässigte Ehefrau entfernt sich von Mann und Kindern, hat die eigenen sexuellen Fantasien und Wünsche kaum noch unter Kontrolle, stürzt sich in ein erotisches Abenteuer, das wieder Leidenschaft in ihr Leben bringt und das, so ahnt man, kaum gut ausgehen kann.
Auf diese Weise erzählt der Roman eine doppelte Geschichte: Einerseits geht es um einen Kriminalfall, der gelöst werden soll; andererseits, und das ist der spannendere Teil der Geschichte, geht es um die Widersprüche der Hauptfigur, die sich mit einem bemerkenswerten Hang zur Selbstzerstörung zielsicher auf einen Abgrund zubewegt.
Dass Maria – ausgerechnet! – mit einem Fachmann für Seelisches verheiratet ist, hilft dabei nicht: „Hannes war Psychiater und kannte sich aus mit den Abgründen der Seele, aber nicht mit Marias.“ Selbstmordgedanken, übermäßiger Alkoholkonsum: Die Hauptfigur erscheint als mindestens ebenso gefährdet wie der Ermittaalungserfolg.
Spannend ist der Roman nicht nur wegen der erzählten Handlung, sondern auch wegen seiner Sprache. Die kurzen Sätze kommen oft ohne Verben aus, stellen Fakt neben Fakt. Das wirkt mal wie eine Regieanweisung, mal wie ein atemloses Protokoll, mal wie eine Schilderung subjektiver Eindrücke, etwa wenn sich die Figur im Spiegel betrachtet: „Augen groß und schwarz und bodenlos, die Oberlippe voll und geschwungen, Entschädigung für den Höcker auf der Nase, im Gesicht eine Falte, von der linken Augenbraue bis zum Haaransatz.“
Mit kunstvoller Beiläufigkeit scheint in Alltagsgesten das Unglück der Hauptfigur auf. Haare kämmen, Schminken, Ankleiden: Dem Text gelingt es, in diesen kleinen Handlungen – den wenigen festen Ritualen in einem Leben, das zusehends außer Kontrolle gerät – die Zerbrechlichkeit und existenzielle Unzufriedenheit der Figur zu zeigen: „Es gibt Tage, da hindert ihre Wehmut sie am Gehen, am Essen, am Atmen, plötzlich war sie da und hat sich nicht mehr vertreiben lassen.“
Doch neben der zarten Einfühlung in Marias wohlstandsgepolstertes Unglück bietet der Roman noch etwas ganz anderes: klare, harte Bilder von Sex und Gewalt, in denen sich menschliche Abgründe zeigen. Wie zuletzt in ihrem 2012 erschienen Roman „Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in seiner Schöpfung“, erzählt die Autorin in nüchterner, präziser Sprache Szenen, die nicht leicht zu verkraften sind, weil sie gegen Tabus verstoßen.
Die extreme sprachliche Verknappung, die Gegensätze der Hauptfigur und die stellenweise ungeheuerliche Geschichte machen auch Sievers' neuen Roman zu einer spannenden, intensiven Lektüre. Die Mischung aus Krimi und Psychogramm der Ermittlerin, gepaart mit einem starken Stilwillen, hebt das Buch aus dem Fach gängiger Spannungsliteratur deutlich heraus.
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Carola Gruber
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