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Vendela Vida
Des Tauchers leere Kleider

Fremder Pass, fremdes Ich
Vendela Vidas Roman „Des Tauchers leere Kleider“ erzählt von
einer rasanten Selbstflucht und -suche
  Kritik
  Vendela Vida
Des Tauchers leere Kleider
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Monika Baark
Aufbau Verlag, Berlin 2016
Gebunden, 252 Seiten, 19,95 EUR
ISBN 9783351036294



Eine US-Amerikanerin kommt in Casablanca an und wird im Hotel bestohlen: Noch bevor sie ihr Zimmer erreicht, ist sie ihren Rucksack mitsamt Pass, Laptop und Reiseführer los. Der Dieb ist auf einer Videoaufzeichnung des Hotels zu sehen, und nach kurzen Ermittlungen erhält die Frau von der Polizei einen Rucksack „zurück“ – allerdings nicht ihren eigenen. Ausgestattet mit fremdem Pass und fremder Kreditkarte nimmt sie eine neue Identität an.
  Das ist die Ausgangssituation des neuen Romans von Vendela Vida „Des Tauchers leere Kleider“. Er erzählt von einer Identitätskrise, in der die Protagonistin eine Reihe von Verwechslungen und Irrungen durchlebt, wobei ihr die Situation zusehends zu entgleiten droht. Offenbar ohne konkretes Ziel nach Marokko gekommen, wird sie durch Zufall bei einer Filmproduktion als Lichtdouble für eine berühmte amerikanische Schauspielerin engagiert.
  Die von außen glitzernde, nach innen mitunter abgründige Filmwelt passt bestens zur Situation der Protagonistin. Verhandelt wird die Diskrepanz zwischen Schein und Sein: Als Lichtdouble ist die Protagonistin Ersatz – zum einen für das bisherige Double, das auf den schönen Schein einer Affäre hereingefallen ist, zum anderen für die berühmte Schauspielerin. Dieser soll sie möglichst ähnlich sehen, aber nicht zu sehr. Auch diese Rollen geraten im Laufe der Erzählung durcheinander.
  Die Protagonistin verstrickt sich in Widersprüche und gibt sich immer neue Identitäten. Dass sie auch den Namen der neugeborenen Nichte annimmt, lässt ahnen, dass das Spiel mit den doppelten Identitäten kein heiteres ist, sondern einen ernsten Grund hat und wo dieser zu suchen ist. Das Netz aus Widersprüchen zieht sich um die Protagonistin zusammen – und der Leser erfährt die Vorgeschichte dieser rastlosen Selbstflucht.
  Erzählt wird in einem Ton mit soghafter Wirkung. Die Hauptfigur wird durchgehend in der zweiten Person angesprochen. Dieses „Du“ erinnert an ein Selbstgespräch der Figur und ist zugleich eine Einladung an den Leser. Sowie ein Kunstgriff, mit dem es der Autorin gelingt, das Verwirrspiel um die Identität ihrer Figur sehr weit zu treiben. Denn den richtigen Namen der weiblichen Hauptfigur erfährt der Leser bis zum Schluss nicht. Man kann diesen Kunstgriff etwas bemüht finden. Wenn man sich jedoch darauf einlässt, trägt das „Du“ zum (sprachlichen) Sog des Romans bei.
  Klug und temporeich orchestriert ist diese Geschichte, die Figur stolpert von einer Verwicklung in die nächste. An manchen Stellen wirkt sie dabei sehr passiv, fast möchte man sie wachrütteln, aber genau darum geht es ja in dieser Geschichte: dass sich eine Figur streckenweise selbst abhanden kommt. Ihre ziellose, schlingernde Bewegung entfaltet eine eigene Spannung.
  Eine Stärke des Romans sind die vielen komischen Situationen, die die Autorin bei aller Tragik der erzählten Selbstflucht entspinnt. So wird die Protagonistin bei einem Ausflug nach Meknes sich selbst gleich mehrfach zur Doppelgängerin. Durch ein Missverständnis sucht sie, ohne es zu ahnen, sich selbst, im wörtlichen Sinn.
  Die Autorin ist kein unbeschriebenes Blatt. Vendela Vida ist Mitherausgeberin der von ihrem Ehemann Dave Eggers gegründeten Literaturzeitschrift „The Believer“. Es ist ihr vierter Roman, bereits in den drei vorangegangenen Romanen gingen Frauen auf Identitätssuche, oft nach traumatischen Erfahrungen und meist verbunden mit Reisen. Ihr Debüt „Und jetzt können Sie gehen“ etwa erzählt davon, wie eine Frau, die beinahe Opfer einer Gewalttat wurde, nach dem Übergriff ihr Leben hinterfragt und sich auf eine Reise begibt. Reisen nach Lappland auf den Spuren der eigenen Familiengeschichte und in die Türkei mit Reminiszenzen an eine längst vergangene Hochzeitsreise sind die Themen ihrer Romane „Weil ich zu spät kam“ und „Liebende“.
  „Des Tauchers leere Kleider“ reiht sich hier gut ein. Eine kleine Schwäche des Romans ist, dass in ihm einiges fast zu gut zusammenpasst. Zum Beispiel wiederholt und variiert die Doppelgängersituation am Filmset, wo die Protagonistin im Schatten der attraktiven berühmten Schauspielerin steht, einen Teil ihrer Familiengeschichte. Auch hier stand die Hauptfigur im Schatten der beliebteren, hübscheren Figur, der Schwester – und hat für sie ein schwerwiegendes Opfer gebracht. Nicht zuletzt dient die Filmwelt hier wieder einmal als bewährte Metapher für Rollenverwirrungen und Selbstfluchten aller Art.
  Die Autorin weiß, was sie tut – trotzdem oder gerade deswegen ist „Des Tauchers leere Kleider“ ein spannender, unterhaltsamer Roman. Dass sich bei einer Figur, die sich so nah am Abgrund bewegt, kaum ein befriedigendes Ende für diesen Roman finden lässt, liegt wohl in der Natur der Sache. Dennoch ist „Des Tauchers leere Kleider“ ein lesenswerter Roman.

Carola Gruber     29.04.2016    

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