poeten | loslesen | gegenlesen | kritik | tendenz | news | links | info | verlag | poet |
Marcus Roloffreinzeichnungein unterlaufener landstrich / in komplementärfarben Kritik
Mit „Reinzeichnung“ erscheint nun Marcus Roloffs vierter Gedichtband. Und wieder ist meine erste Reaktion auf die Gedichte dieses Autors eine zunächst weitgehend unreflektierte reine Freude. Denn Roloffs Gedichte sind schön. Das allerdings ist keine hinreichende Charakterisierung, denn selbst wenn es gelingt eine zumindest vorläufig funktionierende Übereinkunft darüber zu erzielen, was ein Gedicht sei, so werden wir uns auf eine allgemeingültige Definition von Schönheit wohl nicht so schnell einigen können. So leicht kann ich es mir also nicht machen. Also doch lieber deskriptiv. Mit Beispielen: Da ist zunächst einmal der Titel. Wie gut „Reinzeichnung“ zu den Texten des Bandes passt, ist mir tatsächlich erst klar geworden, nachdem ich das Buch auf dem Küchentisch liegengelassen, und mein Sohn die Gelegenheit, in die klar aufgerissenen Buchstabenfelder auf dem Cover mit unverdrossener Lust hinein zu zeichnen beherzt ergriffen hatte. Denn so gelingt es auch Roloffs Gedichten immer wieder, auf der einen Seite die präzise Reinzeichnung einer Vorstellung oder eines Bildes zu liefern, auf der anderen Seite – oder in einer anderen Schicht – eben in diese präzise Zeichnung ganz anderes, neues hineinzubringen. sappho (kleis / tochter) Eigene Beobachtungen zu Sapphos Dichtung, zum Schicksal ihrer Texte und ihres Namens, landläufige Vorstellungen von Sappho, Griechenland ... Mühelos versteht es Roloff, all dies in verschiedenen Bildern über- und ineinander zu zeichnen. Es könnte den Leser schwindeln dabei, und doch sorgen die ruhige Selbstverständlichkeit der Form und der behutsam gestaltete Rhythmus stets dafür, dass wir den Kopf nicht über den Versen verlieren. Häufig, besonders im ersten Teil, sind real existierende Bilder Ausgangspunkt der Gedichte. Und auch hier tun sich neue Ebenen auf, denn Roloff zeichnet nicht nur in ein (bekanntes) Bild Neues hinein, sondern auch in die (uns ebenfalls bekannte) Situation des Betrachtens in einem Museum, etwa: städel #1 So kann man (und sollte man) die Gedichte in „Reinzeichnung“ mehrfach und unter unterschiedlicher Beleuchtung mit unterschiedlichen Augen lesen, als „Reinzeichnung“, also als das eine in sich geschlossene und nicht hintergehbare Gebilde, das jedes der Gedichte ist, und dann als Ineinander verschiedener Zeichnungen, die wir in eine Ordnung bringen, oder deren Überlagerungsstellen wir gezielt suchen können („wie phoenix aus dem raster // auf dem ORWO kontaktabzug“). Und natürlich werden diese Leseeindrücke flüchtig sein, einander umspielen und immer wieder ablösen, wie eben der Blick zwischen Reinzeichnung und Reingezeichnetem schwankt: pappeln um stendal
|
Dirk Uwe Hansen
Lyrik
|
|
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany
|
virtueller raum für dichtung
|