so bildet die fremde / gespräche aus
Uljana Wolf: kochanie ich habe brot gekauft. Gedichte
Uljana Wolf, 1979 in Berlin geboren, legt mit ihren Debütband kochanie ich habe brot gekauft ein Buch vor, das Herz und Verstand anspricht und dessen gesamte Textur wie physikalische Wellen zusammentrifft, sich überlagert, manchmal ergänzt oder in Widerspruch zueinander gerät. Der Band erzählt von heiterer Selbstvergewisserung und ernster Spurensuche, von Liebe und Versöhnung. Wer sich die deutsch-polnische Geschichte mit ihren Pogromen und Kriegen vor Augen führt, mit fliehenden Menschenströmen, mit der Unzahl Gefallener und Ermordeter, dem wird die Suche der Autorin nach ihren Ursprüngen nahe gehen.
Im eindrucksvollen Zyklus kochanie ich habe brot gekauft* werden teilweise liedhaft, Interferenzen gleich, an unterschiedlichen geographischen Plätzen Gedächtnisüberlagerungen aufgezeigt. Die Autorin führt die Leser mit Gespür und ohne falsche Analogien in fremde Lebenswelten, in denen der Ofen wärmendes Zentrum der Familie war. Sie erinnert mit Worten wie schliefen die öfen an die Streiks der 70er Jahre in Polen, als die Hochöfen nicht mehr brannten. schliefen die öfen evoziert aber auch untergründig eindringlich, im Gespinst der Texte, den Holocaust. Landschaftsfotografien aus fahrenden Zügen, Standbilder von Gleisen und Bahnhöfen illustrieren in manchen Versen Reisen von Deutschland nach Polen und zurück, deren triste Realität sie impressionistisch einfangen, um sie dann symbolgeladen in Strophen wie glauchau zu offenbaren.
glauchau
als wir krank von ruß
und schüttgut aus archiven
zogen mit den großvätern
ins geschlossene stellwerk ein
sahn die alten gleisbewacher
ihre hände an die hebel legen
durch die tote weichenleitung
ging ein zittern wie auf reisen
Als einige Zeit später das poetische Wir Uljana Wolfs nach Legnica / Liegnitz aufbricht, schreibt sie:
als wir fuhren in den zügen trugen
männer, die nicht unsre väter warn
das land in handgeflochtenen körben
(pilze, biere) schläfrig durchs abteil
der rauch aus ihren mündern hing
wie nacht und lange noch im haar
Und kommt damit nach Berlin zurück, zum Ausgangspunkt der Reise, die mit den Zeilen begann: als wir aufwachten mit nestern im haar / die wir nacht nannten.
Im Titeltext
kochanie ich habe brot gekauft verfliegen dann die Geister der Geschichte, räumen das Feld und machen der Liebe Platz. Die erotische Leichtigkeit, die manche Zeilen dieses Bandes im Subtext haben, stellt sich am Schluss des Gedichtes wieder ein, und so verwandelt sich die Einladung zum gemeinsamen Essen in eine
übersetzbare matratze des Eros.
Wer neue Töne sucht, liebt, gern sinniert und das korrespondierende poetische Wechselspiel von Worten schätzt, wem geschichtliche und persönliche Interferenzen Anlass zum Reflektieren sind, wird sich in die von Uljana Wolf hermeneutisch betrachteten vergangenen Zeiten einfühlen, von ihrer unmittelbaren gegenwärtigen lyrischen Welt angezogen sein und der Magie ihrer Texte erliegen.
*kochanie (polnisch) Liebste, -r, -s
Uljana Wolf
kochanie ich habe brot gekauft. Gedichte
Reihe Lyrik hrsg. von Daniela Seel, Band 5
Berlin: kookbooks 2005
Uljana Wolfs Buch bei kookbooks
Uljana Wolf im Poetenladen
Lutz Hesse