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Pier Paolo Pasolini und Norbert C. Kaser
Confessioni – Bekenntnisse
wir können nur stumm bleiben in anbetracht von pasolinis bittrem sterben (…) seine tafel ist gelöscht & keine klappe wird mehr fallen, straßen werden seinen namen tragen seine werke neu verlegt sein seine filme unzensiert in retrospektiven gezeigt. (…) unisono singt der chor der italienischen kultur: „was Du im film gezeigt / hier paolo / dessen opfer bist du geworden.“ sehr beruhigend sehr tröstlich.
Diese Zeilen schrieb der Südtiroler Dichter und Aushilfslehrer Norbert C. Kaser vor 30 Jahren in einem Brief aus der Villa S. Guiliano, einer Klinik für Alkoholkranke, nahe Verona. Kaser war dort Patient. Anlass für den Brief war die Ermordung Pier Paolo Pasolinis, der in Ostia bei Rom von einem Stricher grausam getötet wurde. Die öffentliche Anteilnahme am Schicksal Pasolinis drückte sich bei seinem Begräbnis in einem nicht enden wollenden Trauerzug aus. Manch ein Funktionär der KPI oder der Democrazia Christiana wird im Zug der Trauernden mitgegangen sein und insgeheim gedacht haben: Den sind wir los. Galt ihnen doch der Bauernjunge aus dem Friaul, der Filmemacher, Dichter und Homosexuelle, als Stachel im Fleisch eines „compromesso storico“. Pasolinis politische, sexuelle und künstlerische Tabubrüche und die daraus erwachsende Einheit von Leben und Werk des Autors waren seinen Hassern, die es in allen gesellschaftlichen Schichten Italiens zahlreich gab, ein Dorn im Auge.
Eros und Thanatos bereiteten Pasolini den Weg zu seinem Ende, die bigotte Meute schrie bei ihm und auch bei N. C. Kaser „kreuzigen, kreuzigen“. Wer die Verfilmung des Matthäus-Evangeliums, die 120 Tage von Sodom und Accattone gesehen hat, wird sich erinnern. Nach ihrem Tod wurden Kaser und Pasolini zu Museumsleichen stilisiert. Preise werden nach ihnen benannt und sogar in den Schulbüchern kann man sie heute finden.
In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelt Pasolini in seinem Poem Eine verzweifelte Vitalität (Una disparata vitalitá) wie in einem Film Szene an Szene. Die erste Zeile des Gedichtes – Wie in einem Film von Godard – verrät den Lesern den Aufbau des Textes. Die filmische Textur wird durch seine Gestaltung von Zeilen und Absätzen sichtbar. Eine verzweifelte Vitalität treibt den Dichter zum Arbeiten und in den Tod, aber: Der Tod liegt nicht / im Sich-nicht-mitteilen-können / sondern im Nicht-mehr-verstanden-werden-können.
Verstehen wir Pasolini noch, wenn er positiv Licht auf den Kommunismus fallen lässt, oder meinen wir, dies sei Schnee von gestern?
Aus dem Instinkt des Bewahrens
Bin ich Kommunist!
Eine Bewegung
Von der Leben und Tod abhängen: in den Jahrhunderten.
Ganz, ganz langsam, wie wenn
Ein Sprengmeister die Sicherung
Einer nicht explodierten Bombe abschraubt und,
für einen Augenblick, in der Welt bleiben kann
(inmitten ihrer modernen Wohnblocks im Sonnenlicht)
oder ausgelöscht für immer:
unfassbar das Missverhältnis
der beiden Möglichkeiten!
In einer anderen Szene schwenkt die Kamera mit sozialkritischer Optik auf den trostlos stöhnenden Zug, der hinter dem Himmel der gigantischen Ruinen fährt. Synchron mit dem Stöhnen der Jahrhunderte imaginiert Pasolini ein sehnsüchtiges Ächzen nach Liebe und Erfüllung seiner sexuellen Obsessionen, die sich ihm jenseits des aufgeschütteten Bahndamms in Gestalt eines nur durch ein Wunder gewährten Körpers offenbaren.
Es stöhnte der Zug, und der Akt des Stöhnens
– undenkbar weit, hinter all den Appischen Straßen
und den Centocelle der Welt –
vereinte sich mit einem anderen Akt...
Mein Akt ist Liebe. Doch ist er verloren im Elend
eines durch ein Wunder gewährten Körpers
in der Mühe des sich Verbergens, im Keuchen
entlang einer düsteren Bahnlinie, im Stampfen
durch den Schlamm eines von Giganten bestellten Landes...
Durch den Sucher der Kamera schauen wir mit Pasolini in vergangene Zeiten und hören das Leben „mechanisch Stöhnen“.
Das Leben in den Jahrhunderten
wie ein fallender Stern
hinter dem Himmel der gigantischen Ruinen,
hinter den Besitzungen der Caetani oder Torlonia,
hinter den Tuscolanischen Straßen und Capannelle der Welt –
sagte jenes mechanische Stöhnen:
das Leben in den Jahrhunderten...
Und meine Sinne waren da, es anzuhören.
Pasolini fragt gegen Ende des Textes: wer ist's, der nicht versteht? / Die, die uns nicht mehr angehören. Der Schluss des Poems liest sich wie eine vorweggenommene Totenrede des Dichters auf sich selbst: Wie ein Partisan / Gefallen vor dem Mai 45 /beginne ich langsam mich zu zersetzen / im herzzerreißenden Licht des Meeres, / ein vergessener Dichter und Bürger.
Drei Jahre nach Pier Paolo Pasolinis Tod stirbt der Dichter Norbert C. Kaser an den Folgen seiner Alkoholkrankheit. Er schreibt 1975 aus der Entzugsvilla, die er als einziges Narrenhaus begreift, in einem Brief an einen Freund: psychisch bin ich den aerzten ein undankbares objekt. tut mir leid aber meinen kopf fehlt einfach nichts. dr. prinzello – das psychotherapeutschen – stochert in meinem lebenslauf herum um die wunde zu finden der ich mein saufen verdanke. da friß! Du trottel siehst Du denn nicht das alles an mir wunde ist oder alles gaudium oder alles „tanz“. (...) daß ich dir keine einzige minute meines lebens auch nur leihweise abtreten würde begreifst Du nicht. ich bereue nichts keine lira keinen tropfen wein keinen haß keine träne keine liebschaft keine sexuellen ausflüge keinen schiß. zum x-ten mal gehen wir ergebnislos auseinander.
Von seiner Sehnsucht, bewegt zu werden, ohne dabei Wurzeln kappen zu müssen, spricht N. C. Kaser in einem seiner letzten Gedichte.
die laerche
gerne waer ich eine laerche
mueßte nicht trinken
nix rauchen
nicht mich brauchen
zu bewegen
nur bewegen lassen
gerne waer ich eine laerche
im schnee
ohne gewand
& saeh uebers land
im fruehjahr
laerchengruen
nur bewegen lassen
von boden regen hagel
(eller)
wind
gerne auch aelter
wuerd ich werrn
denn
sie
afers 280578
Der Tod des Poeten Kaser, er starb im Alter von 31 Jahren, erschütterte vor allem die jungen Südtiroler, die die Provinz Richtung Norden oder Süden verlassen hatten, um der geistigen und sozialen Enge der Dolomitentäler zu entfliehen. Sie kamen zurück. Das Begräbnis Kasers gestaltete sich zu einem traurigen Wiedersehen all derer, die seinen Weg als Dichter mit Sympathie verfolgt hatten. Der Tod des Dichters war Anlass zur Gründung einer südtiroler alternativen Bewegung, die sich gegen italienischen Neofaschismus und dumpfes deutsches Volkstum wandte. Für sie wurde der tote Kaser zur Leitfigur.
Lutz Hesse
Pier Paolo Pasolini
Wer ich bin
Mit einer Erinnerung v. Alberto Moravia
Berlin: Wagenbach 1995
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Norbert C. Kaser
Gesammelte Werke
gedichte - prosa - briefe
Innsbruck: Haymon 1988 - 1991
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weitere Literatur:
Scritti corsari (1975. Dt.: Freibeuterschriften, Hg. von Peter Kammerer 1998)
Richard Faber, Barbara Naumann, Literatur der Grenze, Theorie der Grenze Königshausen & Neumann (November 1997)