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Ezra Pound: Pisaner Cantos

Pounds Fall

Die ungeheure Tragik des Traums im krummen
Rücken des Bauern,
Manes! Manes wurde geschunden und ausgestopft,
Wie Ben und la Clara a Milano
                         An den Fersen zu Mailand
Daß die Maden ihn fräßen, den toten Bullen ...

(Canto LXXIV)
 

Die ungeheure Tragik des Traums im krummen / Rücken des Bauern - mit diesem starken Bild stimmt der Dichter Ezra Pound seine Pisaner Cantos an. Die Fellachen im Nildelta, die Bauern auf den Reisfeldern Asiens und der Poebene, ihre Abhängigkeit vom Klima, von Lehnsherren und Verpächtern werden uns bedrückend gegenwärtig.

Welchen Traum beschwört Pound im krummen Rücken des Bauern? Goyas Capricho "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" steigt herauf, wenn es bei Ezra Pound weiter heißt: Manes! Manes wurde geschunden und ausgestopft, / Wie Ben und la Clara a Milano / An den Fersen zu Mailand / Daß die Maden ihn fräßen, den toten Bullen ...

Pound beklagt den Tod des Duce, das Ende der Geliebten Mussolinis, Clara Petacci, die gemeinsam von Partisanen erschossen und mit dem Kopf nach unten in Mailand an Laternenpfählen aufgehängt und ausgestellt wurden. Der Traum im krummen Rücken des Bauern, die "Tat" Mussolinis, die Trockenlegung der pontinischen Sümpfe, wird von ihm glorifiziert, so wie mancher Simpel in Deutschland den Autobahnbau Speers und Hitlers preist. Pound hat in der Zeit der Herrschaft der Schwarzhemden Mussolinis per Kurzwelle im Auslandsfunk von Radio Roma Reden gehalten, die sich besonders an die intellektuellen Eliten der Vereinigten Staaten und Englands wandten. Zitat Pound: "Ich schreibe keine italienische Propaganda. Ich schreibe für die Menschheit die vom Wucher angefressen ist."

Der spätere Vorwurf der Hochverratsanklage, Pound habe dem Feind mit seinem Beistand und Zuspruch (aid and comfort) gedient, findet auch seine Begründung in der massiven Unterstützung von Mussolinis "Republik von Salo" durch Ezra Pound. Übereifrig verfasst er Pamphlete auf italienisch sowie die beiden Cantos LXXII und LXXIII, die er Mussolini schickt. In den Erstausgaben der Cantos fehlen diese Werke. Erst 1995 wurden sie postum durch die Herausgeber und Erben in die Gesamtausgabe aufgenommen.

In großen archetypischen, mythischen und religiösen Bildern stellt Pound eine Verbindung des italienischen Faschismus zu uralten Träumen der Menschheit und ihrer Geschichte her. Vergil, die Rede des Anchises in der Unterwelt, die römischen Totenseelen, hat Pound im Sinn, wenn er Manes, Manes ruft. In dieser Totenklage - Manes, Manes wurde geschunden und ausgestopft - assoziiert er Mussolini mit Mani/Manes, dem persischen Religionsstifter, dessen Gnosis die gesamte Spätantike und die Katharer des Mittelalters beeinflusst hat. Mit Bezug auf die Manichäer spielt Ezra Pound mit den Namen Ben (Benito) und Clara. Benjamin, der Sohn des Todes, Clara, die Sonne!

Legt mich zu Aurelie,
gen Sonnenaufgang
zu Stonehenge

(Canto XCVIII)

Kein Wort von ihm, dass Christus nur bis Eboli kam, kein Gedanke an Gramsci und Matteoti.*
Pound, der soviel weiß! Er hat die alten Ägypter studiert, spricht hervorragend das klassische Griechisch und Latein, lernt chinesische Schriftzeichen, kennt sich aus in den Weltreligionen und deren kleinsten Sekten. In allen Mythologien von der Edda bis zum Gilgamesch-Epos ist er zu Hause.

Ezra Pound, der Joyce entdeckte, Hemingway förderte, Mozart, Vivaldi und Alban Berg liebte und Krückstock war so vielen, die ohne Dollars, Francs und Lira zwischen London, Paris und Rom ihre Bilder malten und Zeichen kritzelten; dieses Genie war ohne Verstand, was die Realitäten Europas von 1923 - 1945 betraf.
Die alten Mythen und Archetypen, die Wasser der Brunnen der Vergangenheit, spiegeln dem Dichter Ezra Pound Sonne und Welt. Seitenverkehrt.

So landen wir in Moderne und Postmoderne - und kommen zur jandlschen

lichtung
 
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum

Mit Witz und Ironie, seitenverkehrt zu Pound, verfliegt der Alp Goyas im skeptischen Lächeln der Poesie Ernst Jandls. Wortspielerisch verwandelt Jandl die apodiktische Feststellung Adornos "Es gibt nichts Wahres im Falschen" in eine dialektische Scharade.

© Lutz Hesse


* Gramsci, Antonio (1891 - 1937)
Der italienische Philosoph und Politiker Antonio Gramsci war 1921 Mitbegründer der kommunistischen Partei Italiens. Er wurde 1928 von den Faschisten zu 20 Jahren Haft verurteilt. Für Gramsci ist der Marxismus eine Philosophie der Praxis, der zufolge die Kraft der geschichtlichen Entwicklung in der menschlichen Freiheit liegt.

Im Juni 1924 ist der italienische Sozialist Matteotti von Fascisten ermordet worden.

Ezra Pound - Pisaner Cantos
Canto LXXXI
(Zitiert nach Ezra Pound Lesebuch, siehe Literaturangaben)

Grün des Bergsees
strahlt aus maskenlosen Augen in Halbmasken-Abstand.
Was du innig liebst, ist beständig,
                   Der Rest ist Schlacke
Was du innig liebst wird dir nicht weggerafft
Was du innig liebst ist dein wahres Erbe.

Die Ameise ist Kentaur in ihrer Drachenwelt.
Laß ab von Eitelkeit, nicht schuf der Mensch
Den Mut, schuf Ordnung oder Schönheit,
     Laß ab von Eitelkeit, sag ich, laß ab.
Lerne von grüner Welt erkennen wo dein wahres Maß
An Erfindungsgabe oder rechtem Können,
Laß ab von Eitelkeit,
            Paquin, laß ab!
Der grüne Grashalm hat dich ausgestochen.

Doch daß man tat, statt nichts zu tun
            dies ist nicht Eitelkeit...

            Zu lesen aus der Luft lebendige Überliefrung
und aus dem Greisenaug die unbesiegte Flamme
Dies ist nicht Eitelkeit.
      Der Fehler liegt im Nicht-tun
Und in dem Kleinmut, der nichts wagte...

 

Literaturangaben

Pisaner Cantos LXXIV-LXXXIV Englisch - deutsch

Cantos

Arche Verlag, Zürich - Hamburg 2002
ISBN 3716023094
Gebunden, 288 Seiten, 22,00 EUR


Ezra Pound Lesebuch

Herausgegeben von Eva Hesse
Dichtung und Prosa. Taschenbuch
1997 - Suhrkamp Verlag KG
ISBN: 3-518-39275-1


Hans Cibulka: Sonnenflecken über Pisa

Roman. Reclam Verlag. Leipzig 2000
ISBN 3-379-01700-0

 

Lutz Hesse
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