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Touch me

Der junge Mann als Lyriker

Thomas Mann, an dessen Tod vor 50 Jahren in diesen Tagen in den Feuilletons erinnert wird, war nicht nur ein Erzähler und Romancier erster Güte, nein - er hat sich auch an Lyrik versucht. Zugegeben, es waren nicht viele Gedichte, die er schrieb. Epigonal, wie sie sind, hinterlassen sie keinen nachhaltigen Eindruck beim Lesen. Orientierte sich Thomas Mann doch an Heinrich Heine und Theodor Storm. Ein Beispiel ist dieses kleine Gedicht:

SIEHST DU, KIND,
ICH LIEBE DICH

Siehst du, Kind, ich liebe dich,
da ist nichts zu machen;
wollen halt ein Weilchen noch
beide drüber lachen.

Aber einmal, unverhofft,
kommen ernste Sachen ,-
siehst du, Kind, ich liebe dich
da ist nichts zu machen!

Da macht einer Heine nach, werden manche Leser damals gedacht haben. Eine kongruente Stormimitation lässt sich im Miniwerk des „Lyrikers“ Mann sicher auch finden. Ein Gedicht gibt es aber - Thomas Mann hat es 1893 in seiner Schülerzeitung Frühlingssturm und in der anerkannten Leipziger Literaturzeitschrift Die Gesellschaft veröffentlicht -, das eine eigene Sprache spricht und frühe erotische Präferenzen des Autors Mann preisgibt, die in seinen Erzählungen und Romanen immer wieder auftauchen.

ZWEIMALIGER ABSCHIED

Der letzte Abend war’s. Wir wanderten
am Strand des Meers, das still und schwarz
     und schweigend
im Unbegrenztem sich verlor. Kein Stern erglänzte
vom trüben unbestimmten Grau des Himmels,
kein Stern der Hoffnung auf ein Wiedersehn…
Nur durch den feuchten Nebel sickerte
vom fernen Leuchtturm müdes rotes Licht, -
Das Abendglühen eines kurzen Tags,
an dem das Glück uns in den Armen hielt…
Und niemals wieder, niemals wieder…?
Wir wanderten und schwiegen mit dem Meer.
Dein liebes Blondhaupt lag an meiner Schulter,
und deines feuchten Haares leiser Duft
umschmeichelte bestrickend meine Nerven…
Die Zeit verrann in seligem Vergessen,
und endlich kam er unerbittlich doch,
der Augenblick des letzten Lebewohls…
Wir standen still und sahn uns an - so an
zum letzten, letzten Mal…Kein Laut ringsum,
Ein tiefes, dunkles Schweigen um uns her.
Und deine kalte Hand fand sich mit meiner,
und Tränen tiefen Leids umschleierten
das Meeresblaugrün deiner Augen…
Und nur ein Wort ging durch die tiefe Stille,
sprachst du es aus? War ich’s? Ich weiß nicht.
Es irrte durch die feuchte Sommernacht,
ganz leise, traum- und leidverlornen Klangs…
„Nein - niemals wieder…“

Und dann der Morgen. -
                       Unaufhörlich ging
ein feiner Regen nieder. In dem kleinen Bahnhof
stand schnaubend längst der Zug. - Ein Lärmen,
    Hasten,
ein feuchtes, schmutziggraues Durcheinander
von Koffern - Menschen - Dampf -
Ich sah auf ein Bouquet - ich trug es selbst -
Und deine Eltern sah ich - sah auch dich -
Dann ein paar Worte - welche schönen Blumen! -
Sehr schlechtes Reisewetter - in der Tat -
Dann hielt ich deine Fingerspitzen eben -
Adieu, adieu - und leben sie recht wohl -
Auf Wiedersehn. - Jawohl, auf Wiedersehn! -
Ein letztes Winken noch; dann war es aus…
Wir logen beide. -
Jedoch die schlimmste Lüge war: „Auf Wiedersehn.“
Wir wußten’s beide, was das Meer gehört
an jenem feuchten dunklen Sommerabend…
„Nie, - niemals wieder“…

Prosalyrik war 1893 nahezu Avantgarde, die schwülstige Atmosphäre des Textes, seine Romantik ist auf dem Höhepunkt seiner Zeit. Die Geschichte, die Mann hier poetisch verdichtet erzählt, erfasst der Leser sofort. Im Tod in Venedig kommt uns das „Blondhaupt“ in Gestalt des Tadzio entgegen, ergänzt mit slawischen Wangenknochen. Im Zauberberg schildert Mann das sublime erotische Verhältnis von Hans Castorp zu seinem Mitschüler Pribislav Hippe. Auch Hippe wird blondlockig und slawisch abgebildet.

Thomas Manns Verse vom ZWEIMALIGEN ABSCHIED geben also Auskunft über erotische Vorlieben, unabhängig vom Geschlecht, die ihn in früher Jugend prägten und ein Leben lang begleiten sollten. Sicher lassen sich noch mehr Figuren Manns in seinem Werk finden, wo er versteckt oder direkt auf das Gedicht zurückkommt. Der Stoff ist ein schönes Brot für Germanisten und die, die es werden wollen.

Das Begehren, das frühe Touch me des Eros, feiert offenbar ewig sein Revival.

© Lutz Hesse

Thomas Mann: Romane und Erzählungen, Bd. 10, Erzählungen II - Lyrik - Drama.
Berlin - Weimar: Aufbau-Verlag 1975

Lutz Hesse
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