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Harry Oberländer
Gespräch mit Martina Weber für den poetenladen
Literatur jenseits des Massenpublikums muss möglich bleiben
Gespräch |
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Literatur und Förderung, so das Thema, bei dem es um Stipendiaten, Preise und Verlage geht. Kann Förderung die Schreibweise der Autoren verändern? Benötigen wir mehr Förderung? Wie sieht die Zukunft aus?
Ungekürzt erschienen in
poet nr. 14
Literaturmagazin
poetenladen, Frühjahr 2013
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Harry Oberländer, geboren 1950 in Karlshafen/Weser, studierte Soziologie in Frankfurt am Main. Im Jahr 1973 erhielt er den Leonce-und-Lena-Preis von Juror Wolfgang Weyrauch. Seit Januar 2010 ist er Leiter des Hessischen Literaturforums in Frankfurt am Main. Von ihm erschienen die Lyrikbände Ein paar Dinge, von denen ich weiß (Kramer Verlag, Berlin 1978), Garten Eden. Achterbahn (Focus Verlag, Gießen, 1988) und Luzifers Lightshow (Axel Dielmann Verlag, Frankfurt 1996).
Martina Weber: Du hast im Jahr 1973, also im Alter von 22 oder 23 Jahren, den Leonce- und-Lena-Preis erhalten. Fünf Jahre später erschien dein Lyrikdebüt, ein Gemeinschaftsprojekt mit zwei weiteren Lyrikern und einer Lyrikerin. Unter heutigen Bedingungen würde das vermutlich alles anders laufen. Preisträger des Literarischen März finden schnell Verlage und erhalten dann oft weitere Preise und Stipendien. Wie war das damals bei dir? Wie hat der Preis dein Leben als Lyriker verändert?
Harry Oberländer: Der Preis hat mir geholfen, Schriftsteller kennenzulernen, zum Beispiel Wolfgang Weyrauch, Horst Bingel und Franz Mon. Das waren sehr hilfreiche Kontakte. Ich bin dann auch Mitglied im Schriftstellerverband geworden. Letztlich hat mich der Preis also in die Literaturszene gebracht.
M. Weber: Die Veränderungen in der Literaturförderung von den Anfängen deiner Zeit als Lyriker Anfang der 1970er Jahre bis heute sind enorm. In den 70er Jahren gab es nur wenig Literaturförderung. Würdest du lieber heute ein junger, 22-jähriger Lyriker sein?
H. Oberländer: (lacht) Ich glaube, ich möchte überhaupt kein junger Lyriker mehr sein. Ich bin ganz froh darüber, dass ich jetzt ein alter Lyriker bin. Es war damals eine andere Welt, die den Vorteil größerer Übersichtlichkeit hatte. Es gab auch damals schon Fördermöglichkeiten, allerdings waren diese geringer als heute. Was mich als Lyriker angeht, war es einfach eine schöne Zeit für mich.
M. Weber: Kurt Drawert schreibt in seinem gerade erschienenen Buch Schreiben. Vom Leben der Texte: »Die falsche Förderung ist gemeingefährlich und schafft die Talente gleich wieder ab, die gerade erst publizistisches Licht gesehen haben; sie illusioniert und sorgt für falsche Verhaltensweisen.« Wo siehst du kritische Punkt in der Literaturförderung heute?
H. Oberländer: Vielleicht hat Kurt Drawert diejenigen Literaturpreise und Stipendien im Auge, die vor allem dazu dienen, eine bestimmte Stadt oder eine Institution mit einem Renommee auszustatten. Das kommt vor, ist aber nicht die Regel. Ansonsten bin ich der Meinung, dass aus Sicht der Autoren Förderung nicht falsch ist und dass es nicht genug Stipendien geben kann. Eine realistische Selbsteinschätzung fällt manchen Autoren allerdings schwer. Das hat aber wenig mit Preisen und Stipendien zu tun.
M. Weber: Die Fortsetzung des Zitats lautet: »Die Zeit der Fräuleinwunder ist vorbei – aber wie groß das Wertkapital Jugend auch in der Literatur geworden ist, kann nur erschrecken.«
H. Oberländer: Aus meiner Sicht ist weder das Wertkapital der Jugend noch das Fräuleinwunder problematisch. Das Fräuleinwunder als Medienhype vielleicht insofern, als es immer irgendwelche marktorientierten Moden gibt, bei denen es nicht um Inhaltlichkeit oder um Qualität geht, sondern darum, jemanden medial zu puschen. Was gepuscht wird oder was thematisch vorangebracht wird, mag in jeder Saison etwas anderes sein. Wir haben eine gewisse Überschussproduktion an Literatur. Andererseits wäre die umgekehrte Situation, in der junge Autoren oder Autoren generell keinen Verlag mehr finden, sehr viel verheerender. Es ist durchaus heute schon der Fall, dass ältere, auch renommierte Autoren keinen Verlag mehr finden. Das Problem des Missverhältnisses zwischen der inhaltlichen Qualität von Literatur und dem, was der Markt verlangt, sehe ich deshalb auch.
M. Weber: Eine zentrale Frage in der Literaturförderung ist auch die Frage nach der kapitalistischen Verwertbarkeit von Literatur. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer haben in ihrer Dialektik der Aufklärung auf die Gefahr hingewiesen, dass geistige Produkte in der kapitalistischen Gesellschaft nur noch eine Ware darstellen und keinen kulturellen Wert mehr haben. Sonja Vandenrath, Literaturreferentin dieser Stadt, hat eine Dissertation zur Bestandsaufnahme der privaten Förderung zeitgenössischer Literatur verfasst. Sie schreibt in ihrem Resümee: »Die derzeit vor allem bei jüngeren Autoren zu beobachtende Annäherung an das Ökonomieparadigma kollidiert daher zunehmend mit dem, was viele private Förderer mit der Literatur verbinden. Je mehr sich Autoren am Marktmechanismus orientieren, desto mehr mutiert das Geben und Nehmen zu einem rein wirtschaftlichen Tauschakt, der ein Jenseits ökonomischer Rationalität negiert. Die Poesie als Verschwendung, als pure plenitude wie Bataille sie definiert, wäre folglich aufgehoben in der Ware, die in der Neutralität eines nivellierenden Marktes ihren einzig wahren Umschlagplatz fände.« Wie sind deine Einschätzung und deine Erfahrung mit diesem Problem?
H. Oberländer: Es spricht jedenfalls dafür, dass sich die öffentliche Literaturförderung nicht zurückziehen darf. Es wäre sehr schädlich, wenn eine Literatur nur noch marktkonform wäre und nur noch ökonomische Interessen bedienen würde. Die konkrete Poesie beispielsweise hatte es in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts dank des Engagements des Luchterhand Verlages leichter als heute. Das war eine Literatur, die nie für ein Massenpublikum geschrieben wurde. So etwas muss auch weiterhin möglich sein.
M. Weber: Zum Thema mediale Verwertbarkeit schreibt Jürgen Ploog in seinem Essay Simulatives schreiben: »Dem Leser wird geliefert, was er lesen will ...« Und später heißt es: »Nur Naive können annehmen, dass dies ohne Auswirkungen auf den Erfahrungshorizont des einzelnen ausgeht. Im Gegenteil, genau er ist das Ziel. Er soll zu einem manipulierbaren Bestandteil der Kontrollmaschine gemacht werden.«
H. Oberländer: Natürlich gibt es einen großen Bereich von Literatur, die von den Problemen in der Welt eher ablenkt als sie zu thematisieren. Andererseits freue ich mich über jeden, den ich in der U-Bahn lesen sehe. Immerhin ein Leser. Ich sehe die Arbeit der Marketingabteilungen nicht so in Richtung einer Verschwörung.
M. Weber: Es gibt immer wieder Stimmen, die die Abschaffung der Literaturförderung fordern. So schrieb beispielsweise Oliver Jungen in einem Beitrag der FAZ vom 30. April 2008: »Gibt es einen Filter für große Literatur? Dass sich Schriftsteller auf eigene Verantwortung durchs Leben schlagen, wäre ein Anfang. Kafka hat es nicht geschadet.« Und später: »Wenn der Literatur nützt, was den Schriftstellern schadet, dann, liebe Förderfunktionäre und kuchenverdrückendes Literaturhauspublikum: Schadet den Schriftstellern! Hungert sie aus! Macht sie wütend!«
H. Oberländer: Das sehe ich überhaupt nicht so.
M. Weber: In Deutschland sind in den 1980er Jahren viele Literaturbüros entstan#-den, ursprünglich mit dem Ziel der Förderung der Autoren der Stadt. Später ging der Trend der Literaturbüros mehr dahin, die allgemeine Literaturvermittlung zu fördern. Wo setzt du als Leiter des Literaturforums hier in Frankfurt Schwerpunkte der Literaturförderung?
H. Oberländer: Die eine Säule ist das Veranstaltungsprogramm. Was die Autorenförderung angeht, haben wir eine beratende Funktion für das Land Hessen. Dies betrifft zum Beispiel den Robert-Gernhardt-Preis und die kleineren Arbeitsstipendien. Dann gibt es noch die hessische Leseförderung, die dazu beitragen soll, Kinder und Jugendliche ans Lesen von Literatur heranzuführen. Außerdem haben wir den Jugendwettbewerb Junges Literaturforum Hessen-Thüringen, der die Autorinnen und Autoren, die daraus hervorgegangen sind, durch Lesungen, Seminare und Unterstützung aller Art auch langjährig fördert.
M. Weber: Mit welchen Schwierigkeiten bist du bei deiner Arbeit konfrontiert?
H. Oberländer: (lacht) Es gibt jede Menge an Schwierigkeiten: zu viele Angebote, zu viele Erwartungen, zu viele Termine, zu viel Arbeit. Aber ich will nicht jammern; es ist zu bewältigen und es macht Spaß.
M. Weber:
M. Weber: Frankfurt gilt als eine Stadt, in der das Publikum auf große Autorennamen schaut und in der es unbekannte Namen nicht leicht haben.
H. Oberländer: Die Unbekannten haben es immer schwer. Die Schiene »Neuerscheinungen bekannter Autoren« bedienen wir kaum, weil das schon andere tun. Unbekannten Autoren ist aber auch nicht immer mit einer Lesung oder einer öffentlichen Präsentation geholfen, jedenfalls nicht ohne gewisse Voraussetzungen. Denn man muss darum kämpfen, dass die Lesung Erfolg hat, dass Leute kommen und dass in der Presse darüber berichtet wird. Besonders in der Lyrik ist das schwer. Ich habe den Eindruck, dass es in Frankfurt unendlich viele Lyriker gibt, aber wenige, die zu Lyriklesungen gehen. Die Lyrik funktioniert gut auf Festivals, aber sie funktioniert schlecht bei Einzellesungen. Vielleicht sollten wir es damit mal in einer Kuchenbäckerei versuchen.
M. Weber: Was fehlt dir in unserem Literaturfördersystem?
H. Oberländer: Es wäre gut, wenn man mehr Mittel für die Langzeitförderung hätte. Und zwar vor allem für solche Autoren, die an weniger marktgängigen Texten arbeiten und Projekte haben, für die sie lange Zeit benötigen. Außerdem wäre eine finanzielle Unterstützung für alte Autoren wichtig, die ihr Berufsleben weitgehend hinter sich haben oder nicht mehr imstande sind, es weiterzuführen.
M. Weber: Vielen Dank für das Gespräch.
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Martina Weber
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