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Nico BleutgeKlare KonturenKritik
Schon der Titel ist programmatisch. Sinngedichte sind es, inszenierte Fotografien und Sehmaschinen, wie uns das Vokabular der Gedichte wissen lässt. Von Schichten geht die Rede aus, von Bildrändern, in die immer etwas hineingreift oder herausragt. Man denke an den Bildsucher einer Kamera, die vor einer Landschaft verschoben wird: Landschaftskomponenten werden vom Rand her sichtbar, verschwinden zur anderen Seite hin. Eine Wahrnehmungsstrecke wird im Gedicht abgespult, so wie das Auge oder die Kamera einen Küstenstreifen fotografisch genau abzutasten versucht: wolkiger himmel. am bildrand liegen äste aus
getreckt über dem wasser, die langen finger greifen weit hinaus und halten das meer in der bucht. beim genauen hinsehen ist der horizont nicht glatt, sondern fein geriffelt. das licht kommt immer ein wenig zu früh oder zu spät aus den wellen zurück, je nachdem wie schnell sich die augen scharf stellen sie laufen dem glanz hinterher, den ästen reicht diese zeit völlig aus, sie bleiben weich und fest in der haut, an den händen schaukelt das wasser sich auf und der dunst verwischt bald die konturen, die kleinen rillen am rand des bildes, der fingerkuppen Erst als Foto entsteht das Gedicht, auch seine Sprechinstanz ist nur als Fotograf denkbar und jeder Ruck ins Pathos allein kursiv möglich. Das Auge wird hier konsequent zum Inhalt von Landschaft. Die Schicht auf der sie sich zeigt, ist die Netzhaut, immer mit dem blinden Punkt, auf dem nichts erscheint und um den sich doch die Landschaft aus Teilen zusammen setzen soll. Bleutge versucht im Objektiv zu bleiben, die Augen scharf zu halten, kann aber bei dem Versuch Unschärfen nicht vermeiden: ...das licht kommt immer ein wenig zu früh
oder zu spät aus den wellen zurück, je nachdem wie schnell sich die augen scharf stellen sie laufen dem glanz hinterher, den ästen reicht diese zeit völlig aus... Kein Gedicht darf so unbeholfen sein, auf den ersten Blick, auch keins, das Unschärfen zum Thema macht, wie es beispielsweise die Doppelsinnigkeit der „wellen“ und der Reim eine Zeile darauf andeuten. Doch die Unschärfe ist damit auf die Sprechinstanz übergegangen. Je präziser – man fragt sich wer oder was betrachtet – das Wahrnehmungsprotokoll werden soll, umso mehr löst sich die Landschaft auf. So sehr auch der Titel des Buchs Präzision und handwerkliche Perfektion zum Motto macht, es lässt sich in ihm auch ein romantischer Impuls entdecken. Sinngedichte sind es, weil Bleutges Gedichte über die Beschreibung etwas erreichen wollen, das in Transzendenz umschlägt. Das Ziel ist, Betrachter und Landschaft zur Übereinstimmung zu bringen. Ein Stück Ewigkeit wird verlangt. Sehend ist der Betrachter in der Kamera als Auge präsent, oder taucht als nahe Fingerkuppe und Körperfragment im Sucher auf. Zwischen der Landschaft, die in die Tiefe des Bilds weist, und der Stelle, wo sie aufgezeichnet wird, auf der Belichtungsoberfläche, bewegt sich der Blick. leichter sommer
für Bernard Noel als läge noch eine schicht zwischen ihnen und dem schmalen streif der küste traten die wolken hervor, scharf ab- geschnitten an der unteren kante, oben ein faltiger riemen, in den die möwen kleine löcher stanzten. beim nächsten aufschauen hatte dunst die fläche aufgerauht und der wind verfing sich in den drahtnetzen knapp unterm wasserspiegel, die vögel waren längst verschwunden, der himmel hielt noch ein weilchen jene luft die unter ihren flügeln rauschte Hier wird die Zeitlichkeit von Wahrnehmung als Bedingung für das Sehen überhaupt so schön wie selten beschrieben. Schön vor allem, weil mit einem vergleichsweise geringen Aufwand an dichterischen Mitteln ein Gemäldegedicht geschaffen wird, dessen Bilder ins Vorgangshafte übersetzt und ihrer Statik entkleidet sind. So direkt, ungebrochen und anschaulich lässt sich eine lyrische Momentaufnahme machen, ohne die Sprache sich in optische und akkustische Eindrücke verflüchtigen zu lassen. Und natürlich verschwindet die Landschaft: „das auge hinkt dem kopf immer ein klein wenig hinterher“. Der den Gedichten eingeschriebene Wunsch die Zeit anzuhalten, kann sich nicht erfüllen, da die Landschaft eben kein Foto ist, sondern in bewegung. Und immer wieder wird von den Gedichten ein Stück mehr gefordert. Sie sollen auch die Bewegung in der Landschaft festhalten, ihre Veränderung, die kaum merklichen Nuancen. Die Summe: „platte auf platte fülle ich mit bildern für die zukunft“. Augen und Kopf als Blackbox, die, angefangen bei der Lichtregie und den Wetterverhältnissen alles speichern soll, um der Zeit etwas entgegenhalten zu können. Nicht immer kommt Bleutge dabei zu so eleganten Ergebnissen wie in „leichter sommer“. Ich denke, man darf so eine Stelle auch zitieren: später september
unterhalb der kleinen düne zwischen dem ersten pfosten und dem zweiten, gesehn von schräg oben: die anhäufung schwarzer steine in einem ausgeschwemmten fußabdruck, der sand der sich von hinten anschlich und das stückchen blech das an den sohlen schleifte Auf den ganzen Band hin betrachtet fällt so eine Stelle zwar nicht weiter ins Gewicht, doch für sich allein genommen zeigt dieses Gedicht mögliche Grenzen eines hyperrealistischen Konzepts. An Umständlichkeit ist diese Blickregie nämlich kaum zu überbieten, und dabei nirgendwo im Gedicht begründet. So geht das Bemühen um Klarheit in diesem Fall nicht über die Skizze eines Gedichts hinaus, in der die Dinge zum äußersten aufgeladen zu Metaphern werden. Doch immer wieder erreichen die Gedichte ein Stück mehr. Die Augen und der Kopf sollen arbeiten, ihre Aufgabe erfüllen: das Leben festhalten und den Betrachter gegen die Zeit immunisieren. Die Landschaft ist dagegen nämlich immun, „den ästen reicht diese zeit völlig aus“, ein Arkadien aus Blicken, Schnitten und Perspektiven.
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