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Katrin Merten

Leseinsel JUNGE VERLAGE

Leipziger Buchmesse 2007

Leseinsel im Geschichtensee

Türen wollen schließen und falten sich wieder auf, immer steht irgendwer im Weg, schiebt sich erschrocken weiter hinein in das Menschengedränge, wenn Klingeln schrill schellen. Die Straßenbahnen der Linien14 und 16, Endstation Messe, quälen sich träge um Kurven. Zwischen den Hallen bewegt sich eine bunte Menschenmasse auf breiten Fluren: Leseratten, Schulklassen, Veranstalter, Autoren, Berauschte. Nur wenig beeindruckt vom späten Schnee liegt die Stadt im Fieber.

Carl-Christian Elze liest

Carl-Christian Elze liest auf der Leseinsel   © poetenladen

In Halle 5 steht eine blassweiß beleuchtete Bühne, auf transparentblauen Stühlen sitzen die Autoren, überwiegend jung und dabei vielfach schon mit Preisen ausgezeichnet: Die Leseinsel der jungen Verlage ist in diesen vier Tagen Veranstaltungsort für vierzig Lesungen und Buchvorstellungen. Der Strom schwemmt Menschen aus auf die Insel, wo sie auf schwarzen Lederwürfeln sitzend kurz innehalten, bald begeistert lauschen, bald weitertreiben. Auf den Bühnen bekommen Gesichter Namen, an den Ständen bekommen Namen Gesichter. Man trägt Geschichten durch die Gänge, geschriebene und erzählte.

Links von der Bühne: der Stand des Verbrecherverlages. »Eigentlich wollten wir nur lesen, was in Schreibtischschubladen verborgen liegt und nicht so bald gedruckt wird, dann haben wir Manuskripte geordert und uns einen obskuren Namen gegeben«, erklärt Werner Labisch, der österreichische Verlagsvertreter. Das erste Buch sei 1995 entstanden, inzwischen umfasse das Programm 80 Titel, hauptsächlich:»Prosa, Prosa, Prosa. Politische Reihen, Städtebücher und ein bisschen Kunst.« Das Konzept: Neue Autoren neben ältere stellen, die ein wenig untergegangen sind. Zur Buchmesse vorgestellt wurde u. a. Kolja Menzings Erzählband Minibar.

Am Nachbarstand stellen die Kölner Verleger Frank Niederländer und Bettina Hesse von Tisch 7 die Autoren René Hamann (Schaum für immer) und Stefan Weigl (Marienplatz) vor. Hier heißt der Schwerpunkt: deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Auf dem schmalen Spielfeld eines kleinen Verlages soll ein breites Spektrum präsentiert werden. »Wir versuchen, bekanntere Namen mit Debüts zu verbinden, machen neben deutschen Texten auch Fremdsprachen, die aus unserer Sicht im deutschen Literaturbetrieb unterrepräsentiert sind. Das fängt mit dem Italienischen an: nach Umberto Eco hört es ja in der Regel auf.« In diesem Jahr, so Niederländer, sei das Interesse an Independentverlagen zurückgegangen und stände Netzwerk dem Mittelpunkt näher als bisher. Insgesamt, so resümiert er, »eine sehr schöne Veranstaltung.«

Auf der anderen Seite der Leseinsel steht Lars Birken-Bertsch, Gründer und Verleger des Münchner Blumenbar-Verlages. Er und sein Partner Wolfgang Farkas stellen in dieser Saison Tum Kummers Blow up und Walter Rufers »Der Himmel ist blau – ich auch« vor. Gedruckt werden Texte, »die sich mit der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit auseinandersetzen, die eine Relevanz haben und dazu von hoher Qualität sind.« An seinem Stand sorgte in diesen Tagen einmal mehr der Skandalinterviewer Kummer für Tratsch, als nämlich sein ehemaliger Kollege Moritz von Usler ihn begrüßte mit: »Na du alte Sau. «

Als »eigentlicher Messemuffel« outet sich Stefan Buchberger, der mit zwei Kollegen vor fünf Jahren den Luftschacht Verlag gründete. Warum er dennoch hier ist: die Nähe zu anderen Verlagen, zu Autoren, zu Lesern. Gedruckt wurden in den ersten zwei Jahren ausschließlich Debüts, fünf im Jahr. Für 2007 sind sechs Titel geplant, druckfrisch steht hier: Fausts Fall von Manfred Rumpl.

Am Nachbarstand bei Mairisch: Begeisterung für den Messetrubel. Ein strahlender Daniel Beskos, der mit einem Kollegen das Büro in Hamburg leitet und Blanka Stolz, die sonst in Berlin sitzt. »Wir sind hier an der Insel mittendrin, das ist wunderbar. Leute, die sich für uns interessieren, kommen genau hier an.« An den Standwänden aufgereiht: die Erzählungen von Fin-Ole Heinrich die taschen voll wasser, Michael Weins Krill sowie pressplay, die erste Anthologie der freien Hörspielszene in Deutschland. Die drei Macher von Mairisch verlegen nur drei Titel pro Jahr, begleiten diese vom Konzept bis zur Lesungsorganisation. Die Themen sind gestreut, »wobei es eher um das Persönliche geht, weniger um das Politische.«

Der Leipziger Peter Hinke bietet im Stand seiner Connewitzer Verlagsbuchhandlung ein buntes Sortiment feil: Neben fein ausgewählter Literatur diverser unabhängiger Verlage stehen die eigenen Publikationen im Fokus, unter anderem die Lyrikreihe Wörtersee, in der auch Ulrike Sandigs Titel Zunder erschien.

Daniela Seel und Monika Rinck

Daniela Seel (kookbooks) und Monika Rinck   © poetenladen

Einige Ecken weiter sitzt Daniela Seel auf der Bank des kookbooks-Standes. Sie ließ die Umzugskartons von Wohnung und Verlag in Berlin liegen, um nach Leipzig zu kommen – leider auch zwei Kisten mit Büchern sowie den Schlüssel der Wechselgeldkasse. Für Seel gilt Poesie als Lebensform. Sie will »Autoren, die versuchen, heutige Erfahrungen in dichterische Stimme zu übersetzen« und präsentiert neben Hendrik Jackson (im inneren der zerbrechlichen schale) und Monika Rinck (zum fernbleiben der umarmung) auch Andreas Töpfer. Mit seinem Titel Durch dick und dünn legt kookbooks erstmals ein zweisprachiges Kinderbuch auf: Eine Figur erzählt die Geschichte in deutsch, die andere in englischer Sprache, jede aus ihrer Perspektive. »Gute Texte«, so Seel, »geben dem Leser auf, sich neue Weltzugänge, neue Deutungen und Bedeutungen zu erarbeiten.« Texte sollen also verändern: den Leser und den Verlag, sollen die Dinge in Bewegung halten. »Verkaufbarkeit ist kein Kriterium. Wenn mich ein Text überzeugt, kann ich das vermitteln.«

Bücher abseits des Mainstreams werden auch nebenan verlegt, aber »ein gutes Buch ist ein verkauftes Buch«, so Jürgen Christian Krill, Leiter der Verlagsbuchhandlung Liebeskind. »Literatur findet nicht in Bücherregalen statt, sondern ist ein Prozess und zu dem gehört auch der Leser.« Schwerpunkt des Programms auch hier: zeitgenössische Literatur, deutsche und internationale. »Unser Hauptaugenmerk liegt auf jungen Autoren, mit ihnen wollen wir uns in Deutschland durchsetzen.« Eine der neuen Autorinnen dieses Frühjahrs ist Johanna Straub – sie erhielt 2005 den Debütpreis des Poetenladens – mit ihrem Roman: Das Zebra trägt schwarze Streifen, damit man die weißen besser sehen kann. »Ich habe Johanna auf einer Lesung kennen gelernt, in München. Wir haben damals den Büchertisch gemacht. Ihr Manuskript war rudimentär, gerade die ersten zwei Kapitel standen. Aber ich hatte Interesse, bin mit ihr in Kontakt geblieben per Mail, habe sie gebeten, mehr zu schicken, wenn es fertig ist.« Eine Geschichte wie aus dem Bilderbuch. Neben Romanen werden auch Erzählbände verlegt, so zum Beispiel Buddeln, 1 – 3 von Arne Nielsen. Krill selbst ist großer Fan von Kurzgeschichten, aber »Realität ist, dass der Buchhandel sich mit guten Kurzgeschichten schwerer tut, als mit guten Romanen.« Die aktuellen Titel: Die Lehrjahre des Duddy Kravitz von Mordecai Richler und 1980, der Krimi des in Tokyo lebenden David Peace.

Einige Gänge weiter feiert Helge Pfannenschmidt den zweiten Geburtstag seiner Edition Azur im Glaux Verlag Dresden. Vier Lyrikbücher und zwei Aphorismenbände sind bereits erschienen. Ganz neu sind die Übersetzung von Chris Edgar: Zuviel Gelächter in der Dunkelheit und Elazar Benyoetz Aphorismensammlung Das Mehr gespalten. Der junge Verleger hat sich auf die kurzen Formen spezialisiert. Er will »Das Blaue vom Himmel« und Poeten, deren Ziel es ist »die ganze Welt in ihr Gedicht zu holen.« Obwohl er auf dem Weg zur Buchmesse kinoreif den Tank mit Kanister nachfüllen musste und um Stunden verspätet, nass und nach Benzin riechend auf der Messe ankam, verbucht er diese ganz im positiven Sinne als spannendes Erlebnis.

Punkten konnten auch die Verleger Voland & Quist, deren Autoren aus der Lesebühnenszene kommen. Ihr Anspruch geht über einen guten Text hinaus:» Text und Autor müssen auch auf der Bühne funktionieren«, so etwa heißt das Konzept. Es lasen unter anderem Marion Pfaus Aus den Memoiren einer Verblühenden (Roman), und Ahne aus dem frisch gedruckten Zwiegespräche mit Gott.

Poetenladenstand

Zuhörer, Autoren und Leser am Stand des Poetenladens   © poetenladen

Zwischen den jungen Verlagen hat sich erstmals auch der Poetenladen platziert – bislang als redaktionell betreutes Literaturportal mit Printausgabe bekannt. In Zukunft wird das Magazin des Poetenladens poet[mag] im eigenen, neu gegründeten Verlag erscheinen. Einen Vorgeschmack gab es mit Lesungen von neun Autoren, darunter etwa Andreas Altmann, Katharina Bendixen und Rebecca Salentin.

Durch die Reihen schlendert ein großer, schwarzhaariger Mann, Patrick J. Hutsch, Herausgeber der Leipziger Literaturzeitschrift Edit. Er bleibt hier und da stehen auf einen Plausch – man kennt sich. Edit ist bereits etabliert, will »Texte, die etwas besonderes sind, die etwas wagen, die begeistern können, die versuchen, nicht nur etwas wollen, was wir schon kennen.« Die Leipziger Messe mag er besonders. »Im Gegensatz zu Frankfurt stehen hier nicht Zahlen, sondern Texte und Autoren im Mittelpunkt.« Seine kleine Geschichte von der »Buchmesse nullsieben«: Jan Wagner, der auf seiner Veranstaltung lesen sollte, hatte Tage zuvor seine Verspätung angekündigt, und war am Donnerstagabend, als die Leipziger sich im Schneematsch vorankämpften, der einzige pünktlich eintreffende Autor.

Als am frühen Sonntagabend Bücher in Kisten gepackt werden, tragen die letzten Prospektsammler ihre proppevollen Tüten durch Glastore, während der Himmel kalenderkonform blaut.

Katrin Merten      Poetenladen     26.03.2007

Katrin Merten
Bericht
Lyrik