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Daniela Danz

Türmer

Hier zähle ich zu den Vögeln

Daniela Danz | Türmer
Daniela Danz
Türmer
Roman
Wallstein 2006
264 Treppenstufen über der Stadt zu leben, macht mehr aus, als die 35 Meter messbaren Abstand. Es verändert den Alltag, den Blick auf die Welt, die Wirklichkeit.

Nach mehreren Auszeichnungen für ihre Lyrik und zwei Büchern legt die in Eisenach geborene und in Halle lebende Autorin Daniela Danz in diesem Jahr ihr Romandebüt vor. Türmer umfasst zwei in ihrer Handlung unverbundene Geschichten. Zwei Männer leben eine Zeitlang auf einem Turm, Jan Facher zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, Michael Thurner an dessen Ende, im Jahr 2000.

Als Jans Vater im Frühjahr 1913 eine Arbeit als Türmer annimmt, zieht er mit seiner Familie in die alte Wohnung im Stadtturm ein. Der Ich-Erzähler wird bald Beiwächter seines Vaters. Er verliert die Nähe zu seinen Freunden; während die Distanz zu seinen Eltern, trotz der Enge der Zimmer, nicht abnimmt. Der Dichte des Raumes entspricht die Schreibart der Autorin. Wieder beweist sich diese als Meisterin der genauen Beobachtung, psychologischen Durchdringung, präzisen Beschreibung. Gefühls- und Handlungsräume verschmelzen – „hatte ich geglaubt, so ein Turm wäre ein sicherer Platz am Himmel?“

Anstatt „über den Dingen zu stehen“, die Erhabenheit der Höhe, die Freiheit zu spüren, empfindet sich Jan, als lebte er in einer Höhle oder unter dem Meer. Selten bekommt er Besuch von seinen Freunden. Was sie erzählen, bleibt ihm fremd. Was er unten beobachtet, versteht er nicht: „ ... kopflos kaufen die Leute die Läden leer, wer würde all die Seife aufbrauchen können, wenn das Essen wirklich knapp würde? Es gibt keine Logik in diesem Denken, das halb das Schlimmste befürchtet, halb sicher ist, dass alles spurlos an einem vorbeigeht.“ Unten beginnt der Krieg. Oben wachsen Zweifel an der Wirklichkeit, zugleich ein Empfinden von Machtlosigkeit, Resignation. Die Kluft wächst. „ ... wenn ich hinuntersehe, schwindelt mich, die Welt wird schneller, die Leute laufen schneller und leben mehr, die Zeitungen sind wichtiger und melden immer Neueres.“

In ihrer Isolation inmitten der Stadt bleiben sich Jan und seine Eltern merkwürdig fremd. „Das war das Schlimmste, dass wir immer außerhalb waren und nicht verstehen konnten, was geschah.“ Jan erschafft sich eine Freundin, Echo, flüchtet zu ihr, um zu reden, verstanden zu werden. Aber auch sie verschwindet mehr und mehr. „Ich bin nicht, was du suchst, Jan, ich bin nicht lebendig. Ich bin nur ein Gefäß für deine Liebe.“

Es gibt nichts, was Jan hält, nichts, was wahr ist und wahr bleibt. „So wie wenn man aus einer Erschöpfung am Feldrand aufwacht und die Sonne an derselben Stelle am Himmel stehen sieht, nicht weiß, ob Tage vergangen sind oder gar keine Zeit.“ Jan denkt sich auf das Feld, erlebt den Krieg. Von oben, vom Turm aus. Von unten, aus dem Graben. Gleichzeitig. Dann kommt die Einberufung für seinen Vater und ihn, wirklich. Wirklich?

Zeitsprung. In der zweiten Geschichte erzählt Michael Thurner von seinem Besuch in Belgrad, wobei er selbst nicht genau weiß, was er dort sucht. Dann beginnt er, etwas zu finden. Thurners Geschichte ist im Umfang geringer und sprachlich schwächer, als der erste Teil des Buches. Allerdings ist sie, durch ihren Bezug zu der ersten Erzählung, zugleich verrätselter.

Danz' Roman greift die alten, unendlich oft literarisch umgesetzten Themen auf: Krieg, Macht, Vater-Sohn-Beziehungen, Einsamkeit. Neu ist die vielschichtige, sehr lyrische, sehr moderne Erzählart, durch die sie all das dem Leser erstaunlich nahe bringt. Statt der langen Kapitel des klassischen Romans schreibt die 30-jährige Autorin Prosaminiaturen in der Länge von halben bis zu zwei Seiten. Diese sind so durchgearbeitet, so stringent, dass jede für sich stehen könnte. Wie ein Gedicht, das einen tief berührt, möchte man dieses Buch wieder und wieder lesen und jedes Mal Neues entdecken – eine Sprache, die sich nicht erschöpft.

Daniela Danz im Poetenladen

Katrin Merten     26.12.2006    

Katrin Merten
Bericht
Lyrik
Prosa