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Stephan Turowski

Und jetzt bist du nackt

 

Stephan Turowski | Und jetzt bist du nackt

Stephan Turowski
Und jetzt bist du nackt
Gedichte
Glaux Verlag 2006

für einen Moment dachte ich, // ich könne die Zeit anhalten, / die Liebe sei da, // in unseren Blicken, / im Zucken der Wimpern, / die ich küßte und küßte, // bis sie einschlief, / vom Motorrad fiel, / ich vergrub sie im Straßengraben.

Und Zack! Raus aus der Romantik! Mit Stephan Turowski rast die Blaue Reihe der kleinen Dresdner Edition Azur (Glaux Verlag) in die dritte Runde. 22 Texte umfasst das Debüt des 35jährigen – Lyrik. Aber eigentlich erzählt er Geschichten. Soweit nicht weiter spannend; spannender ist, wann seine Geschichten anfangen, wann sie enden, wo man sich befindet und wer überhaupt mitspielt.

Heidi, oder so ähnlich, / steckt den Kopf in den Gasherd, / ich will das nicht mit ansehen, / klettere durchs Badezimmerfenster aufs Dach, // wo mein Hubschrauber startet, / mein Geburtstagsgeschenk: / Papi meinte, ich sei jetzt volljährig

Und Zack! Ist er fort. Hier steigt er ein, da steigt er aus. Kein Kunststück, zu wissen, dass der gebürtige Bremer neben Zeitungsartikeln und Lyrik auch Theatertexte schreibt – absurd sind seine Szenen allemal. Sobald man den Raum zu kennen glaubt, verlässt er ihn; macht einen neuen auf, wechselt die Requisiten, die Rollen; dreht seine Worte, dreht sich, dreht die Situation um – alles anders. Bleibe der Leser doch, wo er wolle. Doch man möchte mit, möchte weiter: noch weiter, schneller weiter. Aber soviel Zeit muss sein: Turowski nimmt es genau, springt zurück: präzisiert, korrigiert sich.

Schlechte Pointe. / Ich ziehe sie zurück. / Ich ziehe mich zurück, // straffe die Schultern, / mache eine Kniebeuge, / mache einen Handstand, // dann der Sprint in die Küche, / schnell wie noch nie, / das ist Küchenrekord

Das ist ein Drive, dem man sich kaum entziehen kann: turowski-esk. Der Autor packt einen an unerwarteter, nicht unbekannter Stelle: dort, wo man gar nicht erst hingeht; schnell wieder wegschaut: kuriose Kleinigkeiten, Nichtigkeiten, bei denen man selbst den Film weiter spult ehe die Gedanken ins Absurde abgleiten:

da liegst du schon auf mir, / ich kriege kaum noch Luft, / beiße dich in die Nase, / ein Popel auf meiner Zunge, // ich schmecke das gerne, / ich schlucke ihn runter.

Irgendwie ist dieser Typ, man weiß nicht genau wo, aber einen Schritt zu weit, einen Atemzug zu schnell zum Fallenlassen, Luftholen. Daraus nährt sich eine Lakonie, die abgedroschene Klischees gern zu Grabe trägt:

Wir haben uns danach getrennt, / haben geheiratet, du den, ich die, // haben uns wiedergefunden / ein Auto geleast, ein Haus gebaut, / einen Hund zugelegt, einen mit Tollwut, / der starb, als er kastriert wurde, / verblutete auf dem OP-Tisch, // ich stand daneben und war gerührt.

Zu Grabe getragen werden summa summarum drei Hunde. Einer: vom Dreirad überrollt; einer: durch Genickschuss überm Napf und der auf dem OP-Tisch. Oder war es derselbe?

Stephan Turowski
Und jetzt bist du nackt
Gedichte
Dresden: Glaux Verlag 2006

Katrin Merten     16.02.2007    

Katrin Merten
Bericht
Lyrik
Prosa