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Marcus Roloff
im toten winkel des goldenen schnitts
Der Dichter als Landvermesser (Strippenzieher)
Kritik |
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Marcus Roloff
im toten winkel des goldenen schnitts
Gedichte
Gutleut Verlag 2010
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Mit dem ersten Gedicht schon („mein gleiwitz“) wird die Poetik deutlich: Die Überblendung des Privaten mit dem Historischen verrät ein Verständnis des Individuellen jenseits der eingefahrenen Geleise; die Präzision, mit der das Gedicht gearbeitet ist – von den versteckten Reimen bis zum erschreckenden Rahmen der letzten Zeile –, verrät den Handwerker, der es genau nimmt.
In seinem jüngsten Lyrikband „im toten winkel des goldenen schnitts“ betätigt sich Marcus Roloff als poetischer Geodät. Buchstäbliche Landschaft, in fünf Kapiteln eingehender Erforschung unterzogen: Resonanzen eines geteilten Landes, Meditationen über kartografischem Material, zuletzt die „wiepersdorfer gespräche“, die die Unversöhnlichkeit von Kunst und Geschichte an einem literarischen Erinnerungsort par excellence aufspüren.
So geschlossen konzipiert die Sammlung im Ganzen erscheint, so fragmentarisch sprechen die Gedichte im Einzelnen. Marcus Roloff setzt Pausen und Doppelpausen, schiebt eingeklammerte Subtexte unter, was die suchende, stockende, Haken schlagende Dynamik der Erinnerung unmittelbar in die Verse überträgt – nachzuvollziehen etwa an „klassenfahrt 1985“, einem Mosaik aus Schnappschüssen und Zitaten, das DDR-Geschichte zum Nukleus einer deutsch-deutschen Reflexion werden lässt. Dann steht der Streuselkuchen neben dem „Binom Weimar-Buchenwald“ (Jorge Semprún), und als müsste die Gewalt, die in diesen Zeilen komprimiert ist, rückwirkend sich noch geltend machen, wird die kosmische Beruhigung des Goethe-Zitats – „warte nur bald“ – beschnitten im Reim auf den Ort des Verbrechens.
Der Abschnitt „DAUERLANDSCHAFT“ bildet die Mitte des Bandes. Hier streifen die Reminiszenzen die äußersten Ränder der Erkenntnis. Denn Karten helfen zwar bei der Orientierung auf der Erdoberfläche, die Frage nach deren Entstehung aber beantworten sie nicht. So verbindet das Gedicht „kataster“ Wissenschaft und Mystik, indem es von den frühen Anfängen der Landvermessung am „nil“ – mit dem Echo im Ohr: „nihil“ – einen Salto schlägt zur Idee des „zimzum“, jener von Isaak Luria beschriebenen Selbstverschränkung des mit dem Ur-Nichts identischen Gottes, die Raum schafft für die Schöpfung eines Etwas. „treasure island“ wiederum, das letzte Gedicht in diesem Teil, kehrt die Blickrichtung um: zu entdecken in jedem Mysterium der Wirklichkeit gibt es am Ende nur den Schatz der Leere als ebenso unfassbares wie unverwüstliches Potenzial des Möglichen.
Von hier aus wird deutlich, dass der „tote Philosoph“ auf dem Umschlag (der ohne Weiteres als Nietzsche durchgehen könnte – Detail eines Aquarells von Trevor Gould), keine Tabula rasa-Geste darstellt, sondern vielmehr das Gegenteil: Jenseits des Nevermore-Terrors gibt es durchaus noch Einiges zu sagen.
Vielleicht dass hie und da die graphischen Eigenheiten dieser Lyrik Gefahr laufen, sich zu verselbständigen; vielleicht, dass zur Formel werdende Wendungen („eine art glaube“, „eine art/ zweitwasser“, „eine art/ panorama“) auch einmal weniger hätten verwendet werden dürfen – doch sind das Kleinigkeiten, an denen man sich nicht festbeißen sollte.
Was bleibt nach der Lektüre dieser Gedichte, ist das angenehme Gefühl, dass Marcus Roloff seinen Lesern etwas zutraut (wer will, kann auch „zumutet“ sagen). Eine Lyrik, die es in postheroischen Zeiten durchaus noch wissen will – nichts anderes als ein Glück.
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Lothar Quinkenstein
Lyrik
Prosa
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