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Hartmut Abendschein
Dranmor
Wo hat man bloß diesen Text abgelegt?
Kunstvoll erzählt Hartmut Abendscheins „Dranmor“ vom Schriftstellerwahnsinn
Kritik |
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Hartmut Abendschein
Dranmor
Athena-Verlag
Oberhausen 2012
168 S., 14,90 Euro |
Nicht umsonst beginnt die Erzählung mit einem Zitat aus Alice im Wunderland. Es geht um Fieberträume, gespaltene Persönlichkeiten, Pilze in Wänden und sprechende Schnapsfläschchen. Verrückt. Oder doch nur der ganz normale Wahnsinn im Leben eines Schriftstellers. Der Ich-Erzähler ohne Namen wohnt in der Schweiz. Sein Hausmeisterjob erfüllt ihn wenig, aber man schlägt sich so durch. Nachdem er wiederholt auf einen lästigen Pilzschwamm im Gebäude hinwies, wird ihm die Stelle gekündigt, ein Jugendfreund taucht auf und der Name eines vergessenen Berner Dichters fällt. Dranmor, bürgerlich Ferdinand Schmid, müsse dringend posthum (er starb 1888) gewürdigt werden.
Der Erzähler mit Schreibblockade beginnt, in Archiven zu wühlen, Bücher, Notizen und Aufzeichnungen zu sichten. Bald verriegeln die Berge vor dem Haus jeden Blick ins Außen: „Die drei Phasen der Bergkulisse verschwinden. Schwimmen ineinander. (...) Der Nebel legt einen Schleier über die Kanten. Alles wird grau. Kartoffelsalat und Leberkäse: kalt und grau.“ Die Bücherberge wachsen, der Alkoholkonsum steigt, die Realität verabschiedet sich. „Die Alpen sind lebendig geworden, (…) finde ich an einer Stelle, als ich nicht mehr weiter weiß und nachschlagen muss. Wo hat man nachgeschlagen? Der Bleistift bricht.“ Nach einer weiteren Kündigung dann der Umzug in den Keller, der bald einem brodelnden Labor gleicht, einer literarischen Hexenküche. Die Geister, die der Erzähler rief, lassen ihn nicht los, bis es nach einer „starken Hitze- und Dampfentwicklung im Bad“ überall „zischt und schmatzt“ und plötzlich wie von Zauberhand geschrieben eine Abschrift aus dem Vorwort der Gesammelten Dichtungen von Dranmor erscheint. Doch das ist noch nicht das Ende. Das folgt nach eingehender Beratung mit den sprechenden Schnapsflaschen. Der Erzähler exhumiert die Leiche eines angeblichen Dranmor-Biographen, bis ihn die Polizei aufgreift und in die Irrenanstalt einweist.
Der verarmte, von seiner Frau verlassene Schriftsteller im Dachkämmerchen, der Rausch und Wahnsinn verfällt. Welch ein Klischee. Oder: welch ein literarischer Topos. Kunst und Leben im Clinch. Gibt es überhaupt einen Schriftsteller, der darüber nicht bereits nachgedacht hat? Oder daran zerbrochen ist. Selbstverständlich ist das dem Autor bewusst, er lädt den Text reichlich mit Anspielungen auf, Nacht- und Schauermotive der Romantik werden herangezogen, Jean Paul, E.T.A. Hoffmann, Lord Byron zitiert, aber vor allem die Nachtwachen des Bonaventura: „Oh Freund Poet, wer jetzt leben will, der darf nicht dichten“.
In Hartmut Abendscheins Erzählung geht es um alles – im Leben eines Autors. Um die Frage nach Verortung und Identität des Schriftstellers, parallel dazu um die Perspektive innerhalb der Erzählung, darum, was der Autor tut und was er ist („Sie sind doch Sklave einer Halluzination“), was Pilze ausrichten können, im Mauerwerk als auch im Mund. Es ist eine Hommage an das gedruckte Wort („Von Zeit zu Zeit schnuppere ich an dem süssen, rauchigen Buchrücken“) oder, um es mit dem mehrfach zitierten Jean Paul zu sagen: „Die Dichtkunst ist eine lange Liebe.“ Und wer war vor Liebe nicht schon einmal krank? Hartmut Abenscheins „Dranmor“ könnte man belächeln, weil es thematisch altmodisch daherkommt. Doch die Erzählung ist eher zeitlos: äußerst kunst- und stilvoll wird ein Verfall dokumentiert, der Versuch des Zur-Sprache-Findens.
Zuerst veröffentlicht in der Literaturbeilage der Jungen Welt, 20./21.10.2012
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