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Wolfram Lotz
Fusseln

Philosophischer Fusselsammler

Klein, aber fein: Lotz' Fusseln
  Kritik
  Wolfram Lotz
Fusseln
parasitenpresse, März 2012
16 Seiten, 5 €

Zum Verlag  externer Link


In seinen Theaterstücken befasst sich Wolfram Lotz, letztes Jahr mit dem be­gehrten Kleist-Förder­preis aus­gezeichnet, über­wigend mit dem Sinn unseres Da­seins und was von diesem übrig bleibt. In seinem kürzlich bei der parasiten­presse erschie­nenen Bänd­chen Fusseln geht es ebenf­alls um ein großes Thema. Es ist ein Text, der weder Prosa noch Lyrik zu­zuordnen ist. Wie im Unter­titel vermerkt, ist es eine Liste von Halb­sätzen und ein­zelnen Worten in Analogie auf das Leben selbst – wenn man dieses ver­stehen will als fortlaufende Anein­ander­reihung von Zufäl­len, Augen­blicken, wahr­genom­menen und ver­passten Situa­tio­nen, Kuriosi­täten, Fragen, Dingen, Bildern und Gedanken.

Lotz ist ein philosophischer Fusselsammler, der nichts konstatiert, sondern ein Ka­lei­doskop verschie­dener Einzel­heiten der Realität entwirft, um ihr durch Auf­zählung gerecht zu werden. Er erzählt Geschich­ten und beschreibt Situa­tionen, ohne sie zu er­zählen. „Vom Wind ver­hinderte Streich­holz­flammen“, „die trüben Gänge des Ferienh­eims“ oder „der frei­gewordene Roll­stuhl“ öffnen Perspektiven und Denk­räume ebenso wie „das Mädchen mit den schiefen Zähnen“ oder „Tage mit Weltschmerz und Schnupfen“. Lakonie schwingt über­haupt oft mit, beim „traurigen Gesang der Kaffee­maschine“, den „verschlafene(n) Erd­beeren“ oder dem „ver­zweifelt fallenden Schnee, Ende Mai“. Dann wird es komisch, bei der „fehlende(n) Nachfrage nach Wiesen­schaum­kraut“, der „Buch­führung über Regen­tage“ oder dem „Sekun­den­schlaf, auf dem Klo sitzend“. Es gibt noch „Sachen, wie Gegen­wart“ oder „Glück, ja auch das“, eine „unersätt­liche Stech­uhr“ oder „Ver­suchs­an­ord­nun­gen mit Sand und Wind“. Nur selten stol­pert man über Sätze, die nicht recht ins Konzept passen („hier war der Enten­teich“ oder „du sollst nicht lügen“).

Trotz des eigent­lich unmöglichen Vorhabens, mit einer Halb­satz­liste eine Ahnung vom Ganzen einfangen, greifen und verständlich machen zu wollen, bleibt Lotz schnörkel­los, handelt selbst Begriffs­schwer­gewichte mit Leichtigkeit ab: „Sinnlosig­keit umgekehrt: Tiekgisolnnis“. Dennoch bleiben die Fusseln eben „nur“ Partikel, die weder einen Roman, ein Theater­stück oder einen Gedichtband ersetzen. Vielleicht liegt ihr Reiz aber gerade in ihrer scheinbaren Nebensächlichkeit. In jedem Fall möchte man Lotz' Satzfusseln im Gegensatz zu ihren aus Stoff bestehenden Kumpels nicht abschüt­teln, sondern gern öfter lesen. Die Reaktion darauf ist wie bei einer guten Tragi­komödie, wie im Leben selbst: mal lacht man, mal weint man.

Kritik von Mario Osterland zum Buch  externer Link
Zuerst veröffentlicht in der Literaturbeilage der Jungen Welt am 02.05.2012

Peggy Neidel   10.05.2012   

 

 
Peggy Neidel
Lyrik