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Odile Kennel
Was Ida sagt
Zwischen den Sprachen
Odile Kennels Debüt knüpft das Kleid der Familie: Eine Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich, Vergangenheit und Gegenwart
Kritik |
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Odile Kennel
Was Ida sagt
Roman
dtv, Hamburg 2011
320 Seiten, 14,90 Euro.
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Manchmal konfrontiert uns der Zufall mit Situationen, die wir vermeiden wollten. Oder wollten wir sie gar nicht vermeiden, waren aber zu feige für die bewusste Entscheidung, uns zu stellen? Louise, Hauptfigur in Odile Kennels Debütroman „Was Ida sagt“, wurde in Frankreich geboren, lebt aber schon länger in Berlin. Vor kurzem hat die 29-Jährige eine Assistentenstelle bei einem Forschungsprojekt über die deutsche Besatzung in der Normandie angetreten. Zufällig führen sie Recherchen zurück an ihren Geburtsort. Im Dorf angekommen, hätte Louise „gern hier dazugehört, wäre gern nicht mehr diejenige gewesen, die fortgegangen war, um anderswo dazuzugehören, weil sie noch nicht wissen konnte, daß Dazugehören eine Illusion war.“
Das ist einer der starken Sätze dieses Romans. Eine Zerrissenheit leuchtet auf zwischen Hier und Dort, Bleiben und Gehen, die nicht nur die Autorin beschäftigt, sondern sicher auch den globalisierten Leser. Was ist zu Hause, wann ist man angekommen, will man das überhaupt, was ist Identität, wenn man ständig irgendwo dazwischen lebt? Zwei Länder, zwei Sprachen: Louise bemerkt ihren Identitätsspagat zwischen dem Heute in Berlin und den familiären Wurzeln in Frankreich, läßt sich mehr oder weniger freiwillig auf die Familiengeschichte ein. Menschen wollen eben wissen, woher sie kommen. Auch wenn man die eigene Mutter nicht „mère“ oder „maman“ nennt, sondern nur mit dem Vornamen anspricht.
Louise trifft bei der Beerdigung ihrer Großtante auf Ida Kempf, die Cousine ihrer Mutter Paulette. In einem Strandcafé erfährt Louise, was in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts wirklich geschah und ihr bislang verschwiegen wurde: Als Frankreich von deutschen Soldaten besetzt war, verliebte sich Louises Mutter in den Wehrmachtssoldaten Franz, ein Skandal, der Dorf und Familie in Aufruhr versetzte. Doch das ist nicht das einzige Geheimnis der Familie. Erzählt wird aus drei Blickwinkeln, aus dem von Louise, von Louises Mutter Paulette und von Ida in Form ihrer Tagebuchauf–zeichnungen. Das könnte spannend sein. Leider sprechen die Personen mit ähnlichem Duktus, nicht markant genug für den Leser, der bald nicht mehr weiß, wer da eigentlich spricht. Enttäuschend auch, daß die Tagebuchaufzeichnungen der Zeitzeugin Ida seltsam konstruiert klingen und dadurch an Lebendigkeit einbüßen.
Unterhaltsame Lichtblicke und beklemmende Momente liefern die Schilderungen historischer Ereignisse, wenn vor dem geistigen Auge ein normannisches Dorf erscheint, in dem der Großväter Schützengräben aushebt und die Kinder im Takt der Marschmusik durch die Straßen laufen, wenn die beiden Verliebten mit ihren Rädern trotz Kriegswirren beschwingt durch die sommerliche Stoppelfeldlandschaft der französischen Peripherie radeln. So sehr der Roman das Historische sucht, den Kern der Erzählung bildet das Verhältnis von Mutter und Tochter. Von Zärtlichkeit scheint das nicht geprägt zu sein, scheinbar war schon bei der Geburt ein „Faden gerissen oder war erst gar nicht geknüpft worden“.
Fäden knüpfen ist Prosahandwerk, die Erzählung als feinmaschig gestricktes Netz, ein phantasievolles Gebilde, ein Konstrukt aus Seemannsgarn und Wirklichkeit. Wie auch Familiengeschichten Mythen oder Realität sind, meistens ja immer beides zugleich. Odile Kennel näht und knüpft ein seltsam blasses Kleid. Viel Garn wird aneinandergefügt, vor allem Namensgarn. Wer waren noch mal Serge, Rose, George, Jean oder Adrienne? Um durchzublicken, müßte man einen Stammbaum anfertigen. Der Eindruck entsteht, die Autorin verstecke etwas hinter Namenbashing und Romanknüpfhandwerk. Als schrecke sie gemeinsam mit ihrer Protagonistin vor dieser Geschichte zurück. Ja, es geht um Väter, die unbekannt blieben, um Geschwister, die nichts voneinander wissen, um Mißgunst und Freundschaft – wie im Klappentext erläutert. Aber reicht das, damit daraus eine lesenswerte Geschichte wird? Der familiären Vergangenheit auf den Grund gehen, um sich selbst zu verorten: Dieses existentielle Bedürfnis bleibt die Autorin schuldig, weil sie es emotional nicht vermitteln kann oder will.
Ebenso, wie sich Louise ihrer Familiengeschichte gegenüber verhält, wie sich Mutter und Tochter begegnen, hält der Roman den Leser auf Distanz. Unweigerlich fragt man sich, inwieweit die persönliche Geschichte der Autorin mitspielt. Odile Kennel wuchs zweisprachig (deutsch/französisch) auf und lebt heute in Berlin. Ob ein Roman gelungen ist oder nicht, bemißt sich jedoch nicht an dessen Wahrheitsgehalt, sondern daran, ob die erzählte Geschichte im Kopf des Lesers bleibt, ein Teil von ihm wird: Wenn der Roman ihn in irgendeiner Form berührt. Doch „Was Ida sagt“ verweigert die Passion. Für Emotionen, Verletzungen, Schrecksekunden, Innehalten, innere Bewegung, Fiebern ist kein Platz vorgesehen. Die Seiten bleiben kalt und lassen kalt. Angesichts des Schwerpunkts der Geschichte mag das konsequent sein, für den Leser ist es schade. Er hält ein handwerklich recht annehmbares, aber keineswegs geniales Kleid in Händen, das ihn blass anlächelt und steif zurücklässt. Deshalb will es einfach kein Lieblingsstück werden.
Zuerst erschienen in: Junge Welt, 12.10.11
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