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Tom Schulz
Innere Musik
Entdeckungsreise zwischen Lebensgier und Formalismus
Der Lyriker Tom Schulz lauscht seiner inneren Musik, umkreist transzendente Begriffsklopper und trifft zwischendurch abgeranzte Freundinnen auf dem Raucherbalkon
Kritik |
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Tom Schulz
Innere Musik
Gedichte
Berlin Verlag 2012
120 Seiten, 19.99 Euro |
Wie man überlebt. In einer kalten, prosaischen Zeit, in der man „den Schauer in den Unterführungen“ spürt und wie sich „die Welt um das Herzzentrum schließt“. In seinem neuen Gedichtband Innere Musik ölt Tom Schulz den „metallisch klappernden Briefkasten“ mit der „Süße des Nabels“, beschäftigt sich thematisch vorwiegend mit Gedichten des Barock, auch der Romantik. Durchaus gewagt, sich in Boomzeiten von Wortakrobatik und lexikalischer Fachsprachen an traditionellen Formen und einem alten literarischen Topos abzuarbeiten: der Vergänglichkeit, ein Thema das den Autor schon in seinem letzten Band Kanon vor dem Verschwinden faszinierte. Konsequent, nun auch konzeptionell jene Epoche heranzuziehen, die von der Spannung lebte zwischen Lebensgier und Todesbangen, Formalismus und innigem Erlebniston. Zwischen diesen Polen geht Tom Schulz auf Entdeckungsreise und nimmt all jene mit, die nicht nur für reflektiert-urbane Lyrik, sondern auch für die Wildheit und Zärtlichkeit der Sprache etwas übrig haben.
Das ist durchweg zeitgemäß, schöntraurig, auch verstaubt, zuweilen kitschig („dein schöner Schein erhellte die in Dämmer getauchten Stunden spärlicher Empfindungen“) oder auch bemüht barockesk („Wurmstichigkeit in verbotener Frucht“). Zum Glück folgt bei Tom Schulz oft die ironische Brechung, allein durch Gedichttitel wie „Nachtigallenkot“, „Die großmütterliche Konstante“ oder „Selbst mit Meerschweinchen“. Das nimmt die Schwere. Nur damit es kurz darauf umso schwerer wird: „ich habe zu enden wie der Monat.“ Mit diesem Buch zieht der Winter ein. Eichendorffs „es schläft ein Lied in allen Dingen“ wird geerdet: „es schläft // das Gras, die Sprache aller toten // Dinge, Gras // ich seh den Himmel nieder // gehen: zur Ruh.“ Es geht um ein Verabschieden und Leiden. Und das geht leise voran, man spürt den ruhigen Atem, einen dumpfen Klang.
Der 1970 geborene und in Ostberlin aufgewachsene Autor ist seit Jahren eine bekannte Größe, nicht nur in der Berliner Lyrikszene. Viel Beachtung fand neben seiner letzten Einzelveröffentlichung auch die von ihm herausgegebene Anthologie „alles außer Tiernahrung“, in dem Schulz neue politische Gedichte präsentierte. Die Gegenwart verhandeln, wach und engagiert, das ist sein Metier. Dem geht er mit seinem neuen Band durchaus nicht „fremd“. Zwar umkreist er vermehrt transzendente Begriffsklopper wie Leben, Tod oder Schönheit und ist auch des Öfteren zwischen Himbeersträuchern und „geweihten Knöcheln“ unterwegs. Doch immer wieder tauchen neuzeitliche Konstanten auf, abgeranzte Freundinnen auf dem Raucherbalkon, eine Dame, die „in der Sonne flimmert wie das Testbild eines Theaterkanals“ oder „die Berge von Armenien in den Farben // auf einer New Yorker Palette, sie zeigen keinen // Himmel, denn sie wissen keinen.“
Tom Schulz verknüpft mehrere Referenzbereiche und das macht er so gekonnt, dass man die Tragik nicht nur mitliest, sondern mitfühlt. Erlösung gibt's nicht: „zünden Sie sich ihr Paradies // mit der kalten Schulter an.“ Und wieder wird es bitterkalt, „vor Mitternacht schneit es in mein Herz.“ Dieses Buch ist innerhalb eines groß angelegten Rahmens etwas sehr Persönlichem auf der Spur, an dem der Leser teilhat, wenn er sich darauf einlässt. Kommt, wir legen unsere Köpfe nieder „und schweigen die Zeit zu Ende“.
Zuerst veröffentlicht in der taz, 24.11.2012
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