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Gerhard Zwerenz | Zum 90. Geburtstag
Beitrag von Stefan Müller
Zum 90. Geburtstag |
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»Ginge es mir besser, würde ich vielleicht noch religiös!«
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Gerhard Zwerenz verfasst seit 2007 eine politische Biographie (Die Verteidigung Sachsens) im Poetenladen. Es existieren mehr als 250 Folgen, was etwa 3000 Buchseiten entspricht.
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Gerhard Zwerenz, geboren am 3. Juni 1925, ist der einzige Deserteur der Nazi-Wehrmacht, der jemals im Bundestag gesessen und in Fassbinder- Filmen mitgespielt hat. Seinen 90. Geburtstag feiert der Autor zusammen mit Ehefrau Ingrid Zwerenz in seiner hessischen Wahlheimat, im Schmittener Ortsteil Oberreifenberg im Hochtaunuskreis. Der Poetenladen gratuliert herzlich!
Ingrid Zwerenz ist nach eigener Aussage seit Jahrzehnten Gerhards „Lektorin, Korrektorin und Beraterin“. Im Januar war er im Poetenladen beim „52. Nachruf“ angekommen. Merkel, Troika, Akropolis und Platon – ein echter Zwerenz-Titel. Doch ein schwerer Sturz bremste den Autor aus. Seither ist kein weiterer Blogbeitrag mehr erschienen. Ingrid Zwerenz: „Jetzt, wo Gerhard nicht gut dran ist, wäre ich als Krankenbetreuerin gern zwei Jahrzehnte jünger, also 60 statt 80 Jahre“. Stefan Müller hat per Mail für den Poetenladen mit Gerhard und Ingrid Zwerenz kommuniziert.
Stefan Müller: Herr Zwerenz, wie geht's Ihnen gesundheitlich?
Gerhard Zwerenz: Wenn es mir besser ginge, würde ich vielleicht noch religiös.
Stefan Müller:
In Ihrem bisher letzen Text im Poetenladen vom Januar 2015 ging es um Griechenland. Die Wahl dort kam erst danach – mit Varoufakis und Syriza. Verfolgen Sie die aktuelle politische Lage in Athen?
Gerhard Zwerenz: Ich interessierte mich schon als Kind für Athen, insofern bin ich Kind geblieben.
Stefan Müller: Geht es mit dem Internet-Roman irgendwann doch noch weiter?
Gerhard Zwerenz: Das liegt verständlicherweise nicht bei mir.
Stefan Müller: Was geht Ihnen durch den Kopf in diesem Jahr 2015 – wo mal wieder hochoffiziell zahlreiche Gedenktage im Kalender stehen – allen voran 70 Jahre Kriegsende?
Gerhard Zwerenz: Der wachsende Anteil der Arbeit am Massaker der Menschwerdung.
Stefan Müller: Hat Sie das Thema Pegida aufgeregt und auch die Diskussion um die Partei AfD – die ja gerade in Sachsen sehr stark ist?!
Gerhard Zwerenz: Wahrscheinlich ist das Ende der Menschheit längst vorüber!
Stefan Müller: Welche Lektüre empfehlen Sie als Blochianer einem politisch
interessierten Menschen im Jahr 2015?
Gerhard Zwerenz: Ein Wort des Philosophen bietet lange Stoff zum Nachdenken – Bloch konstatierte schon vor längerer Zeit statt emanzipativer Bedingungen, dass mehr und mehr Menschen nicht selbständig, sondern „Unternommene“ sind – dies ist ein Trend, der sich stetig steigert.
Stefan Müller: Herr Zwerenz, Sie haben ja gesagt, Sie seien in einem dauerhaften Exil mit Ihrem Wohnsitz in Oberreifenberg. Vermissen Sie das Stadtleben überhaupt nicht?
Gerhard Zwerenz: Das Stadtleben ist Episode.
Ironie pur – so kennen seine Fans ihren Gerhard Zwerenz. In den siebziger Jahren gehörte er zu den bekanntesten Autoren der westdeutschen Linken. Er schrieb für „Konkret“, „Twen“, „Pardon“, die „Frankfurter Rundschau“ und arbeitete für Radio und Fernsehen. 1925 im sächsischen Gablenz als Sohn eines Ziegeleiarbeiters und einer Textilarbeiterin geboren, macht er nach der Volksschule eine Lehre als Kupferschmied. 1942 meldet er sich freiwillig zur Wehrmacht. Zwei Jahre später desertiert er.
Von der DDR in den Taunus
In der DDR kann der auf seine proletarische Herkunft stets stolze Zwerenz von 1952 bis 1957 mit Sonderreifeprüfung beim berühmten jüdisch-marxistischen Philosophen Ernst Bloch in Leipzig studieren. Zwerenz geht zum Stalinismus auf Distanz und wird 1957 aus der SED ausgeschlossen. Er geht in den Westen, um sich Jahrzehnte später nach der Wende wieder der alten Heimat zuzuwenden. Bloch beschäftigt ihn noch heute, wie man vielen seiner jüngeren Text anmerkt.
Für die PDS saß Zwerenz ab 1994 vier Jahre lang im Bundestag – und beklagte das „Ausbluten des Ostens“. Seinen Frust als Abgeordneter hat Zwerenz in einem Buch („Krieg im Glashaus oder der Bundestag als Windmühle“) verarbeitet. Er versuchte aber auch, sich für die rechtliche Anerkennung von Wehrmachts-Deserteuren einzusetzen.
„Bin immer wieder auferstanden!“
Ein gespaltenes Verhältnis hat Zwerenz zu Geburtstagsfeiern: „Ich hatte ja mal einen Herzinfarkt. Danach habe ich mir geschworen, keine Geburtstage mehr zu feiern. Erst wieder den Hundertsten! Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt so alt werden würde. Ich bin mit 18 als Soldat schon mal gestorben. Auch in sibirischer Gefangenschaft in ich auch schon mal gestorben. Und immer wieder auferstanden.“ Das sagte er vor fünf Jahren, zum 85. Geburtstag.
„Gemäß der Familientradition sind wir alle drei keine Geburtstagsfeier-Fans“, so Ingrid, „der 90. ist allerdings etwas Besonderes“. Ob die Tochter aus Berlin zu Besuch kommt, war eine Woche vor dem Fest noch offen. Ingrid Zwerenz: „Telefonisch bzw. per E-mail erkundigt sie sich regelmäßig nach Gerhards Befinden, bei all seinen schweren Erkrankungen in früheren Jahren war sie immer zur Hilfe hier im Haus“.
Der Silbersee liegt mitten im Hochtaunus
Ihr besonderes Ritual haben Ingrid und Gerhard Zwerenz aber noch im vergangenen Sommer gepflegt: Den Besuch des erfrischenden Freibads von Schmitten im Taunus, wegen seiner silbernen Alubeschichtung von Zwerenz liebevoll „Silbersee“ genannt – auch als Hommage an Karl May: „Vielleicht wird der Silbersee diesen Sommer noch zum warmen Goldeselsee, wenn man unsere gesamten politischen Klassen gemeinsam eintaucht!“
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