Gefunden werden sie bei archäologischen Ausgrabungen in einem römischen Castrum. Kaum gelangt diese Neuigkeit an die Öffentlichkeit, treten die politischen Vertreter auf den Plan. Die Medienmaschine läuft, die Phrasen werden gedroschen, Spekulationen schießen wie Pilze aus dem Boden. Handelt es sich um Opfer der Securitate? Oder stammen die Leichen aus den 50er Jahren? Der Möglichkeiten gibt es viele und vor lauter Hysterie verliert man schnell den Überblick. Zumal die Wahrheitsfindung politisch beeinflusst ist und womöglich niemand an der wahren Identität der namenlosen Leichen interessiert ist. Schließlich bedarf es erst argentinischer Spezialisten, um den Fall aufzuklären. Dieses weitgereiste Forscherteam kennt sich aus, was politische Unterdrückung und das Verschwinden von kritischen Personen angeht. Die desaparecidos gibt es sie auch hier in Rumänien, in diesem verschlafenen Kurort? Der Roman Kleine Finger des 1968 geborenen rumänischen Schriftstellers Filip Florian spannt einen weites Netz an historischen und mythischen Bezügen, überspannt es zuweilen in voller Absicht, aber es gelingt ihm, die Verstrickung von Machtinteressen und die Absurditäten historischer Aufarbeitung offen zu legen. Was dann für Rumänien gilt, könnte überall zutreffen. Und plötzlich sind die Karpaten nicht mehr ganz so weit. Den Detektiv gibt es immerhin auch. In diesem Fall heißt er Petrus, von Beruf Archäologe, einer dieser Archäologen, die ihre Arbeit nach dem grausamen Fund niederlegen müssen und nun die Zeit bis zum Abschluss der Untersuchungen vertrödeln. Nach und nach beginnt er mit der eigenen Recherche als eine Art Gelehrter auf Nebenwegen. Er sammelt abseitige Informationen, meidet die mediale Hysterie, besucht die Bibliothek, befragt die Zeitzeugen, schenkt den Wahrsagerinnen Glauben. Die Wahrheit jedoch verflüchtigt sich, denn das historische Ereignis ist scheinbar ein bärtiger Sonderling, der durch den Wald streift und sich versteckt hält, bis seine Zeit gekommen ist.
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Adrian Kasnitz
Lyrik
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