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Gerbrand Bakker
Oben ist es still

Ein Stück zwischen den Ställen

Gerbrand Bakker | Oben ist es still
Gerbrand Bakker
Oben ist es still
Roman
Suhrkamp 2008
„Ich habe Vater nach oben geschafft.“ Mit diesem Satz beginnt Helmer van Wonderen sein neues Leben. Der Vater, den er pflegen muss, ist ein Landwirt alten Schlages, ein Misthaufen-Tyrann, nach dessen Nase bislang alle auf dem Hof, ob Familenangehörige oder Knecht zu tanzen hatten. Und auch seine beiden Söhne, Henk und Helmer, konnten sich diesem quasi-despotischen Willen nicht widersetzen. Jetzt aber liegt der Alte im Sterben und alles könnte endlich neu beginnen, wenn da nicht schon zuviel Zeit vergangen wäre. Der Sohn und Erbe findet sich plötzlich als Bestimmer wieder, es ist Neuland für ihn, obwohl er schon die 50 überschritten hat. Bis dahin ist der Kauf von zwei Eseln sein ganzer Widerstand.

„Der älteste erbt den Hof, der zweite wird Pfarrer“, lautet auf dem Lande ein Spruch, der die Erbfolge und Zukunft der Bauernkinder regelt. Nur dem erstgeborenen Stammhalter fällt der Hof zu, der jüngere muss sich eine andere Beschäftigung im Schoß der Kirche suchen oder woanders eben. Wie ist es aber, wenn es Zwillinge sind, die den Landwirt beerben sollen? Wer ist der tüchtigere? Wer ist besser für diese Aufgabe geeignet? Der Vater entscheidet sich für den um wenige Augenblicke jüngeren Henk, der einfach etwas schneller reagiert als sein Bruder. Während Henk Mist ausfährt, übt sich Helmer im Schlittschuhlaufen auf den Zuläufen des Ijsselmeeres. Aber sonst bleiben die beiden symbiotisch verbunden, bis zu dem Abend in einer Dorfkneipe, an dem Henk Riet kennenlernt. Die Frau beendet die Harmonie und Helmer ist verstört. Später geht er nach Amsterdam, um „Wörter zu lernen“, wie es der Vater nennt. Aber dann kommt Henk bei einem Autounfall ums Leben, unglücklicherweise im Wagen der Verlobten. Alles ändert sich schlagartig und nun ist es der zögerliche Helmer, der sich als Landwirt wiederfindet, weil er gegen die Entscheidung des Vaters nicht aufzumucken wagt. Seitdem sind über drei Jahrzehnten verstrichen, das Leben auf dem Land hat sich zu einem Leben ohne Bauern verändert, das Klima hat sich unmerklich gewandelt, nur Helmer ist es, der sich nicht aus der Abhängigkeit und Lethargie befreien kann, bis eines Tages ein Brief von Riet eintrifft und Erinnerungen beschwört.

Das Romandebüt des Niederländers Gerbrand Bakker ist ein eigenwilliger Text. Das Milieu ist wie eine Parzelle abgesteckt und geht selten darüber hinaus. Die Sätze sind kurz, geradezu einfach, und manchmal läuft der Text Gefahr einzuschläfern, so langsam spulen sich die Bilder des Alltags und seiner kleinen Abweichungen ab. Aber dann ist doch immer wieder ein überraschendes Moment da, eine Bedrohung, die so unscheinbar ist, wie das elektrische Ticken einer altmodischen Küchenuhr, wie der Blick einer Krähe in den kahlen Ästen.

Bakkers Text wohnt eine Sehnsucht inne, die Sehnsucht Helmers nach Henk, die Sehnsucht, eins zu werden mit den Menschen, den Dingen, der Landschaft, die mit der Anforderung zusammenstößt, eine eigene Identität zu finden und das Alleinsein zu lernen. Zugleich ist der Roman auch ein Abgesang auf das niederländische Grünland, auf die öden kleinen Orte, die Touristen anziehend finden. Helmer wird sich schließlich dagegen wehren und seinen Hof trotz allem nicht verkaufen.
Gerbrand Bakker, 1962 in Wieringerwaard geboren, studierte niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft in Amsterdam. Er ist Autor eines etymologischen Wörterbuchs der niederländischen Sprache und des Jugendromans Birnbäume blühen weiß (Patmos 2004).
Weblog Gerbrand Bakker (niederländisch)
Adrian Kasnitz    29.08.2008   
Adrian Kasnitz
Lyrik