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Ralf Rothmann: Feuer brennt nicht

Natascha Wodin: Nachtgeschwister
Zwischen Himmeln und Höllen
Kritik
  Ralf Rothmann
Feuer brennt nicht
Roman
Suhrkamp Verlag 2009
305 Seiten


Zwei in den letzten Monaten erschienene Romane beschäftigen sich mit der prekären Lage, in der sich der Schrift­steller befindet. Diesmal jedoch nicht unter dem finanziellen sondern unter dem sozialen Aspekt. Während viele andere Berufstätige ein Netzwerk von Kontakten und Bezie­hungen aufbauen können, bleibt die selbst gewählte Isolation, in der ein Künstler agiert, zwar einerseits der Garant für Unabhängigkeit, andererseits offenbart sie die Schwach­stellen des Systems, wenn er Gefahr läuft, durch die Maschen zu fallen. Es sei denn, er hat sich durch eine Partnerin abgesichert.

In Ralf Rothmanns Roman Feuer brennt nicht schimmert eine neue Beziehung ver­heißungs­voll auf. „Nahezu klassisch“ beginnt es, „der Autor und die Buch­händlerin.“ Während eines Stipendiums in einer sauer­länd­i­schen Klein­stadt lernen sich Wolf und Alina kennen und wider erwarten entwickelt sich aus der Gelegen­heits­affäre eine lang währende Beziehung. Natürlich verzichten sie auf jedwede Konvention und bleiben dabei ein typisches Paar ihrer Zeit, das in getrennten WGs lebt, die später einzeln bewohnten Behau­sungen auf scheinbar still gestellte Zeit weichen. Die Jahre plätschern dahin, die Nuss­schale West-Berlin wird fortgespült und alles Neue, das mit den Ost­deut­schen hereinschwappt, misstrauisch beäugt. Bis Wolf und Alina es endlich wagen, ihren Kiez zu verlassen und an den Stadtrand zu ziehen, der zum Ostteil gehört. Und dort fällt auch noch einige Jahre nach der Wende das west­deutsche Paar aus allen erdenk­lichen Mustern. Sie tun sich schwer mit den Nachbarn und mit sich selbst. Das Wolf nicht ausschert aus dem so lose Gefügten ist allein Alina zu verdanken, die sonderbar gebannt ist von ihm und als Trabant um ihn kreist. Alle ihre Lebens­ent­würfe (Studium, Kinder­wunsch) stellt sie hinten an, um Wolfs Weg und Karriere nicht hinder­lich zu sein. Die Selbst­aufgabe ist ihm Liebes­beweis, die Frau als Gehilfin nützlich. Aber mehr Verant­wortung zu über­nehmen als für seine Texte, fällt in den Bereich des Unmög­lichen. Man wird das Gefühl nicht los, Wolf sei der Wolf aus dem Märchen und Alina das Mädchen mit der roten Mütze. Das er sich in ihr irrt, wird erst später klar, und dann wiegt der Irrtum wie ein Wackerstein.

Natascha Wodin | Nachtgeschwister
Natascha Wodin
Nachtgeschwister Roman
Antje Kunstmann 2009 Kritik von D. Jacobsen
In dem Roman von Natascha Wodin geht es einen Grad romantischer, einen Grad brutaler zu. Die Nacht­geschwister finden über eine Art Flaschenpost zueinander. Die Ich-Erzäh­lerin verliebt sich Mitte der 80er Jahre in die Gedichte des DDR-Schriftstellers Jakob Stumm, dessen Buch sie auf dem Ramsch gekauft hat. Ihre fern­münd­lichen An­nähe­rungs­versuche sind zunächst zum Scheitern verurteilt. Unver­mutet kommt es dann aber doch zu der herbei­gesehn­ten Begegnung, als Stumm für ein Stipendium in den Westen kommt. In den folgenden Jahren oszil­liert das Paar zwischen Himmeln und Höllen. Die Erzählerin, die selbst schrift­stel­lerisch tätig ist, fühlt sich immer mehr an den existen­tiellen Rand gedrängt. Die Aufgabe, das gemein­same Leben in halb­wegs bürgerliche Bahnen zu lenken, raubt ihr jede Ent­faltungs­möglich­keit. Stumm dagegen versenkt sich in Arbeit, in zwie­lichtige Kor­respondenz und Alkohol. Wäh­rend sein Psycho­gramm im Vor­der­grund steht, erfahren wir leider zu wenig über die Treibkräfte der Erzählerin, die auf­schluss­reich wären, um verstehen zu können, warum es eine intelligente Frau so lange an der Seite dieses Ekels aushält. Liebe und Bewunde­rung reichen als Erklärung wohl kaum, eher die Brecht'sche Formel von der sexuellen Hörigkeit. Dies gilt wohl auch für Rothmanns Alina, die nie selbst zur Sprache kommt. Die Frau bleibt als vernünftige aber stumme Person ein Opfer par excellence.

Beide Romane sind leise, unaufgeregte Texte, die – in einer präzisen Sprache verfasst – sich nicht scheuen, in die Wunde zu fassen. Diese Wunde ist das Selbst­verständnis des Künstlers als autonomes System, das keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Das Arbeiten wie das Leben sind nur auf die perfekte Schreib­situation hin aus­gerichtet. Der Künstler, so scheint es hier an allen Ecken und Enden, kennt keine Bindungen, keine Verant­wortung außer gegenüber dem Werk. Er ist, so bleibt zu konstatieren, im doppelten Sinne asozial.


Natascha Wodin: Nachtgeschwister (Kritik von D. Jacobsen)

Adrian Kasnitz    06.12.2009   
Adrian Kasnitz
Lyrik